Antisemitismus

Der 7. Oktober als „Zäsur“ für Juden in Europa

Der 7. Oktober 2023 hat zu einer „Welle von Antisemitismus im Westen“ geführt. Dieser Meinung waren die Teilnehmenden einer Podiumsdiskussion gestern Abend im Rahmen des Jüdischen Filmfestivals Wien.

„Der 7. Oktober hat eine Zäsur dargestellt, davon kommt man nicht mehr so einfach zurück“, sagte Benjamin Guttmann, ehemaliger Präsident der Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JöH), bei der Veranstaltung im Metro Kinokulturhaus. Er sprach von einer „Retraumatisierung“.

Im eigentlichen „Schutzraum“ der Jüdinnen und Juden, nämlich Israel, sei es zum Pogrom gekommen. Ihm werde „bange“, wenn er sehe, „wie wenig Solidarität es gibt“, so Guttmann. Auch die Diaspora in Europa erfahre nun mehr Anfeindungen. Diese Wahrnehmung deckt sich mit den Zahlen des gestern präsentierten Jahresberichts der Antisemitismus-Meldestelle. Demnach hat sich die Zahl der gemeldeten antisemitischen Vorfälle pro Tag seit dem Angriff der Hamas auf Israel verfünffacht. Besonders enttäuscht zeigte sich Guttmann von politisch linken Gruppierungen: „Im Großteil ist für Juden kein Platz mehr.“

"Verschwörungstheoretisch und komplexitätsreduzierend“

In einem Eingangsstatement erklärte die Antisemitismusforscherin Isolde Vogel historische Bezüge. Antisemitismus sei „ein Weltbild, immer verschwörungstheoretisch und komplexitätsreduzierend“. Es handle sich um einen „spezifischen Rassismus“, der Weltprobleme vereinfachen wolle. Vogel: „Antisemitismus orientiert sich nicht an der Realität oder jüdischem Handeln, die Auswirkungen sind aber real.“ Viele Ressentiments richteten sich auch gegen „westliche Werte und Emanzipation“.

Schwer wiegen würde auch der Vorwurf des israelischen Imperialismus. Für Benjamin Guttmann gibt es „keine Diskussionsgrundlage“ wenn Israel als Staat nicht anerkannt werde. „Die Folgen sind für alle Juden spürbar.“ Er wünsche sich langfristig eine „Normalisierung“ von jüdischem Leben. In Österreich gebe es zwar viele Bekundungen. „Meist bleibt es aber beim Lippenbekenntnis“. Guttmann nahm zudem die österreichische Politik in die Pflicht. Die FPÖ sei eine „strukturell antisemitische Partei“, eine Koalition mit ihr „geht sich nicht aus“.

„Zusammen positive Erfahrungen“ machen

Lia Böhmer berichtete von ihrem Umgang mit Stereotypen bei der Arbeit mit Jugendlichen. Sie ist die Organisatorin von „Peacecamp“, einer multikulturellen Begegnung von Jugendlichen. Junge Leute würden hier „den Feind“ treffen und sich mit Gruppengeschichten auseinandersetzen. Auch Böhmer fällt eines häufig auf: Vereinfachungen. Als Reaktion auf stereotype Aussagen würde sie oft nachfragen: „Woher hast du das, warum glaubst du das?“ Ihrer Erfahrung nach gehe es vor allem darum, „zusammen positive Erfahrungen“ zu machen.

Fragwürdiger Umgang mit Antisemitismus an Kunstunis

Die Zeithistorikerin Karin Schneider ortete einen fragwürdigen Umgang mit Antisemitismus an Kunstuniversitäten. „Das Problem besteht schon länger, die Linke setzt sich mit ihrer eigenen Geschichte nicht auseinander.“ Kultur könne in der Theorie „gegenarbeiten, öffnen“, tue es aber nicht. Stattdessen werde „jüdische Kultur als böse, rassistisch, kolonial gelabelt“.