Schriftsteller Michael Stavaric
© Yves Noir
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Literatur

„So etwas wie Wahrhaftigkeit ist für mich persönlich einfacher in alten Erzählungen oder Mythen zu finden" | Michael Stavarič

Elaine Duval ist eine der zentralen Gestalten des neuen Romans „Fremdes Licht“ vom österreichisch-tschechischen Schriftsteller Michael Stavarič, in dem die Vergangenheit zu einer neuen Zukunft wird und wo die Grenze zwischen der Welt der ursprünglichen Lebensphilosophie, geleitet von Naturordnung, und der Welt der modernen Technologie so dünn und fluid ist wie ein Fenstertau, der blitzschnell verschwindet, wenn es wärmer wird.

Radio Dráťák Magazin

6.4.2020 | 21:10 | Radio Burgenland Livestream

Auch diese Woche setzen wir unseren Literaturmarathon fort. Der diesmalige Gast des Radio Dráťák ist der in Brno geborene und in Wien lebende – also wenn er gerade nicht verreist ist – Schriftsteller und Übersetzer Michael Stavarič.

Nordlicht
alexander kuznetsov | reuters

Stavaričs Roman „Fremdes Licht“ erschien heuer im März im deutschen Verlag Luchterhand. Auch wenn Buchläden noch weiterhin verschlossen haben, kann man das Buch online bestellen.

Machen Sie es sich bequem und lassen Sie sich in der aktuellen Sendung in Stavaričs Literaturwelt entführen. Gleich zu Beginn hören Sie, warum er sich im Roman gerade fürs Milieu der Inuit, Grönland und eine Heldin mit einer nicht ganz gewöhnlichen Lebensgeschichte entschied:

"Es hängt eigentlich mit meinem ersten Roman zusammen, in dem es eine Protagonistin namens Elisa gibt. Die neue Protagonistin Elaine ist in gewisser Weise immer noch diese Elisa. Der erste Roman heißt ‚Stillborn‘ und Elisa kokettiert dort ständig und kämpft mit Feuer. Am Ende des Buches verschwindet sie im Wintersturm, im Schnee.

Elaine von ‚Fremdes Licht‘ lebt in diesem Winter, die die Stafette jetzt für mich übernahm. Für die Inuit und den Winter war es dann ziemlich leicht sich zu entscheiden. Ich las etliche Bücher über sie, beschäftigte mich mit ihrer Sprache, die mir sehr gefällt, vor allem ihre Schrift, die ich für „Futurismus" halte. Ich erspürte, dass mich auch das Abenteuer in ihren Erzählungen und Mythen fasziniert. ‚Fremdes Licht‘ ist eigentlich ein Buch, das vor allem von Abenteuern handelt.“

Michael Stavarc Fremdes Licht Roman
Luchterhand

Michael Stavarič | „Fremdes Licht“ | Luchterhand | 512 Seiten | 22,70 Euro

Roman, in dem Vergangenheit zur neuen Zukunft wird

Mit vorheriger Woche kam ein neuer Monat, kalendarisch ist auch der Frühlingsbeginn schon da, aber die Tage waren bis vor kurzem oftmals kühl und Nächte sogar frostig. Trotzdem nicht so frostig wie dort, wo Elaine sich gerade befindet. Unbekannte Landschaft, verlassener und unbewohnbarer Ort. Überall herum nur gefrorener Schnee; die Luft, die Elaine aus Lungen ausatmet, nimmt mit sich nicht nur ein verwirrtes Gefühl von Fragen, die in einer unendlichen Achterbewegung durch ihren ganzen Körper zirkulieren, sondern sind das vor allem Erinnerungen, die ihr genauso wie Nebel ihre nächsten Schritte enthüllen, in einer Umgebung, in der jeder andere Sterbliche sein Ende bald finden würde.

Elaine zur nordischen Göttin

24. Jahrhundert. Ein unbekannter Planet. Überall nur Schnee, Eis, eine eingefrorene Landschaft. Elaine ist höchstwahrscheinlich die einzige Überlebende der Flucht von der Erde, deren Lauf große Konzerne übernahmen und die folgend von einem Komet getroffen wurde. Langsam beginnen aber ihre Erinnerungen zurückzukehren. Ihr Großvater zeigte ihr, wie man unter unbarmherzigen, kalten Bedingungen überlebt. Einst lebte er nämlich bei Inuit in Grönland. Sie erinnert sich auch allmählich daran, dass sie in einem Schweizer Konzern als Genforscherin arbeitete und sich mit Lebensrekonstruktion beschäftigte. Jedoch ahnt sie noch nicht, wie dies alles mit ihrer grönländischen Urgroßmutter zusammenhängt.

Leseprobe
„Der Großvater erzählte mir einst, wenn ich träume, gehöre mir die ganze Welt, dass ich alles sein und bedenken könne, das gesamte Universum läge mir schließlich zu Füßen. Ganz egal, was du dir vorstellst, Elaine, irgendwo ist es längst Realität oder könnte ganz leicht zu dieser werden, behauptete er zuversichtlich. Ich stellte mir schon als Kind die unmöglichsten Dinge in meinen Träumen vor, um möglichst weit durch den Kosmos zu reisen, ich wollte etwas über das große Ganze erfahren, in welches die Erde und die Menschheit gebettet lagen.“
(Elaine Duval im Michael Stavaričs Roman „Fremdes Licht“)

So könnte man einen Teil des dystopischen Romans „Fremdes Licht“ von Michael Stavarič kurz inhaltlich zusammenfassen. Das Werk besteht aber aus sowohl mehreren zeitlichen, als auch räumlichen Ebenen. Die andere inhaltliche Linie enthüllt die Sicht eines nordischen Polarforschers aus dem 19. Jahrhundert, aus der Zeit der großen Entdeckungen und der Anfänge der technischen Errungenschaften.

Ende der Menschheit | Menschlichkeit kommt mit Verlust der Natur

Über ursprüngliche Bewohner der Erde ist heute ihre so nahe Beziehung zu Natur und ihr Wissen über die Universumssubstanz selbst allgemein bekannt, als ob es ihnen in die Wiege gelegt worden wäre. Bewerten Leser/innen nach dem Lesen des Romans ihre Lebensprioritäten um? „Daran glaube ich stark. Das Buch erzählt auch davon, wie unsere Gesellschaft immer mehr pervertiert und der Verlust der Natur ist offensichtlich auch ein Ende der Menschheit und Menschlichkeit“, antwortet Stavarič.

Realität während der Corona-Krise | „Uns Künstlern droht Insolvenz“

Die Einladung des tschechischen Magazins Radio Dráťák nahm der renommierte österreichische Schriftsteller mit mährisch-kroatischen Wurzeln Michael Stavarič an. Die jüngsten, nicht gerade positiven Ereignisse erschütterten das Kulturleben und auch Schriftsteller sind hier keine Ausnahme.

„Es ist eine absolute Katastrophe und das übertreibe ich nicht. Uns allen droht Insolvenz. Der Bücherverkauf ist zu nichts zu gebrauchen. Davon lebt eigentlich nur ein kleiner Teil der Schriftsteller. Autoren verdienen einen Euro für ein Buch, wenn zum Beispiel ein Buch 20 Euro kostet. Jeder kann berechnen, wie viel verkauft werden müsste. Wir leben offensichtlich von anderen Dingen, vor allem von Lesungen, Workshops, Schulprojekten usw. Ich habe alles rund um meinen neuen Roman verloren und er ist so etwas wie mein Opus Magnum. Ich habe also bisher 0 Euro verdient. Wenn im Herbst alles wieder normal sein wird, dann erscheinen Tausende neuer Bücher, um die Frankfurter Buchmesse herum, aber ich werde davon gar nichts mehr haben“, beschreibt Stavarič die gegenwärtige Situation und setzt fort:

„Die finanzielle Unterstützung Österreichs zeigt sich bisher im sogenannten ‚Härtefonds‘. Die Phase 1 bedeutet 500 bis 1000 Euro für selbstständige Künstler als Soforthilfe. Angeblich wird es auch die Phase zwei geben, aber das ist noch nicht ganz sicher. Aber was man dazu noch sagen kann: Für Künstler sind 5 Mio. Euro reserviert und für Taxifahrer (Betriebe) 15 Mio. Euro. Das sagt wahrscheinlich alles.“

„Něco jako pravdivost je pro mě osobně lehčí najít ve starých povídkách nebo mýtech“ | Michael Stavarič

Michael Stavaric Schriftsteller
orf | pavla rašnerová

Das Magazin Radio Dráťák wird jeden Montag um 21:10 auf Radio Burgenland ausgestrahlt. In der aktuellen Sendung werden Sie den Schriftsteller Michael Stavarič hören.