Schriftsteller Michael Stavarič Tandemlesung in Olmütz Buchmesse Leipzig
orf | pavla rašnerová
orf | pavla rašnerová
literatur

„Fremdes Licht“ von Michael Stavarič

Schlägt man einen Roman von Stavarič auf, lässt man sich auf Gewaltiges ein. Das hat er 2017 mit dem furiosen „Gotland“ bewiesen, in dem er seinen Protagonisten auf der schwedischen Insel auf Gottessuche schickte. In seinem neuen Werk „Fremdes Licht“ geht der österreichisch-tschechische Schriftsteller nicht nur geografisch einen Schritt weiter: Zwischen Grönland und Weltall entspinnt sich ein wilder Ritt durch die Zeit.

Zum Glück steht der Frühling an – denn auf den über 500 Seiten des bei Luchterhand erschienenen Romans ist es die meiste Zeit bitterkalt. Im Zentrum des Geschehens steht die Ich-Erzählerin Elaine, die im 24. Jahrhundert nach der überhasteten Flucht von der untergehenden Erde als scheinbar einzige Überlebende auf einem fremden Planeten gestrandet ist, der lediglich aus Eis und Schnee zu bestehen scheint. Während sie im eisigen Wind gegen das Erfrieren ankämpft, erinnert sie sich an ihre Kindheit zurück, in der ihr der in Grönland lebende Großvater das Überleben in der Kälte beibrachte, ihr Geschichten von ihren Inuit-Vorfahren erzählte und sie in die bildreiche Sprache des Volks einführte.

Michael Stavarc Fremdes Licht Roman
Luchterhand

Kunstvoll verschränkt Stavarič Zeiten und Orte, entführt in die Geheimnisse der künftigen Gentechnik oder flicht geheimnisvolle Zeichen (der Inuit-Sprache Inuktitut) ein, die das semantische Rückgrat Elaines bilden. Dazwischen finden sich allerlei Listen – etwa von Raumschiff-Passagieren, die auf die Frage „Wer sind Sie wirklich?“ antworten, eine Liste der „Lieblingsentdecker“ der jungen Elaine, oder die vielfältige Bedeutung des Wortes „Thule“. Fährten, die scheinbar oft ins Nichts führen, manchmal schlicht Ausdruck von unbändiger Sprachlust sind, aber manchmal auch Anknüpfungspunkte für später bilden.

Elaines Erinnerungen an die Zeit vor der Flucht tauen nach und nach auf. So war sie in der Schweiz als Genforscherin tätig und widmete sich in einer von Lichtkriegen gezeichneten Welt der Rekonstruktion von Leben. Da war auch ihr Kindheitsfreund Dallas, der zuletzt als Kapitän jenes Raumschiffes fungierte, mit dem ihr nach dem letalen Kometeneinschlag auf der Erde gemeinsam mit anderen die Flucht in den Orbit gelang. Wie lange sie im eigens konstruierten „Schlafkokon“ im „Kälteschlaf“ geblieben war, erfährt Elaine hingegen nie. Nun haust die junge Frau, die im Halbschlaf von der Stimme des Großvaters angetrieben wird, zwischen den Wrackteilen ihrer Forschungsstation. „Sinnaliuqpuq, versuch zu schlafen, ganz egal, was der Frost auch im Schilde führt“, hört sie ihn flüstern.

Michael Stavarič | „Fremdes Licht“ | Luchterhand | 512 Seiten | 22,70 Euro

Schlussendlich entschließt sie sich, die vom Absturz unbeschadet gebliebene Reproduktions-Maschine anzuwerfen, um ihren Auftrag zu erfüllen: Auf dem neuen Planeten – den sie kurzerhand Winterthur nennt – erschafft Elaine aus in ihrer Quantendatenbank gespeicherten Informationen neues Leben und ist fortan nicht mehr allein. Hier könnte „Fremdes Licht“ – wenn auch unbefriedigend – enden. Doch Michael Stavarič wartet mit einem zweiten Teil auf, den man erst im Laufe der Lektüre zu dekodieren lernt.

Schriftsteller Michael Stavarič Tandemlesung in Olmütz Buchmesse Leipzig
orf | pavla rašnerová
Österreichisch-tschechischer Schriftsteller Michael Stavarič

Der Leser wird dabei zusehends zu Detektiv: Wo hat man schon davon gelesen? Welche Hinweise auf den Ausgang der Handlung gab es im ersten Teil des Buchs? Wie hängt alles zusammen? Diese Fragen beantwortet Stavarič lediglich zwischen den Zeilen. Und dennoch entsteht am Ende ein Bild, das man so schnell nicht mehr vergisst.

Da tauchen Menschen und Geschichten auf, die bereits zuvor in Nebensätzen fielen. So lässt der in Brünn geborene Autor, dessen Zweitberuf als Lyriker auch in der Prosa für einen einnehmenden Ton sorgt, die Zeit zurückschnalzen. Wir finden uns am Ende des 19. Jahrhunderts wieder, als norwegische Abenteurer nach Grönland aufbrechen, um das Unbekannte zu vermessen. Wir stoßen auf Elaine/Uki – eine Vorfahrin der Elaine des 24. Jahrhunderts, deren tragische Geschichte sich in den Erzählungen der Inuit über die Zeiten hinweg gehalten hat. Stavarič entführt auf ein Schiff, das über den Atlantik bis nach New York reist und das wissbegierige Innuit-Mädchen bis nach Chicago spült, wo sie bei der Weltausstellung in der „Weißen Stadt“ verschwindet.

Wer nicht genug bekommen hat, dem gibt Stavarič noch ausgiebige Lektüreempfehlungen zur Hand, die von einer Zusammenstellung arktischer Fauna bis zu Alan Dean Fosters „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ reichen. Auch für die Ohren wird gesorgt: Mit einer zehn Titel umfassenden Playlist von Tom Waits bis zu Chicks on Speed.