Béla Horváth Ensemble.
Parlamentsdirektion/Thomas Topf
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30 Jahre Anerkennung der Roma als Volksgruppe in Österreich

Anlässlich des Internationalen Roma-Tages und des 30-jährigen Jubiläums der Anerkennung als autochthone Volksgruppe in Österreich fand im Parlament eine Festveranstaltung statt. Der als Festredner geladene Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, warnte vor einem Anwachsen des Antiziganismus in Europa, der eine Gefahr für die Gesellschaft, den Rechtsstaat und die Demokratie darstelle.

30 Jahre Anerkennung der Roma als Volksgruppe in Österreich
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Als Reaktion darauf braucht es für Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka etwa den Abbau von Vorurteilen durch konsequente Bildungsarbeit. Sobotka sprach sich außerdem – wie alle anderen Redner:innen – für die Errichtung eines eigenen Mahnmals zum Gedenken an die in der NS-Zeit ermordeten Roma und Sinti aus.

Sowohl Bundesratspräsident Günter Kovacs als auch die für Volksgruppen zuständige Ministerin Susanne Raab bezeichneten die Anerkennung der Roma und Sinti als Minderheit vor 30 Jahren als einen „Meilenstein österreichischer Minderheitenpolitik“.

In einem Podiumsgespräch diskutierten die Botschafter Tschechiens, Ungarns und der Slowakei mit dem Vorsitzenden des Volksgruppenbeirats der Roma, Emmerich Gärtner-Horvath, und der Politologin Mirjam Karoly über Chancen, Möglichkeiten und Entwicklungen im Sinne einer gedeihlichen und zukunftsorientierten Volksgruppenpolitik für Roma und Sinti in Europa.

Kovacs: Anerkennung der Volksgruppe war Meilenstein österreichischer Minderheitenpolitik.
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Bundesratspräsident Günter Kovacs

Anerkennung der Volksgruppe war Meilenstein österreichischer Minderheitenpolitik

„Bis zur Gleichstellung der Roma und Sinti mit anderen Volksgruppen war es ein langer und mühevoller Weg. Umso wichtiger war dieser Schritt“, betonte Bundesratspräsident Günter Kovacs. Die Anerkennung vor 30 Jahren sei ein „Meilenstein österreichischer Minderheitenpolitik“ gewesen, in diesem Zusammenhang besonders zu würdigen sei der verstorbene Rudolf Sarközi. Der Bundesratspräsident zeigte sich über die Einführung eines nationalen Gedenktages am 2. August erfreut und sprach sich für die Errichtung eines zentralen Orts des Gedenkens für die in der NS-Zeit ermordeten Roma und Sinti aus. Wenn das geistig-politische Klima einer Gesellschaft mit Spaltung, Ausgrenzung und Hass vergiftet werde, habe das Parlament als zentraler Ort der Demokratie die Verantwortung, für ein von gegenseitigem Respekt getragenes, tolerantes und menschliches Miteinander einzutreten, so Kovacs.

Roma und Sinti sind fester Bestandteil unserer Gesellschaft

„Ich habe die Roma und Sinti in Österreich als selbstbewusste, eigenständige und starke Volksgruppe kennengelernt, sie sind ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft“, gratulierte die für die Volksgruppen zuständige Ministerin Susanne Raab zum 30-jährigen Jubiläum in einer Videobotschaft. Die bereits erreichten Fortschritte seien ermutigend, für Raab sind jedoch noch weitere Schritte zur Inklusion, Gleichberechtigung und zum Gedenken an die Volksgruppe zu gehen. „Diskriminierung und Antiziganismus dürfen in Europa und Österreich keinen Platz haben“, so die Ministerin. Auch Raab begrüßte den heuer eingeführten nationalen Gedenktag am 2. August. Dieser stelle einen weiteren

Keynote-Speaker Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.
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Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.

Antiziganismus ist nicht mit den europäischen Werten vereinbar

„Der Holocaust an 500.000 Sinti und Roma und sechs Millionen Juden war ein Staatsverbrechen, das akribisch geplant und ins Werk gesetzt wurde“, hielt Keynote-Speaker Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, fest. Gedenken und Erinnern habe nichts mit Schuldübertragung zu tun, „aber wir sind es der Geschichte schuldig, das Unvorstellbare der NS-Verbrechen für unsere aller Zukunft wachzuhalten“.

Obwohl in den letzten Jahren auf politischer Ebene viel erreicht worden sei, beobachte er in vielen Ländern Europas „mit Schrecken“ einen neuen Nationalismus und das Anwachsen von Antisemitismus und Antiziganismus, der seine Wirkungsmächtigkeit bis heute nicht verloren habe, so Rose. „Die systematische Segregation und Ausgrenzung von Roma in ihren Heimatländern besonders in Mittel- und Osteuropa im Bereich von Wohnen, Bildung, Gesundheit und Arbeit kommen einer Form von Apartheid gleich“. Dies sei mit den europäischen Werten der Menschenwürde nicht vereinbar. Antiziganismus sei „eine Gefahr für unsere gesamte Gesellschaft und bedroht unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie“. Für Rose geht es nicht um Sonderrechte für Minderheiten, als Bürgerinnen und Bürger ihrer Heimatländer müssten sie jedoch gleichen Rechte und Chancen bekommen.

Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka
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Nationalratspräsiden Wolfgang Sobotka

Vorurteile durch konsequente Bildungsarbeit bekämpfen

Für Nationalratspräsiden Wolfgang Sobotka geht es bei der Bekämpfung des von Romani Rose angesprochenen Antiziganismus vor allem darum, „die kulturell geprägten Vorurteile durch konsequente Bildungsarbeit zu bekämpfen“. Diese müsse bereits im Kindergarten beginnen. Zudem brauche es das Benennen und Aufzeigen von Ungerechtigkeiten sowie das Schärfen des Bewusstseins „über das, was passiert ist“. Auch der Nationalratspräsident sprach sich neben einem Mahnmal für alle Opfer des Nationalsozialismus ebenfalls für ein eigenes Denkmal für die Volksgruppe aus. „Wir müssen Roma und Sinti den Stolz zurückgeben, sich als österreichische Roma zu fühlen“, so Sobotka abschließend.

Emmerich Gärtner-Horvath, Österreich ist ein Musterland.
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Vorsitzende des Volksgruppenbeirats der Roma, Emmerich Gärtner-Horvath.

Österreich ist ein Musterland

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion unter der Leitung der Politologin Mirjam Karoly hielt der Vorsitzende des Volksgruppenbeirats der Roma, Emmerich Gärtner-Horvath, auf eine entsprechende Frage von Karoly fest, er glaube schon, dass Österreich in Bezug auf die Rechte und die Situation der Roma und Sinti ein Musterland sei. Neben der Anerkennung als Minderheit vor 30 Jahren ist seiner Meinung nach die Verschriftlichung der mündlich tradierten Sprache Romani ein wesentlicher Schritt für die Volksgruppe gewesen. Allerdings fehlen ihm zufolge Pädagoginnen und Pädagogen, die die Sprache unterrichten können. Ein europaweit kodifiziertes Romani könnte seiner Meinung nach hier zielführend sei. Gärtner-Horvath wies zudem auf Bildungs- und Lernbetreuungsprojekte, zweisprachige Medien sowie die Dialogplattform mit der Politik hin.

Zu den aktuellen Forderungen der Volksgruppe gehört laut Gärtner-Horvath unter anderem ein Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti, wobei es ihm zufolge in vielen burgenländischen Gemeinden bereits Gedenktafeln gebe. Ein europaweites Problem sieht er darin, dass immer wieder auch Politiker:innen gegen Roma und andere Minderheiten hetzen. Dagegen müsse man vorgehen, mahnte er.

Nach wie vor viele Vorurteile gegen Roma und Sinti in Osteuropa

Der ungarische Botschafter Andor Nagy wies darauf hin, dass sich bei der letzten Volkszählung 2016 ca. 600.000 ungarische Staatsbürger:innen als Roma und Sinti deklariert haben. Es handle sich damit um die größte anerkannte Minderheit in Ungarn, betonte er. Trotz der offiziellen Anerkennung im Jahr 1993 und der Selbstverwaltung in mehr als 1.000 Gemeinden gebe es in Ungarn aber nach wie vor viel Antiziganismus, räumte Nagy ein. Auch sei die Zahl der Schulabbrecher:innen und die Kriminaltiät in der Bevölkerungsgruppe immer noch hoch. Verbesserung erwartet er sich nicht zuletzt von der allgemeinen Lage am Arbeitsmarkt in Ungarn, auch unter Roma sei die Arbeitslosigkeit zurückgegangen. Zudem setzt er auf die bestehende Inklusionsstrategie. Nagy machte zudem darauf aufmerksam, dass die Kultur und die Geschichte der Roma seit 2012 zum Curriculum an Volksschulen gehöre und es vielfältige Kulturinitiativen gebe.

Nach wie vor viele Vorurteile gegen Roma und Sinti in Osteuropa
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v. l.n.r. Botschafter der Tschechischen Republik Jiří Šitler, ungarische Botschafter Andor Nagy, Mirjam Karoly, slowakische Botschafter Peter Misik, Emmerich Gärtner-Horvath.

In der Slowakei ist laut Karoly die Segregation im Schulbereich nach wie vor ein großes Problem. Der slowakische Botschafter Peter Misik macht dafür nicht zuletzt Vorurteile in der Bevölkerung mitverantwortlich. Viele Eltern seien skeptisch, ihre Kinder gemeinsam mit Roma-Kinder unterrichten zu lassen, schilderte er. Am Schulangebot mangle es nicht. Verbesserungen erhofft er sich nun durch die Roma-Strategie, die es auch in Tschechien gebe. Zudem wolle man schon bei der Betreuung von Kleinkindern ansetzen. So sei erst vor kurzem ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für über Dreijährige eingeführt worden, wofür man auch Geld aus dem Wiederaufbaufonds der EU nutze. Auch in die Beschäftigung von Roma werde viel investiert. Zudem gebe es verschiedene Projekte wie Gesundheitsassistent:innen.

Über den staatlichen Rückkauf eines Geländes, auf dem während der NS-Zeit ein Sammellager für „Zigeuner“ stand und das in den letzten Jahrzehnten eine Schweinemastbetrieb beherbergte, berichtete der Botschafter der Tschechischen Republik Jiří Šitler. Auf diesem Gelände soll nun ein Mahnmal für die ermorderten Roma gebaut werden. In Europa einzigartig ist laut Šitler auch das Roma-Museum in Brünn, das die europäische Geschichte der Roma und Sinti dokumentiert und von Überlebenden der NS-Zeit mitinitiiert wurde.

30 Jahre Anerkennung der Roma als Volksgruppe in Österreich. Festveranstaltung anlässlich des Internationalen Roma-Tages im Parlament.
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Festveranstaltung anlässlich des Internationalen Roma-Tages im Parlament.

Antiziganismus ist in vielen Ländern noch immer weit verbreitet

Karoly selbst wies darauf hin, dass Roma und Sinti mit zehn bis zwölf Millionen Angehörigen zu den größten Volksgruppen in Europa gehören. Ein erster Erfolg der Roma- und Sinti-Bürgerrechtsbewegung sei die Anerkennung der Bevölkerungsgruppe als Minderheit in verschiedenen Ländern gewesen, betonte sie. Zudem hätten sich viele Länder schon vor 20 Jahren darauf verständigt, Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation von Roma und Sinti zu setzen, etwa was die Bereiche Bildung, Arbeit, Gesundheit und Wohnen betrifft. Trotz eines entsprechenden Engagements seien große Fortschritte vielfach aber ausgeblieben.

Man habe die Ressentiments in der breiten Bevölkerung unterschätzt, sagte Karoly. Anhaltender Antiziganismus sei eine Barriere für die Verbesserung der Situation. Nach wie vor seien Roma und Sinti mit Hasskriminalität konfrontiert und von Armut betroffen. Auf die nicht zufriedenstellenden Ergebnisse hat die EU nun mit einer neuen Rahmenstrategie 2020 bis 2030 reagiert. Laut Karoly leben in Ungarn rund 600.000 bis 800.000 Roma und Sinti, in der Slowakei rund 500.000, in Tschechien 200.000 bis 250.000 und in Österreich rund 50.000.

Musikalisch umrahmt wurde die Festveranstaltung vom Béla Horváth Ensemble.