Im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen im Bezirk Baden gibt es einen dritten Coronavirus-Fall. Für die Betreuungsstelle Ost gilt bereits ein Betretungsverbot. (27.3.2020)
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Corona-Krise

Flüchtlingsheime dürfen keine „blinde Flecken“ werden

Im Hinblick auf die Corona-Pandemie zählen Flüchtlingsunterkünfte zu jenen Einrichtungen, die in Krisenzeiten besonderer Beobachtung bedürfen, betont Andreas Babler (SPÖ), Bürgermeister von Traiskirchen.

Seit knapp zwei Wochen gilt für Österreichs größte Asylunterkunft, dem Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, ein Betretungsverbot. Derzeit gibt es in der Unterkunft sieben Coronavirus-Fälle. „In einer derartigen gesundheitlichen Krise müssen wir alle aufpassen, dass aus Flüchtlingsheimen keine blinden Flecken werden. Es muss sehr genau darauf geschaut werden, wie es all den Menschen in diesen Quartieren geht und wie sich der Umgang miteinander gestaltet“, betont Babler im Interview mit volksgruppen.ORF.at. Dabei schließt der Traiskirchen Bürgermeister alle Betroffenen, sowohl die dort einquartierten Menschen als auch alle anderen Personen, die dort ihren Dienst versehen oder als Betreuerinnen und Betreuer arbeiten, ein. Aufgrund der vielen Kontaktstellen in Flüchtlingsheimen, wie etwa der gemeinsamen sanitären Anlagen, können diese zu einer besonders großen Quelle für Virusübertragungen werden.

Sieben Corona-Fälle im Flüchtlingsquartier

Der erste Fall einer Coronavirus-Erkrankung im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen wurde laut Bezirkshauptmannschaft Baden am 23. März festgestellt. Mit heutigem Stand sind sieben Personen in der Unterkunft mit dem Virus infiziert, berichtet Bezirkshauptfrau Verena Sonnleitner. Eine Person befinde sich seit über einer Woche in stationärer Behandlung. Seit dem 24. März gilt für das Flüchtlingsquartier ein Betretungsverbot. Dies bedeutet, dass auf Basis des Covid-19-Maßnahmengesetzes das Betreten und Verlassen des Erstaufnahmezentrums untersagt ist. Vom Verbot ausgenommen sind Einsatzkräfte sowie Personengruppen, die für die Betreuung und Versorgung unabdingbar sind. Die Maßnahme gilt vorerst bis nach Ostern.

Im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen im Bezirk Baden gibt es einen dritten Coronavirus-Fall. Für die Betreuungsstelle Ost gilt bereits ein Betretungsverbot. Im Bild: Ein Hinweisschreiben zum Betretungsverbot am Eingang des Erstaufnahmezentrums. (27.3.2020)
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Schaffung von drei Bereiche als Maßnahme

In der Einrichtung sind nach Angaben des Innenministeriums derzeit rund 600 Personen untergebracht. Innerhalb des Erstaufnahmezentrums wurden als Maßnahme drei Bereiche geschaffen, um Infizierte, Kontaktpersonen und den Rest der Bewohnerinnen und Bewohner räumlich trennen zu können. Sicherheitsabstände werden auf dem Gelände von Betreuungseinrichtungen „soweit wie möglich“ kontrolliert. Da aber Asylwerberinnen und Asylwerber in einem „häuslichen Verbund“ leben, bedeute dies, „dass jene Maßnahmen wie etwa Sicherheitsabstände, welche für das Zusammentreffen im öffentlichen Raum derzeit gelten, auf Asylquartiere ebenso wenig übertragen werden können wie auf private Haushalte“, hält das Innenministerium in einer schriftlichen Stellungnahme fest.

Plakate in unterschiedlichen Sprachen

Des Weiteren werden im Moment etwa keine Einzelpersonen im Zimmer mit Familienverbänden untergebracht, auch die Essensausgabe erfolgt gestaffelt, darüber hinaus wird den Bewohnerinnen und Bewohnern jeden Tag die Körpertemperatur gemessen, betont das Innenministerium. Neben persönlichen Gesprächen sind am Gelände auch Plakate in unterschiedlichen Sprachen ausgehängt, die die Menschen über das Coronavirus und die Verhaltensregeln in der Unterkunft – vom Abstandhalten bis zum Händewaschen – informieren sollen.

Ein Asylwerber liegt in seinem Bett aufgenommen, im Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen. (9.7.2015)
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„In schreckliche Hilflosigkeit zurückgeworfen“

Der Traiskirchner Bürgermeister Babler streicht die besondere Sensibilität im Umgang mit den geflüchteten Menschen hervor, die es in dieser Situation braucht. „Es sind rund 550 Menschen in einem Haus, die plötzlich erfahren, dass sie nicht mehr hinauskönnen. Es passiert irgendetwas im eigenen Umfeld und man kann sich, schon aus sprachlichen Gründen, nicht informieren, was eigentlich los ist. Sie müssen denken, dass es sich bei den Flüchtlingen meist um traumatisierte Menschen handelt, die in schreckliche Hilflosigkeit zurückgeworfen werden.“ Deshalb fordert er, dass in der Unterkunft mehr Dolmetscherinnen und Dolmetscher, psychologische Betreuerinnen und Betreuer sowie Freizeitpädagoginnen und -pädagogen zum Einsatz kommen.

Ausweichen auf leerstehende Quartier

Babler hätte sich auch erwartet, dass bereits im Vorfeld die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner in der Flüchtlingsunterkunft reduziert werde. „Es wäre natürlich gescheiter gewesen, bevor die ersten Fälle aufgetreten sind, auf leerstehende Quartiere auszuweichen. Wenn 150 Menschen miteinander in einem Quartier sind, ist das anders, als wenn man als Gruppe von 550 Menschen in einem Flüchtlingsheim gegen den Virus kämpfen muss." Im Innenministerium weist man darauf hin, dass man sehr wohl die Flüchtlinge auf die Bundeseinrichtungen verteilt hätte und in Traiskirchen mit rund 600 Flüchtlingen die Unterkunft nur zu einem Drittel belegt sei. Darüber hinaus werde seit 31. März die Betreuungseinrichtung in Schwechat für neue Asylantragsteller als Quartier genutzt, wo sie sich für die ersten beiden Wochen in selbstüberwachter Heimquarantäne befinden.

Im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen im Bezirk Baden gibt es einen dritten Coronavirus-Fall. Für die Betreuungsstelle Ost gilt bereits ein Betretungsverbot. (27.3.2020)
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Bevölkerung offensiv mit Hilfsangeboten unterstützen

In der Corona-Krise sei es für Gemeinden besonders wichtig, mit Hilfsangeboten offensiv auf alle Bürgerinnen und Bürger zuzugehen, betont Babler, um soziale Auswirkungen abzufedern. Um der Verbreitung des Virus effektiv zu begegnen, habe er bei der Bezirksbehörde urgiert, Informationen über die infizierten Personen zu bekommen. Schließlich seien diese gezwungen, ihre Quarantäne zwischendurch zu verlassen, wenn sie keine Unterstützung bekommen. „Das ist datentechnisch ein hochsensibles Gebiet, aber im Rahmen der Amtsverschwiegenheit könnten wir dann die Menschen in Quarantäne offensiv unterstützen. Man darf nicht vergessen, dass Kranke stigmatisiert werden und niemand gerne freiwillig um Unterstützung bittet. Mein Appell an die Behörde ist daher, dass wir diese Daten bekommen, um den Menschen in Quarantäne helfen können.“

„Menschen etwas zurückgeben“

Für besonders gefährdete Personen wurde von der Stadtgemeinde auch das Service eines Lebensmittel- und Medikamenten-Bringdienstes ins Leben gerufen. An diesem sozialen Dienst für die Traiskirchner Bevölkerung beteiligen sich laut Babler auch geflüchtete Menschen. „Das sind die Flüchtlinge, die in Traiskirchen geblieben sind und jetzt sagen: ‚Wir wollen den Menschen etwas zurückgeben, denn wir sind dankbar, dass wir hier aufgenommen wurden‘“.

Im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen im Bezirk Baden gibt es einen dritten Coronavirus-Fall. Für die Betreuungsstelle Ost gilt bereits ein Betretungsverbot. (27.3.2020)1
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Telefonfreundschaften gegen Vereinsamung

Um gegen die Vereinsamung der älteren Menschen in der Stadt vorzugehen, bietet der Bürgermeister mit seinem Team ein System an, dass an die einstigen Brieffreundschaften erinnert. Alle zwei Tage wird mit betroffenen Personen Kontakt per Telefon aufgenommen und damit eine Art Telefonfreundschaft gepflegt. Hinsichtlich der aktuellen Maßnahmen im Bildungsbereich sieht Babler einen immer größer werdenden Druck, der sich auf die Betroffenen aufbaut. „Ich bin am Überlegen, ob man nicht den Kindern tatsächlich ein Jahr schenken sollte, generell. Einfach um diesen Druck herauszunehmen. Das ist völlig wahnsinnig. Wir sprechen von einer der größten Gesundheitsgefährdungen. Mir ist bewusst, dass aus neoliberaler Sicht die Idee, undenkbar ist.“

Gegen Menschen verächtliche Systematiken

Auf die Frage, ob die derzeitige Krise, die aus gesundheitlicher Sicht und für viele auch wirtschaftlich eine Katastrophe ist, auch einen positiven Effekt haben könnte, meint Babler: „Ich hoffe, dass wir nach der Krise Menschen verächtliche Systematiken infrage stellen und nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“