Ceija Stojka 2003
Rainer Jensen | DPA
Rainer Jensen | DPA
Roma sam

Bergen-Belsen | Vom KZ zur Gedenkstätte

„Ich finde die Gemälde sehr berührend. Ich kann mich daran erinnern, als es eine Ausstellung in Bergen-Belsen gab. Das war kurz, nachdem ich begonnen habe, dort zu arbeiten. Deswegen sind mir diese Bilder sehr in Erinnerung geblieben, weil die meinen ersten Eindruck von Bergen-Belsen geprägt haben“, erzählt die deutsche Historikerin Stephanie Billib über die Gemälde von Ceija Stojka.

On demand | Roma sam | 21.10.2019

Gedenkstätten als sichtbare und erzählende Zeitzeugen

Roma sam

21.10.2019 | um 20:50 Uhr | Radio Burgenland livestream

Der Gast der aktuellen Sendung ist die Historikerin Stephanie Billib von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, die Trägerin der Gedenkstätte Bergen-Belsen ist.

Sie waren Orte der irrsinnigsten Alpträume, die nach dem Aufwachen fortgesetzt wurden, Orte, an denen das Blut in den Adern vor Grauen erstarrte, Orte, an denen nur die Augen selbst mit lautester Furcht schrien, Orte, an denen das Wort „Menschlichkeit“ aus dem Wortschatz vollkommen verschwand.

Nach ihrer Befreiung wurden sie auf den ersten Blick zu vereinsamten, verstummten Landschaften, derer Geschichten durch das Flüstern der dortigen Baumblätter und Vögel überliefert wurden. Viele der ehemaligen Konzentrationslager Europas verwandelten sich in Orte, die Zuflucht boten oder im Gegenteil, in denen Bestialität weiterherrschte. An manchen blühten aber in Kürze Gedenkstätten auf.

Eine solche ist die Gedenkstätte Bergen-Belsen, das ehemalige Konzentrationslager in Niedersachsen. In den Jahren 1943-45 kamen hier ungefähr 110.000 Menschen ums Leben, darunter auch mindestens 1.800 Roma und Sinti, die die vor allem aus Deutschland, Österreich und Ungarn waren. Nach einem langen Weg von Verfolgung und Leiden aus anderen KZ erreichten sie schließlich dieses Lager.

Gedenkstaette Begen-Belsen
Klemens Ortmeyer | befreiung1945.de
Gedenkstätte Bergen-Belsen | Inschriftenwand und Obelisk, 2012

Die erste offizielle Gedenkstätte in Deutschland

Stephanie Billib
VWI
Stephanie Billib | Bergen-Belsen Gedenkstätte

Im Rahmen des Forschungsprojekts „Accessing Campscapes: Inclusive Strategies for Using European Conflicted Heritage“ referierte bei der Abschlusskonferenz, die am Donnerstag im Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust Studien stattfand, auch die Historikerin Stephanie Billib von der Gedenkstätte Bergen-Belsen, in der sie im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit arbeitet.

„Bergen-Belsen ist die erste offizielle Gedenkstätte in Deutschland gewesen. Sie ist 1952 vom damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss eingeweiht worden. Das war wirklich ein sehr früher Zeitpunkt. Schon vorher hatte die britische Militärregierung gleich gefordert, dieser Ort muss sichtbar bleiben und es braucht eine offizielle Gedenkstätte“, erklärt Billib.

Stephanie Billib
VWI
Team des Forschungsprojekts „Accessing Campscapes: Inclusive Strategies for Using European Conflicted Heritage“ vor dem Gebäude des Wiener Wiesenthal Instituts für Holocaust Studien

Projekt „Accessing Campscapes“ | Transformation der Lager zu Erinnerungsorten

Die in Wien präsentierte Ergebnisse des Projekts „Accessing Campscapes“, das im Rahmen des HERA Joint Research Programme “Uses of the Past" vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde, informierten über „die Transformation von ehemaligen nationalsozialistischen und stalinistischen Lagern zu materiell überformten und umstrittenen oder vergessenen Erinnerungsorten“, wie es in der Projektbeschreibung steht. Es beteiligten sich daran mehrere europäische Universitäten und Gedenkstätten.

Hören Sie, wie die Gedenkstätte Bergen-Belsen heutzutage aussieht und wie sich ihr Weg vom Konzentrationslager zur Gedenkstätte entwickelte.

Stephanie Billib von der Gedenkstätte Bergen-Belsen berichtete von der Bedeutung und Dringlichkeit, sich auch mit Tätern und dem Thema Täterschaft auseinanderzusetzen. Geschichten wie z.B. der Wachleute oder der Menschen, die in der Verwaltung waren, weiterzuerzählen, was hat sie motiviert, warum haben sie so gehandelt und wie waren ihre Biographien „und dann zu schauen, ok, was für ein Rückschluss kann ich da daraus für mein eigenes Leben ziehen“, so Billib.

Die Angeklagten im Bergen-Belsen-Prozess Hertha Ehlert, Irma Grese und Ilse Lothe am 17. September 1945 (von links nach rechts).
picture alliance | AP Photo, Frankfurt am Main
V.l.n.r.: Die Angeklagten im Bergen-Belsen-Prozess Hertha Ehlert, Irma Grese und Ilse Lothe am 17. September 1945

Die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, zu der Bergen-Belsen auch als Einrichtung gehört, hat zurzeit gerade ein großes Projekt mit dem Titel „Kompetent gegen Antiziganismus“

„In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt“

Der 27. Oktober 1979 gilt als ein Meilenstein der deutschen Sinti und Roma Volksgruppe. Auf dem Gelände der Gedenkstätte Bergen-Belsen versammelten sich unter dem Motto „In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt“ damals 2.500 Menschen, um das Andenken der Getöteten zu ehren und auf die Bürgerrechte der Roma und Sinti aufmerksam zu machen, denn früher gab es niemanden, der sich mit der Geschichte der Sinti und Roma in der NS-Zeit tiefer beschäftigte.

Viele Roma und Sinti Familien und das auch jüngere Generationen in Deutschland sind noch heutzutage von der NS Verfolgung betroffen.

Ihre Verfolgung als „rassistisch“ wurde staatlich viele Jahrzehnte über abgewiesen, damit waren auch die kaum erhaltenen Entschädigungen und bei manchen die weiterhin fehlende deutsche Staatsangehörigkeit verbunden. Erst am Anfang der 1980er Jahre kam es zum Wandel: die Bundesregierung gestand ein, dass es sich bei den Roma und Sinti um einen Völkermord handelte.

Völkermord an Sinti und Roma: Mit diesem Bild wurde 1979 zu einer Kundgebung in der Gedenkstätte Bergen-Belsen aufgerufen
cellesche-zeitung.de | fremdfotos/eingesandt
Völkermord an Sinti und Roma | Mit diesem Bild wurde 1979 zu einer Kundgebung in der Gedenkstätte Bergen-Belsen aufgerufen

Annäherung der Menschen zur Gedenkstätte

Beim Besuch der Ausstellung in der Gedenkstätte Bergen-Belsen kann man auch mehr über einzelne Roma und Sinti Familienschicksale erfahren.

Gedenkstätte Bergen-Belsen: Hölzernes Hochkreuz neben einem Massengrab
Stefan Wilbricht | befreiung1945.de

„Es gibt seit Anfang der 1990er Jahre ganz viele Dinge, die uns gegeben werden, von Überlebenden oder Angehörigen. Wir hatten vorher nie ein Archiv und zu der Zeit, als wir glaubten, so jetzt braucht man nichts mehr und ganz vieles ist schon erledigt und viele Überlebende sind gar nicht mehr am Leben, war eigentlich der Moment dann da, dass sie gemerkt haben, Bergen-Belsen ist tatsächlich eine funktionierende, eine arbeitende Gedenkstätte und wir sind ab der Zeit stark in Kontakt getreten, mit den Menschen und sie haben uns ihre Geschichten erzählt und sie haben uns Fotos und Gegenstände und Berichte usw. überlassen, die heute in unserem Archiv zum Teil liegen, die aber zum Teil auch natürlich in der Ausstellung gezeigt werden und das sind ganz wichtige Objekte“, beschreibt Stephanie Billib die Annäherung der Menschen zur Gedenkstätte.

Stephanie Billib
VWI
V.l.n.r.: Zuzanna Dziuban | Österreichische Akademie der Wissenschaften und Stephanie Billib | Stiftung niedersächsische Gedenkstätten

Stephanie Billib | „Diese Arbeit ist für mich mehr als ein Beruf“

Es ist noch nicht europaweit gelungen, alle ehemaligen Konzentrationslager in Gedenkorte zu verwandeln oder es passiert erst in den letzten Jahren. Daran kann man sehen, dass der Weg noch nicht am Ende ist. Ein solches Gefühl spürt auch die Historikerin Stephanie Billib von der Gedenkstätte Bergen-Belsen:

Ausstellungsräume Gedenkstätte Bergen-Belsen
facebook gedenkstätte bergen-belsen

„In unserem gemeinsamen Projekt stellen wir fest: überall in Europa gibt es Orte oder Fragen oder Aspekte von Ortsgeschichte, die wir jetzt neu entdecken und wenn das möglich ist, dann ist das richtig super, dann ist man ganz stolz, dass man Teil davon ist. Ich bin nicht sicher, ob ich mir vorstellen könnte, irgendwo anders zu arbeiten und vielleicht für viele andere Menschen auch ist diese Arbeit für mich mehr als ein Beruf, weil das ganz viel mit einer persönlichen Haltung zu tun hat. Ganz viele Jahre waren die Begegnung mit Überlebenden mein Lebensmittelpunkt und das sind sehr wichtige Momente gewesen.“

Ausstellungsräume Gedenkstätte Bergen-Belsen
facebook gedenkstätte bergen-belsen

Das gesamte Interview von Pavla Rašnerová mit Stephanie Billib von der Gedenkstätte Bergen-Belsen hören sie in der aktuellen Sendung Roma sam mit Susanne Horvath.