75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Parlament (15.1.2024)
Parlamentsdirektion/Thomas Topf
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Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Wegen Polarisierung Verabschiedung heute „zweifelhaft“

Angesichts der Polarisierung der Gesellschaft könnte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte heute wohl nicht mehr beschlossen werden. „Es ist zweifelhaft, ob ein ähnlich umfassendes Dokument heute noch verabschiedet werden könnte“, so Elisabeth Hoffberger-Pippan, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Peace Research Institute Frankfurt.

Anlass war eine Veranstaltung im Parlament gestern Abend zum 75. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erfolgte am 10. Dezember 1948 als rechtlich nicht bindende Resolution der UN-Generalversammlung. Österreich war damals noch nicht dabei, da es erst 1955 UN-Mitglied wurde.

Völkerrechtlich verbindlich ist dagegen die auf Basis der Allgemeinen Erklärung verabschiedeten und 1953 in Kraft getretene Europäische Menschenrechtskonvention, der Österreich 1958 beitrat und die seit 1964 im Verfassungsrang steht.

Heute selbstverständliche Rechte damals noch nicht enthalten

Hoffberger-Pippan stellte die Frage in den Raum, ob man angesichts der zahlreichen Schreckensmeldungen über Menschenrechtsverletzungen heute überhaupt noch stolz auf die Erklärung der Menschenrechte sein könne. Auch ein Blick auf die damals beschlossene Erklärung mache deutlich, dass viele heute selbstverständliche Rechte damals noch nicht enthalten waren. Wer in der Erklärung etwa nach Minderheitenrechten suche, werde dort nicht fündig werden, Gleiches gelte etwa auch für den Schutz von Menschen mit Behinderungen.

75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Parlament – Keynote Wissenschaftliche Mitarbeiterin Peace Research Institute Frankfurt Elisabeth Hoffberger-Pippan (15.1.2024)
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Keynote von Elisabeth Hoffberger-Pippan vom Peace Research Institute Frankfurt

Darüber hinaus spielten damals die liberalen Abwehrrechte der ersten Generation wie die Meinungsfreiheit oder die Versammlungsfreiheit eine bei weitem überwiegende Rolle gegenüber sozialen Rechten wie etwa dem Recht der Bildung. Trotzdem dürfe man auf die Erklärung damals stolz sein – gerade angesichts der Tatsache, dass solch ein Kraftakt heutzutage wohl nicht gelingen würde. Auch Justizministerin Alma Zadić (Grüne) bezweifelte, dass dies heute möglich sein würde. Die Menschenrechte seien aber ein lebendes Dokument, das ständig weiterentwickelt werde – etwa durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Thema Migration als „Test für die Menschenrechte“

Als „Test für die Menschenrechte“ bezeichnete der emeritierte Völkerrechts-Professor Wolfgang Benedek das Thema Migration – nämlich „hinsichtlich der Frage, ob wir wirklich bereit sind, sie zu leben“. Eine Einschränkung sei gefährlich – „weil da kann man sich fragen, wer ist die nächste Gruppe, bei der man das als förderlich hält“.

Trennung zwischen Arbeitsmigration und Recht auf Asyl

Etwas anders sah dies der Europa- und Völkerrechtler Walter Obwexer (Uni Innsbruck). Man müsse unterscheiden zwischen der Migration in den Arbeitsmarkt und dem Recht auf Asyl. „Diese Trennung müssen wir vornehmen“, so Obwexer. Beim Thema Asyl habe man mittlerweile einen sehr hohen Schutzstandard erreicht. Gleichzeitig würden die Gerichte dieses Thema „sehr dynamisch auslegen“. Das führe dazu, dass etwa vielen Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung illegaler Zuwanderung weitgehend die Hände gebunden seien – etwa bei der Kürzung bestimmter Sozialleistungen oder bei der Ausweisung von Straftätern.

75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Parlament – von links: Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne), Walter Obwexer Universität Innsbruck, Wolfgang Benedek, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Peace Research Institute Frankfurt Elisabeth Hoffberger-Pippan, Justizministerin Alma Zadić (GRrüne), Bundesratspräsidentin Margit Göll (ÖVP), Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ), Dritter Nationalratspräsident Norbert Hofer (FPÖ), Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), Menschenrechtsexperte Manfred Nowak (15.1.2023)
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Veranstaltung zu 75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Parlament

Er wolle nicht sagen, dass dies falsch sei, meinte Obwexer. Als Folge würden aber Stimmen laut, die aus der Konvention austreten wollen. Dies führe zu einer Gratwanderung zwischen dem hohen Schutz von Menschenrechten und der Gefahr des Sich-Abwendens von manchen Bevölkerungsschichten.

Grundrecht auf nachhaltige Entwicklung

Optimistisch zeigte sich Obwexer hinsichtlich einer Einbeziehung des Umweltschutzes in die Menschenrechte. „Es wird in Europa vereinzelt gelingen, ein Grundrecht auf nachhaltige Entwicklung einzuklagen.“ Dies sei nur eine Frage der Zeit – wobei dies allerdings nur punktuelle Erfolge seien. Daher wäre man gut beraten, ein durchsetzbares Recht auf nachhaltige Entwicklung weltweit festzuschreiben. Auch der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak plädierte für ein Recht auf eine gesunde Umwelt.

Störaktion von „Not in Our Name“

Gestört wurde die Veranstaltung von einer Gruppe, die sich unter dem Namen „Not in Our Name“ auf eine in den USA entstandene, mit den Palästinensern solidarische jüdische Gruppe berief. Die Aktivistinnen und Aktivisten warfen von der Galerie Flugblätter, entrollten Transparente und skandierten Parolen wie „Stoppt den Genozid“ und „Ihr seid mitschuldig“, bevor sie aus dem Saal geleitet wurden.