Andreas Babler (SPÖ), Bürgermeister von Traiskirchen
DERFRITZ Grafik und Fotografie e.U.
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Bürgermeister im gespräcH

Andreas Babler: Corona-Krise und Traiskirchen

Auch im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen in niederösterreichischen Bezirk Baden gibt es seit zwei Wochen Menschen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Seitdem wurde das Betreten und das Verlassen des Flüchtlingslagers untersagt. Aus diesem Anlass baten wir Andreas Babler (SPÖ), der seit 2014 Bürgermeister der Stadtgemeinde ist, um ein Interview.

Welche Informationen bekommen Sie als Bürgermeister von Traiskirchen über die Lage im Flüchtlingslager, dem Erstaufnahmezentrum Traiskirchen?

Bürgermeister Babler: Trotz Bemühungen ist der Kontakt zwischen dem Erstaufnahmezentrum und der Gemeinde nicht reibungsfrei. Ich selbst habe – auch vor Corona – keine Zutrittsmöglichkeit. Generell ist zu sagen, wenn viele Leute auf engem Raum zusammenleben – nicht nur in Flüchtlingsheimen, auch in Pflegeheimen usw., wo zum Beispiel gemeinsame Waschmöglichkeiten benutzt werden und es viele Kontaktstellen gibt, kann das natürlich zu einer besonders großen Quelle für Virusübertragungen werden. Es hat erste Infektionen im Flüchtlingsheim gegeben. Die Bürgermeister ereilen täglich die Informationen aus der Bezirkshauptmannschaft. In unserem Fall betreffen die Zahlen der am Coronavirus infizierten alle Bürgerinnen und Bürger, aber ich weiß auch immer, wie viele Menschen in der Erstaufnahmestelle infiziert sind. Der letzte Stand ist, dass es vier Infektionen gibt, und eine Person befindet sich seit einer Woche im Krankenhaus.

Wie hat man im Flüchtlingslager auf die Infizierungen reagiert?

Bürgermeister Babler: Das Heim wurde unter Quarantäne gesetzt. Sie können sich vorstellen, dass das nicht einfach war. Da sind rund 550 Menschen in einem Haus, die plötzlich erfahren, dass sie nicht mehr hinauskönnen. Es passiert irgendetwas im eigenen Umfeld und man kann sich, schon aus sprachlichen Gründen, nicht informieren, was eigentlich los ist. Sie müssen denken, dass es sich bei den Flüchtlingen meist um traumatisierte Menschen handelt, die in schreckliche Hilflosigkeit zurückgeworfen werden. Und wenn man es verstehen, dann beginnt man nachzudenken, mit wem war ich in den letzten 14 Tagen in der Essensschlange angestellt.

Wie haben die politisch Verantwortlichen, im Fall der Erstaufnahmestelle ist das das Innenministerium, auf das mögliche Auftreten von Corona reagiert?

Bürgermeister Babler: Mir scheint, dass vom Innenministerium relativ wenig Vorsorge in der Frage der Flüchtlingsheime getroffen worden ist. In einer derartigen gesundheitlichen Krise müssen wir alle aufpassen, dass aus Flüchtlingsheimen keine „blinden Flecken“ werden. Es muss sehr genau darauf geschaut werden, wie es all den Menschen in diesen Quartieren geht und wie sich der Umgang miteinander gestaltet. Dabei handelt es sich neben den Geflüchteten auch um jene, die ihren Dienst an der Republik versehen – von den Beamten, über das ORS, bis zu den Betreuerinnen und Betreuern. Nachdem man die Infektionen eruiert hatte, hat man drei verschiedene Bereiche im Flüchtlingsheim geschaffen, um die Infizierten, mit jenen, die mit ihnen Kontakt hatten, zu trennen, bis die Testergebnisse da sind. Darauf wird geachtet.

Das spricht doch für eine angemessene Reaktion auf die Infektionen? Wo sehen sie konkret Mängel?

Bürgermeister Babler: Was ich nicht verstanden habe, sage ich ihnen ganz ehrlich, war, dass man nicht schon im Vorfeld probiert hat die Größenordnung zu reduzieren. Es wäre natürlich gescheiter gewesen, bevor die ersten Fälle aufgetreten sind, auf leerstehende Quartiere auszuweichen. Wenn 150 Menschen miteinander in einem Quartier sind, ist das anders, als wenn man als Gruppe von 550 Menschen in einem Flüchtlingsheim gegen den Virus kämpfen muss.

Im Bundesministerium für Inneres weist man darauf hin, dass die Flüchtlinge sehr wohl auf die Bundeseinrichtungen verteilt würden und man die Menschen über die neuen Verhaltensregeln informiere. Wie läuft die Information?

Bürgermeister Babler: Da genügt es nicht ein paar Plakate in den Muttersprachen der Geflüchteten aufzuhängen. Mir ist klar, dass es nicht leicht ist die Menschen wirklich zu informieren, weil nicht viel Dolmetschkapazität da ist. Es braucht da mehr Menschen, die den Geflüchteten in ihrer Sprache mit der richtigen Tonalität erklären, dass sie Abstand halten sollen. Deshalb habe ich öffentlich, aber auch in Absprache mit der Lagerleitung vor Ort, gefordert, dass sich das Innenministerium um mehr DolmetscherInnen, psychologische Kräfte und FreizeitpädagogInnen kümmern soll, um mit den Geflüchteten eine Tagesstruktur zu erarbeiten.

Sprachliche Defizite – dass Menschen in Österreich nicht oder nicht gut genug Deutsch können – werden als Gefahr gesehen. Nämlich dass Menschen den Virus weitertragen könnten, weil sie die Gefahr der Krankheit nicht erkennen?

Bürgermeister Babler: Da schwingt immer mit, dass sozial schwache MigrantInnen eine Gefahr darstellen. In diesem Fall, weil sie nicht Deutsch können. In der Geschichte waren es Konzerne, die billige Arbeitskräfte nach Österreich holten und wir ihnen keine Integrationsmöglichkeiten angeboten haben. Wir haben in Traiskirchen noch alte Familienstämme, auch im türkischen Bereich, die zu Hause nicht gut türkisch sprechen, da Mitglieder dieser ersten Generation in der Türkei keine hohe Schulbildung gehabt haben. Die Voraussetzung, wenn man eine Fremdsprache erlernen will, ist – und das haben alle in der Stadt verinnerlicht, dass man die eigene Muttersprache auf einem guten Niveau spricht. Das war immer unser Ansatz und ich brauche ihnen nicht sagen, was die extreme Rechte dazu immer wieder formuliert hat. Die Leute müssen gut Türkisch, die müssen gut die slawischen Sprachen lernen. Für uns heißt das, dass wir Sprachkurse organisieren, damit alle Generationen dann relativ schnell auch Deutsch lernen können.

Berichte von Betroffenen zeigen, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen auch Rassismus mit sich bringen. Es wird ein Schuldiger gesucht und die Fremden werden da oft zu Opfern. Beobachten Sie solche Tendenzen in ihrer Stadtgemeinde?

Bürgermeister Babler: Da habe ich grundsätzlich die Meinung: Wer Flüchtlinge, egal in welcher Situation zu Sündenböcken macht, ist ein Idiot. Das sage ich in aller Deutlichkeit. Jeder, der sich die Auswirkungen des Coronavirus ansieht, sieht, dass alle Menschen davon betroffen sein können. Alle Familien, ob nun geflüchtet oder nicht, haben Angst, sich zu infizieren. Wobei die Geflüchteten in den Massenquartieren in einer schwierigeren Situation sind und sich schwerer schützen können als Menschen in Wohnungen.

Und wie sieht es mit den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise in Traiskirchen aus? Welche Maßnahmen und Initiativen haben Sie für ihre Bürgerinnen und Bürger getroffen?

Bürgermeister Babler: Wie überall gibt es bei uns Auswirkungen, es gibt natürlich Arbeitslose, die Leute gehen in Kurzarbeit und viele haben Angst, dass sie ihren Arbeitsplatz langfristig verlieren. Wir versuchen von der Gemeinde her, die sozialen Auswirkungen der Krise abzufedern. Wir haben Lebensmittel-Bring- und den Medikamentendienst für gefährdete Bürgerinnen und Bürger sowie für Vorerkrankte ins Leben gerufen. Schön ist, dass sich bei diesen sozialen Diensten für die Traiskirchner Bevölkerung Geflüchtete beteiligen. Das sind die Flüchtlinge, die in Traiskirchen geblieben sind und jetzt sagen: Wir wollen den Menschen etwas zurückgeben, denn wir sind dankbar, dass wir hier aufgenommen wurden.

Wissen Sie wie es ihren älteren Bürgerinnen und Bürgern geht, die ja per se zur gefährdeten Gruppe gehören?

Bürgermeister Babler: Unsere Leute rufen aus dem Homeoffice die Menschen an, um zu erfahren, wie es ihnen geht. Oft erkennen ältere Bürgerinnen und Bürger gar nicht die Möglichkeit, sich offensiv mit einem Anliegen bei uns zu melden. Um gegen die Vereinsamung unserer Älteren vorzugehen, bieten wir ein System an, dass man früher als Brieffreundschaft bezeichnet hätte. Alle zwei Tage wird Kontakt aufgenommen und eine Telefonfreundschaft gepflegt. Wir sind dabei 2.500 Menschen durchzurufen, um deren Isolation zu durchbrechen und so ein soziales Netzwerk zu spinnen.

Wissen Sie wie viele Bürgerinnen sich in Traiskirchen in Selbstquarantäne befinden?

Bürgermeister Babler: Da sprechen sie einen wunden Punkt an. Wir wissen behördlich, dass sich rund 140 Personen in Selbstquarantäne befinden. Ich frage mich, was machen diese Menschen, wenn sie niemanden haben, der sie versorgt. Sie werden gezwungen sein, kurz einmal Lebensmittel kaufen zu gehen. Daher habe ich bei der Bezirksbehörde urgiert, dass wir als Bürgermeister wissen müssen, wer sich infiziert hat. Das ist datentechnisch ein hochsensibles Gebiet, aber im Rahmen der Amtsverschwiegenheit könnten wir dann die Menschen in Quarantäne offensiv unterstützen. Man darf nicht vergessen, dass Kranke stigmatisiert werden und niemand gerne freiwillig um Unterstützung bittet. Mein Appell an die Behörde ist daher, dass wir diese Daten bekommen, um den Menschen in Quarantäne helfen können.

Die Schulkinder werden, obwohl Betreuung in allen Schulen angeboten wird, fast ausschließlich zu Hause unterrichtet, was zu großen Spannungen führt? Wie gehen Sie damit in Traiskirchen um?

Bürgermeister Babler: Es geht darum, dass man eine solidarische Stadtgemeinschaft pflegt und aufeinander schaut und niemanden zurücklässt. Das gilt für einen Geflüchteten genauso wie für eine alleinerziehende Mutter, die mit zwei Kindern auf 55 m2 sitzt und jetzt versucht, Beruf und die Bildung ihrer Kinder unter einen Hut zu bringen. Im Kontakt mit unseren 20 Bildungseinrichtungen sehe ich wie von allen Seiten immer mehr Druck aufgebaut wird. Ich bin am Überlegen, ob man nicht den Kindern tatsächlich ein Jahr schenken sollte, generell. Einfach um diesen Druck herauszunehmen. Das ist völlig wahnsinnig. Wir sprechen von einer der größten Gesundheitsgefährdungen. Mir ist bewusst, dass aus neoliberaler Sicht die Idee undenkbar ist.

Dieses Zusammenleben auf engstem Raum und der Druck von dort aus Leistungen im Bildungs- und Arbeitsbereich abzuliefern, kann zu gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Familien führen. Haben sie auf diesem Gebiet Initiativen gesetzt?

Bürgermeister Babler: Ich habe auch mit den Leiterinnen der Bildungseinrichtungen gesprochen und sie gebeten, wenn sie Information darüber haben, dass in Familien Gewalt ein Thema ist, dass sie uns informieren sollen. Es geht uns nicht um Abrechnung, sondern um konkrete Hilfestellung für die Opfer jedes Alters. Wir haben mit Kriseninterventionen und Kinderschutzintervention gute Erfahrungen gemacht. Leute in Bedrängnis haben oft gar nicht die Möglichkeit sich zu melden, daher bieten wir, wenn wir davon erfahren, aktiv Hilfe an.

Glauben Sie, dass in dieser Krise, die aus gesundheitlicher Sicht und für viele wirtschaftlich eine Katastrophe ist, auch Raum für neue gesellschaftliche und politische Ideen und Lebenskonzepte bietet?

Bürgermeister Babler: Jetzt in der Krise zeigt sich, dass der freie Markt nicht alles regeln kann für die Menschen. Es wird klar, dass die Frauen und Männer, die das Land jetzt am Laufen halten und ihren Dienst an der Gesellschaft tun, jene sind, die oft am wenigsten verdienen, während sich Menschen Dividenden für nichtproduktive Arbeit ausschütten und Spekulation nicht besteuert wird. Ich hoffe, dass wir nach der Krise Menschen verächtliche Systematiken infrage stellen und nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.