Nach Rassismus-Vorwürfen hat der WDR-Fehler in einer Talkshow eingeräumt.
(Screeshot / WDR )
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Roma Sam | Klischees

Roma Vorsitzender Gärtner-Horvath über Alltagsrassismus

Woran liegt es, dass der Begriff „Zigeuner“ einfach nicht aus dem Sprachgebrauch verschwinden will. Und all dies vor dem Hintergrund, dass Roma/Romnja und Sinti/Sintizze schon sein vielen Jahren gegen diesen Begriff auftreten. Der Vorsitzende des Volkgruppenbeirats für Roma, Emmerich Gärtner Horvath, spricht darüber im Interveiw.

In der betreffenden Ausgabe der WDR Talkshow „Die letzte Instanz“ vom 29. Jänner 2021 begrüßte Steffen Hallaschka den Autor und Moderator Micky Beisenherz, den Entertainer Thomas Gottschalk, die Schauspielerin Janine Kunze sowie Schlagersänger Jürgen Milski.

Deutsche Prominente, keiner von ihnen Angehöriger einer Volksgruppe oder Minderheiten, diskutierten in der WDR Talkshow „Die letzte Instanz“ unter anderem über Alltagsrassismus. Über ein Thema also, von dem sie noch nie betroffen waren. Auch über die Fremdbezeichnung „Zigeuner“, genauer gesagt über die diverseren Produktbezeichnungen, wurde debattiert und diese verharmlost.

Emmerich Gärtner-Horvath
ORF
Emmerich Gärtner-Horvath

Für den Vorsitzenden Emmerich Gärtner-Horvath ist der Umgang mit Alltagsrassismus, wie er in der Talkshow gezeigt wurde, nichts Neues. Es ist ein Thema, mit dem sich die Funktionäre aus der Volksgruppe schon lange beschäftigen, denn oft wird über Roma/Romnja gesprochen, ohne dabei mit ihnen zu sprechen. Selten werden sie zum Beispiel in Talkshows eingeladen, um selbst zu Wort zu kommen. In der Vergangenheit wurden schon oft Entscheidungen über die Köpfe der Volksgruppenangehörigen hinweg getroffen, ohne sie mit einzubeziehen. Es sei ein sensibles Thema und die Sendung „Die letzte Instanz“ habe gezeigt, wie schlecht viele Menschen mit diesem umgehen können, so Gärtner-Horvath.

„Es ging nur um die Einschaltquote…“

Die Gründe für diesen Mangel an Sensibilität innerhalb der Mehrheitsgesellschaft liegen laut dem Funktionär in der Unwissenheit und Gedankenlosigkeit der Verantwortlichen. Für viele ist der Begriff „Zigeuner“ immer noch Normalität, da sie sich vom Begriff nicht betroffen oder angesprochen fühlen – nur eben für Roma/Romnja und Sinti/Sintizze ist der Begriff verletzend. Ebenso ist es mit Speisenbezeichnungen. Ein „Zigeunerschnitzel“ gibt es in der Roma Küche nicht, aber mit dem Namen konnte man ein Geschäft machen, erklärt Gärtner-Horvath. Ebenso sieht er den Hintergrund der WDR Talkshow „Die letzte Instanz“. „Dabei ging es nur um die Einschaltquote und sonst nichts…“, so der Vorsitzende des Volksgruppenbeirates für Roma.

Talkrunde WDR
Foto: Screenshot WDR

Radio „Roma sam“ | 15.2.2021 | 20:50 Uhr

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Der Begriff „Zigeuner“ war immer schon negativ behaftet, aber häufig wird der Begriff auch innerhalb der Volksgruppe noch verwendet. Dies liegt laut Emmerich Gärtner-Horvath zum einen daran, dass viele Roma/Romnja kein Romanes sprechen, denn im Romanes gibt es nämlich das Wort „Zigeuner“ nicht und es wird auch nicht als Selbstbezeichnung verwendet. Zum anderen war dieses Wort auch innerhalb der Community ein Begriff, mit dem man ein Geschäft machen konnte, denn die Bezeichnung „Zigeuner“ als Produktbezeichnung ist nicht neu. Schon seit vielen Jahrhunderten spielt die Fremdbezeichnung mit Fantasien und beflügelt die Vorurteile jener, die nichts über Roma/Romnja und Sinti/Sintizze wissen. Auch innerhalb der Volksgruppe sollte eine Sensibilisierung für den Begriff stattfinden.

Die Roma-Bewegung gibt es erst seit 30 Jahren, zu Beginn gab es nur wenige Organisationen und auch die Funktionäre hatten noch nicht das nötige Selbstbewusstsein, um sich gegen bestimmte Dinge, wie eben Begrifflichkeiten, zu wehren. Man nahm vieles hin, um der Anerkennung willen. Heute habe sich das geändert, so Emmerich Gärtner-Horvath. Die junge Generation von Roma/Romnja und Sinti/Sintizze sowie die heutigen Funktionäre gehen anderes mit gewissen Themen um und trauen sich auch ihre Stimme zu erheben, um auf Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen.

Nach der WDR Talkshow „Die letzte Instanz“ gab es einen Aufschrei, der durch die sozialen Medien ging. Viele Roma/Romnja und Sinti/Sintizze AktivistInnen und Organisationen meldeten sich zu Wort und prangerten die Verharmlosung des Alltagsrassismus, mit dem sich Angehörige der Volksgruppe nach wie vor konfrontiert sehen, an. Daraufhin folgten öffentliche Entschuldigungen mancher Beteiligter – Die Frage, die sich hierbei aufdrängt ist: Fand tatsächlich eine Sensibilisierung statt, man erkannte die begangenen Fehler und zeigte Reue oder beugte man sich einfach dem immer größer werdenden Druck, der von Social Media ausgeht? Emmerich Gärtner-Horvath vermutet dahinter beides.

WDR plant Schwerpunkt zum Thema „Rassismus“

Nach der Diskussion um „Die letzte Instanz“ plant der WDR für März im WDR Fernsehen einen Themenschwerpunkt, der nicht nur als Gesprächsformat angelegt ist, sondern auch eine filmische Aufarbeitung des Themas „Rassismus“ beinhalten soll.

Es sei eine reine Aufklärungsarbeit, die hier stattfinden müsse, so der Vorsitzende des Volksgruppenbeirates für Roma. Vielleicht könnte sich aus dieser Situation und der medialen Aufmerksamkeit auch etwas Positives entwickeln, denn im Moment wird über das Thema gesprochen. Man erreicht gerade einen größeren Teil der Mehrheitsgesellschaft, den man darauf aufmerksam machen könne, dass die Verwendung des Wortes „Zigeuner“ abwertend ist und endlich aus dem Sprachgebrauch verbannt werden sollte. Immerhin richtete der WDR nach den Vorfällen eine Arbeitsgruppe zum Thema Rassismus ein.

Statement WDR
WDR Facebook Post
Stellungnahme WDR auf Facebook

„Um Vorurteile endgültig abzubauen, braucht es einen Schulterschluss“

In Österreich seien die Medien laut Emmerich Gärtner-Horvath sehr sensibilisiert, was dieses Thema betrifft. In den 1980er Jahren hörte man den Begriff jedoch noch oft. Aber heute habe man sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Weder in Interviews noch in anderen Produktionen wurde der Geschäftsführer des Oberwarter Vereins Roma Service mit dem Begriff „Zigeuner“ konfrontiert. Die Medien in Österreich setzen auf eine Zusammenarbeit mit den Roma Vereinen. Anders ist das in den sozialen Medien, in denen Rassismus und Anti-Romaismus nach wie vor zu finden sind.

Viel habe sich in den letzten Jahren verändert und man ist weitgekommen. Um all die Vorurteile, die es über Roma/Romnja und Sinti/Sintizze, die es seit Jahrhunderten gibt, endgültig abzubauen, brauche es aber einen Schulterschluss zwischen der Volkgruppe, der Mehrheitsgesellschaft und der Politik, so Emmerich Gärtner-Horvath.