Schriftsteller Michael Stavarič Tandemlesung in Olmütz Buchmesse Leipzig
orf | pavla rašnerová
orf | pavla rašnerová
Radio Dráťák Magazin

„Nur die Sprache ist mir aus der Tschechoslowakei geblieben“ | Michael Stavarič

„Ich freue mich sehr, dass ich das Tschechische habe. Hätte ich nur das Deutsche und nur auf Deutsch schriebe und keine andere Sprache hätte, die ich geistlich beherrsche, dann glaube ich, dass ich vielleicht keine Romane schriebe“, verrät in Wien lebender Autor mit mährischen Wurzeln Michael Stavarič.

On demand | Radio Dráťák | 8.7.2019

Radio Dráťák Magazin

8.7.2019 | 21:10 | Radio Burgenland Livestream

Die Tschechische Republik war heuer zu Hauptgast der Leipziger Buchmesse. Nach ihrer Beendung folgte eine Reihe tschechisch-deutscher Tandemlesungen. Auf eine begab auch ich mich, und zwar in die Hanakei Metropole nach Olmütz, das im Jahre 2000 in die UNESCO-Liste aufgenommen wurde.

Noch Mitte Mai traf ich da einen charismatischen Europäer und Nomaden, den renommierten Schriftsteller Michael Stavarič. Unser Interview startete beim tschechischen Bier in Hanácká hospoda auf dem Unteren Platz, dem die Mariensäule und der Jupiterbrunnen dominieren, umgegeben von historischen Häusern mit Renaissance- und Barockfassaden.

Schriftsteller Michael Stavarič Tandemlesung in Olmütz Buchmesse Leipzig
orf | pavla rašnerová
Schriftsteller Michael Stavarič, Mai 2019, Olmütz

Michael Stavarič ist in Brünn geboren. Als er sieben Jahre alt war, im Jahre 1979, entschieden sich seine Eltern zu emigrieren und so ist ihr neues Zuhause allmählich Österreich geworden, konkret die niederösterreichische Stadt Laa an der Thaya im Nordteil des Weinviertels. Die Abschaffung der physischen Grenze zwischen Österreich und der damaligen Tschechoslowakei stellt einen unauslöschlichen Einschnitt auch im Leben unseres heutigen Gastes des Magazins Radio Dráťák dar:

Schriftsteller Michael Stavarič Tandemlesung in Olmütz Buchmesse Leipzig
orf | pavla rašnerová

Ganze zehn Jahre dauerte es bis er wieder über die österreichisch-tschechoslowakische Grenze schauen und an die Verbindung mit der Landschaft seiner Kindheit anknüpfen konnte.

„Die Grenze kannte ich immer sehr verschlossen, hermetisch und das Jahr 1989 veränderte das sehr schnell für uns alle. Nach diesem Jahr besuchte ich nach langer Zeit wieder meine Oma und meine Großväter in Havlíčkův Brod und Brünn. Es war wirklich eine große Sache. Die Tschechoslowakei war für mich immer mit meiner Kindheit verbunden. Schon als junger Mensch hatte ich eher sentimentale Erinnerungen, wie es früher war, dort irgendwo Fische zu angeln und im Wald Pilze suchen zu gehen usw., also ziemlich schöne Gedanken und auch irgendwelche Märchenkontexte schlängelten sich darin bei mir durch. Danach, auf einmal, war das Land wieder etwas sehr Konkretes. Für mich war es dann wichtig, was mit mir weiter los ist, wenn ich die Möglichkeit haben werde, in die Tschechoslowakei zu fahren und ob das bei mir etwas ändert und ob ich mich wieder mehr als Tscheche fühlen werde und weniger als Österreicher.“

„Das, worüber ich immer staune, ist, dass es zu keiner großen Verbindung oder Verständnis zwischen Tschechen und Österreichern kam. Die Grenze ist zwar geöffnet und selbstverständlich passierte vieles in bilateralen Kontexten, aber ich bezweifle, dass Menschen zurzeit wirklich befreundet sind und dass man den Eindruck hätte, dass Südtschechien und Nordösterreich für eine gemeinsame Region gehalten werden“, erzählt Michael Stavarič, Schriftsteller und Übersetzer, der nach dem Studium der Wiener Bohemistik und Publizistik unter anderem auch als Sekretär des ehemaligen tschechischen Botschafters in Wien Jiří Gruša arbeitete.

Schriftsteller Michael Stavarič Tandemlesung in Olmütz Buchmesse Leipzig
orf | pavla rašnerová
Von links: Schriftsteller Michal Ajvaz und Michael Stavarič, Erkan Osmanovic | Österreichische Gesellschaft für Literatur und Dolmetscherin Kateřina Krause
Schriftsteller Michael Stavarič Tandemlesung in Olmütz Buchmesse Leipzig
randomhouse.de
Der bisher neueste Roman vom Schriftsteller Michael Stavarič „Gotland“ aus dem Jahre 2017, herausgegebener im deutschen Verlag Luchterhand. Seine Hauptthemen sind Gottessuche, Bibel, Glaube und Katholizismus.

In einer unserer nächsten Sendungen können Sie sich auf das Interview mit dem tschechischen Dichter und Schriftsteller Michal Ajvaz freuen, der zusammen mit Stavarič in Olmütz literarisch auftrat.

Mitte Mai las Schriftsteller Michael Stavarič an der Palacký-Universität in Olmütz aus seinem neuesten Roman „Gotland“ und Dichtersammlung „in an schwoazzn kittl gwicklt“. Seine Werke erreichten schon eine Reihe von Auszeichnungen, unter anderem auch den Adelbert-von-Chamisso-Preis oder den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis. Wie er selbst behauptet, ist es sehr wahrscheinlich, dass er sich ohne das Tschechische der eigenen literarischen Tätigkeit nicht so intensiv widmen würde oder überhaupt:

„In der letzten Zeit interessiere ich mich mehr für die Linguistik. Aus der Sicht eines Schriftstellers beginne ich die Sprache mehr zu vergleichen, das Deutsche mit dem Tschechischen und inzwischen auch ein bisschen mit dem Englischen und die Etymologie usw. und wie sich was entwickelte, wo und warum und wie die Syntax ist und was ich in meiner Schreibsprache, also im Deutschen, was z.B. aus dem Tschechischen darin einpacken und damit arbeiten kann und ob ich auch einen Neologismus im Deutschen erfinden kann, der aber aus dem Tschechischen herkommt. Aus diesem Gesichtspunkt habe ich den Eindruck, dass es für mich zurzeit mehr Sinn ergibt. Die Zweisprachigkeit war für mich sehr wichtig; sich mit Büchern und Übersetzungen zu beschäftigen beginnen, übersetzen und dann schreiben und danach noch glauben, dass ich daraus meinen Beruf mache. Das alles wäre ohne das Tschechische wahrscheinlich nicht möglich“, sagt der Autor.

Das freundliche Interview, das beim tschechischen Bier startete, endete mit einem neuerlichen Anfang. Michael Stavarič spricht in der aktuellen Volksgruppensendung auch über seine neuesten literarischen Erscheinungen.

Schriftsteller Michael Stavarič Tandemlesung in Olmütz Buchmesse Leipzig
orf | pavla rašnerová
Schriftsteller Michael Stavarič, Mai 2019, Olmütz

Die tschechisch-deutsche Tandemlesung in der Bibliothek der Palacký-Universität wurde von dem Goethe-Institut Prag in Kooperation mit der Mährischen Landesbibliothek in Brünn und der Wissenschaftlichen Bibliothek in Olmütz veranstaltet.

Schriftsteller Michael Stavarič Tandemlesung in Olmütz Buchmesse Leipzig
orf | pavla rašnerová

Článek v češtině | Rádio Dráťák Magazín | 8.7.2019 | „Řeč je to jediné, co mně přes ta léta z Československa zůstalo“ | Michael Stavarič

Das Interview mit Michael Stavarič und die kurze Aufnahme der Olmützer Lesung (die Abraham-Geschichte aus seinem bisher neuesten Roman „Gotland“) wurden für die aktuelle Sendung von Pavla Rašnerová vorbereitet, die Sie auch durch das Radio Dráťák begleitet. Das Magazin für die tschechische Volksgruppe in Österreich wird jeden Montag um 21:10 Uhr auf Radio Burgenland ausgestrahlt.