Migrationsexperte Gerald Knaus
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EU-Asylreform

„Vieles erscheint mir nicht realistisch“

„Viel mehr Fragen als Antworten“ wirft der gestern von der EU-Kommission vorgestellte Migrationspakt auf den ersten Blick für den österreichischen Migrationsforscher Gerald Knaus auf.

„Es ist mir nicht klar, was die Interessen der EU-Mitgliedsländer sind, die dazu führen, dass er erstens angenommen und zweitens umgesetzt wird“, sagte Knaus in einem Interview mit der APA. „Vieles erscheint mir nicht realistisch.“

Schlüsselfragen „nicht beantwortet“

Knaus sieht die Schlüsselfragen „nicht beantwortet“, etwa was der Plan „konkret“ für das Mittelmeer, Moria oder für die Seenotrettung bedeute. „Eine der Schlüsselfragen einer glaubwürdigen Grenz-und Asylpolitik sind Abschiebungen“, setzte der Migrationsexperte fort. Die Vorstellung, dass Abschiebungen in außereuropäische Länder „jetzt auf einmal besser werden sollen“ erschließe sich ihm nicht. Auch die Idee von den sogenannten Abschiebe-Patenschaften erscheint Knaus als „sehr unklar“: Weil das Problem nicht in den EU-Ländern liege, sondern meistens bei der Kooperation mit den Herkunftsländern der Asylwerber.

Humanere Aufnahmezentren & Beschleinigung der Verfahren

Positiv sehe Knaus die Bedeutung, die der Pakt den Herkunftsländern zuweise. Dass erkannt wurde, dass Beziehungen zu anderen Ländern der Schlüssel für eine humane Kontrolle der Grenzen seien, sei sehr wichtig", sagte der Experte. Er fordert Partnerschaften mit der Türkei und Tunesien – „wir müssen den Ländern etwas anbieten“. Auch „wäre es eine gute Sache“, wenn sich die EU mehr um humanere Aufnahmezentren sowie eine Beschleunigung der Verfahren auf europäischen Boden kümmere.

„Der Teufel steckt immer im Detail“

Viele Ziele des neuen Paktes seien "auf den ersten Blick legitim, betonte der Leiter der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI), „aber der Teufel steckt immer im Detail und wenn es schief geht, führt es zu enormen Problemen wie in Moria heute“. Ein Test für den Vorschlag der EU-Kommission könnte seiner Meinung die Frage sein: Wenn der Pakt heute auf den griechischen Inseln oder im zentralen Mittelmeer gelte, was wäre konkret anders? „Ich bin mir da nicht sicher, ob das überzeugend beantwortet ist“, fügte Knaus hinzu.

Interessen stehen sich „diametral entgegen“

Als Achillesferse des EU-Plans sieht Knaus den Willen der Nationalstaaten ihn umzusetzen. Ohne Interesse aller beteiligten Staaten – EU-Staaten, Herkunftsländern und Transitländer – werde es nicht gehen, „das haben wir die letzten Jahre gelernt“. Die Interessen stehen sich seiner Meinung nach innerhalb der EU „zum Teil diametral entgegen“. In dem Pakt sei etwa nicht klar, „was gewinnt Österreich oder Deutschland“ dadurch.