Dokumentationsstelle Politischer Islam

Influencer und türkischstämmige Strukturen im Fokus

Die Dokumentationsstelle Politischer Islam hat heute ihren Jahresbericht 2022 online veröffentlicht, der sich neben islamistischen Influencer-Gruppierungen vor allem den Aktivitäten türkischstämmiger Strukturen widmet.

Insbesondere die Ereignisse nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober zeigen die Wichtigkeit der Erforschung und Dokumentation des „politischen Islam“, sagte die Direktorin der Stelle, Lisa Fellhofer, gestern bei einem Pressegespräch.

Radikale Gruppierungen nutzten in der Vergangenheit immer wieder eine behauptete Islamfeindlichkeit, aber auch tatsächliche Fälle von rassistischen Angriffen auf Muslime, um für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Im Fokus der Dokumentation von Online-Aktivitäten standen 2022 drei Instagram-Accounts, die durch das Aufzeigen von Langzeitkonflikten – etwa der Situation der Uiguren in Westchina oder Muslimen in Indien – ein Bild der globalen Islamfeindlichkeit zeichnen.

Vorantreiben der „islamistischen Agenden“ in Accounts

So wurde auch der Terrorangriff der Hamas von Akteuren aus dem Spektrum genutzt, „um ihre islamistische Agenda voranzutreiben“, betonte Fellhofer. Die der transnationalen islamistischen Bewegung Hizb ut-Tahrir nahestehenden Accounts verharmlosten die Taten der Hamas, raten in Deutschland lebenden Muslimen vom Feiern nicht-islamischer Feste und sogar dazu, Freundschaften mit Muslimen, die sich in die Mehrheitsgesellschaft integriert haben, ab. Weiters diffamierte einer der Accounts die Arbeit der Extremismuspräventionsstelle als „von einer islamfeindlichen Agenda motiviert“.

Instrumentalisierung von Diskriminierung

Während islamistische Akteure zur Hochphase des Islamischen Staats 2013/14 noch deutlich martialischer auftraten und Kriegspropaganda verbreiteten, sei man heute vorsichtiger. „Sie nutzen Diskriminierung gegenüber Muslimen, die auch passiert, und entfremden sie für ihre eigenen Zwecke“, sagte Fellhofer.

Ähnlich wie die Identitären gemäßigter auftreten als Skinheads der 1990er, geben sich auch Islamisten progressiver. „Der Grundkern den sie mitbringen ist aber derselbe.“ Um der Radikalisierung im Internet entgegen zu wirken, brauche es eine „europäische Anstrengung“, so Fellhofer.

„Verbreitung von antisemitischen Stereotypen“

Beschäftigt hat sich die Dokumentationsstelle im vergangenen Jahr mit der Islamischen Vereinigung in Österreich (IVÖ), die Studie dazu dokumentierte die „Verbreitung von antisemitischen Stereotypen und die Glorifizierung der Hamas“. Antisemitische Aussagen dokumentierte die Stelle auch innerhalb der Islamischen Föderation in Österreich. Ein Monat zuvor dokumentierte die Stelle, dass dieser in einem Youtube-Video den Hamas-Gründer heroisierte und die „Kinder Israels“ als „Virus der Menschheit“ bezeichnete.

Studien-Abbruch wegen Vorbehalten

Die Dokumentationsstelle habe in enger Abstimmung mit der Föderation ein Studienvorhaben geplant gehabt, um sich der Frage zu widmen, ob ihnen der Wandel von einer „islamistischen“ hin zu einer „post-islamistischen“ Organisation gelungen sei. Dieses wurde jedoch von der Islamischen Föderation aufgrund von Vorurteilen der Dokumentationsstelle gegenüber abgebrochen, bedauerte Fellhofer.

„Es wäre gut gewesen, eine Studie zu haben, die auch die innere Perspektive abbildet. Aber sie sehen die Dokumentationsstelle als voreingenommen. Der Vorwurf, das wir unwissenschaftlich arbeiten, ist zurückzuweisen.“ Mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich (IGGÖ) habe man immer wieder Gespräche, aber auch deren Präsident Ümit Vural habe aber Vorbehalte der Stelle gegenüber, bemängelte Fellhofer.

Diskussion um Grundlagenbericht „Die Millî Görüş“

Anlass für das gemeinsame Studienvorhaben war eine Diskussion um den Inhalt des Grundlagenberichts „Die Millî Görüş“. Dieser attestierte der Islamischen Föderation Österreichs als Teilorganisationen der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) in Deutschland ein historisces und ideologisches Naheverhältnis zur Millî-Görüş-Bewegung in der Türkei.

Die IGMG steht in Deutschland aufgrund des Vorwurfs, einen legalistischen Islamismus zu betreiben und eine Partnerorganisation der Muslimbruderschaft zu sein, unter Beobachtung des Bundesamts für Verfassungsschutz.

Aktivitäten türkischstämmiger Strukturen

Im Fokus der Dokumentationsstelle stehen aber auch die Aktivitäten türkischstämmiger Strukturen in Österreich. In deren Umfeld sei der Hamas-Terrorangriff teilweise relativiert oder kaum bis gar nicht verurteilt worden. So untersteht der österreichische Verband ATIB der Diyanet, dem Amt für religiöse Angelegenheiten der Türkei. Ein Diyanet-Prediger habe „den Volksstamm der Juden“ am Tag nach dem Angriff in einer auf Youtube verfügbaren Predigt als „minderwertiger als das Tier“ bezeichnet.

Jene Akteure, die zwar den „politischen Islam“ vertreten, nicht jedoch mit der Hamas d’accord gehen, seien nach dem 7. Oktober still gewesen, sagte Fellhofer. Der Verband „Union Internationaler Demokraten“ (UID) agiere als verlängerter Arm des türkischen Präsidenten Erdoğan und der AKP, vor allem im letzten Türkei-Wahlkampf seien über Verbände wie die UID vermehrt Aktivitäten und Beeinflussungen in Österreich festgestellt worden.

"Blick auf religiösen Extremismus, nicht Religion

Es vertrete aber „nicht jede Moschee und nicht jeder Imam“ problematische Ansichten, betonte Fellhofer. Dass der Islam in Österreich als Religion anerkannt ist, sei für die Arbeit gegen Extremismus förderlich. Dass Vertreter verschiedener Organisationen schnell in „Verteidigungshaltung gehen, hilft nur den Extremisten. (…) Es ist wichtig, dass man über Problematisches sprechen kann, und es eine sachliche Auseinandersetzung gibt.“

„Wir richten unseren Blick auf religiösen Extremismus, nicht Religion an sich. Es ist wichtig, über jene zu sprechen, die Religion für ihre Zwecke missbrauchen, und sie so gut wie möglich zurückzudrängen", fasste Fellhofer die Arbeit der Dokumentationsstelle Politischer Islam zusammen. Seit ihrer Gründung vor drei Jahren hat die Stelle 22 wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht. Der Jahresbericht ist auf der Homepage der Dokumentationsstelle verfügbar.