Ein Hinweisschild " Barrierefreier Eingang" mit einem Kind in einem Rollstuhl vor einer Schule in Wien. (19.5.2021)
HARALD SCHNEIDER / APA / picturedesk.com
HARALD SCHNEIDER / APA / picturedesk.com
Experten

Lücken bei Umsetzung von UN-Behindertenrechtskonvention

Österreich hat bei der Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention noch viel Arbeit vor sich, lautete der Tenor bei einer Pressekonferenz am Dienstag. Von 21. bis 23. August wird die österreichische Umsetzung vom UN-Fachausschuss in Genf geprüft.

Verbesserungspotenzial ortet der Monitoringausschuss zur Einhaltung der Konvention etwa in den Bereichen Inklusive Bildung, Frauen mit Behinderungen und Persönliche Assistenz.

Handlungsempfehlungen „politisch bindend“

Die Konvention ist in Österreich seit 2008 in Kraft, 2013 fand die erste Staatenprüfung statt, heuer folgt die zweite. Davor verfassen der Staat sowie der Monitoring-Ausschuss, Volks- und Behindertenanwaltschaft sowie Akteure der Zivilgesellschaft Berichte, erklärte Tobias Buchner vom Vorsitzteam des Monitoringausschusses. Anschließend erhält Österreich Handlungsempfehlungen, die „großen Einfluss auf die Behindertenpolitik in den nächsten Jahren“ haben werden, so Buchner. Diese seien „politisch bindend“. Bei Nichtumsetzung gebe es für Österreich neben negativer Aufmerksamkeit auf internationaler Ebene aber keine Konsequenzen, sagte Volker Schönwiese von der Organisation Selbstbestimmt Leben.

Inklusive Bildung, Frauen & Persönliche Assistenz

Konzentriert habe man sich auf die Bereiche Inklusive Bildung, Frauen mit Behinderungen und Persönliche Assistenz, führte Daniela Rammel vom Vorsitzteam des Monitoringausschusses aus. Säumig sei der Staat bei der Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems, kritisiert sie etwa dessen „Unterfinanzierung“. Persönliche Assistenz gebe es zwar in jedem Bundesland, diese sei allerdings nicht bundesweit einheitlich geregelt sowie nicht bedarfsgerecht. Frauen und Mädchen mit Behinderungen seien „in besonders hohem Maß einem Gewaltrisiko ausgesetzt“. Rammel forderte die verpflichtende Implementierung von Gewaltschutzkonzepten für Behinderteneinrichtungen und eine umfassende Barrierefreiheit im Opfer- und Gewaltschutz.

Beschwerden erreichen Volksanwaltschaft

Volksanwalt Bernhard Achitz erhofft sich einen „Impuls bei den Bemühungen, die Umsetzung und Einhaltung der Behindertenrechtskonvention voranzutreiben“. Oft würden die Volksanwaltschaft Beschwerden erreichen, dass diese nicht optimal umgesetzt sei, hob er etwa fehlende Barrierefreiheit auf Bahnhöfen hervor. Auch kritisierte er, dass Menschen in Behindertenwerkstätten Taschengeld statt Lohn erhalten sowie den immer noch vorherrschenden „Gedanken der 70er-Jahre“, Menschen mit Behinderung in einer Einrichtung unterzubringen, um sich dort um sie zu kümmern. Auch Schönwiese monierte, dass weiterhin in Institutionalisierung investiert werde. Dort würden Bewohnerinnen und Bewohner den Regeln der Einrichtungen unterworfen werden. Der Auftrag sei, ihnen zu ermöglichen, leben zu können wie alle anderen auch.

Keine strukturierte Übersetzung in nationales Recht

Es habe keine strukturierte Übersetzung der UN-Konvention in nationales Recht stattgefunden, steht für Behindertenanwältin Christine Steger fest. Vielfach sei der Bereich Menschen mit Behinderungen Angelegenheit der Länder. In vielen Ländergesetzen hätten Aspekte aus den Konventionszielen Eingang gefunden, aber auch hier „in den wenigsten Bereichen auf fundierte und strukturierte Art und Weise.“ In den Bundesländern gebe es teils sehr unterschiedliche Standards.

Mangel an Koordination zwischen Bund und Ländern

Schönwiese sah sogar „teilweise massive Verschlechterungen in den letzten zehn Jahren“. So hätten alle Bundesländer ihre Baugesetze bezüglich Barrierefreiheit verschlechtert. In Tirol hätte man etwa vor wenigen Jahren noch ab der dritten Wohnung eine barrierefreie Zugänglichkeit erzeugen müssen, nun müsse erst ab der sechsten Wohnung ein Lift gebaut werden. Zu den größten Problemen in der österreichischen Behindertenpolitik zählen der Mangel an Koordination zwischen Bund und Bundesländern, das Fehlen eines inklusiven Bildungssystems und von österreichweit einheitlichen verpflichtenden Barrierefreiheitsstandards, hieß es seitens des Behindertenrats. Präsidiumsmitglied Martin Ladstätter warf dem Staat bei der Pressekonferenz denn auch vor, die Sachlage geschönt darzustellen.

Einheitliche Regeln für Persönliche Assistenz

Die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs will indes bundesweit einheitliche Regelungen, sodass der Anspruch auf Unterstützungsleistungen nicht mehr von der Postleitzahl abhänge. Im Besonderen forderte die WAG Assistenzgenossenschaft einheitliche Regeln für die Persönliche Assistenz. „Seit März 2023 ist es nun für alle Bundesländer möglich, sich am Pilotprojekt der bundesweiten Persönlichen Assistenz zu beteiligen. Der Bund hat dafür 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt“, forderte die geschäftsführende Vorständin Roswitha Schachinger alle Länder zur Teilnahme auf. In Niederösterreich und Wien hätten Menschen mit Sinnesbehinderungen, Lernschwierigkeiten oder psychischen Erkrankungen keinen Zugang zu Persönlicher Assistenz. "Unterstützungen wie etwa persönliche Assistenz gibt es nicht, weil die Länder und Gemeinden in Österreich sich für die Umsetzung der UN-BRK nicht primär in der Pflicht sehen und die Verantwortung auf den Bund schieben“, kritisierte indes Martin Marlovits vom Erwachsenenschutzverein VertretungsNetz. Über den eigenen Wohnort könne man nicht entscheiden, wenn barrierefreier Wohnraum sowie die nötigen Pflege- und Betreuungsdienste nicht zur Verfügung stünden.

Inklusive Bildung

Die NEOS-Sprecherin für Menschen mit Behinderungen Fiona Fiedler ortete insbesondere im Bereich der Bildung Nachholbedarf. „Eine offene und tolerante Gesellschaft kann es aber nur mit einem inklusiven Bildungssystem geben – vom Kindergarten bis zur Hochschul- und Erwachsenenbildung“, forderte sie in einem Statement gegenüber der APA einen raschen Ausbau inklusiver Schulen. In einer Aussendung appellierten auch die Bundesjugendvertretung (BJV) und Integration Tirol für mehr inklusive Bildung – und somit den Abbau der Sonderschulen – sowie für mehr politisches Mitspracherecht für junge Menschen mit Behinderung. Am Arbeitsmarkt brauche es barrierefreie Ausbildungs- und Arbeitsplätze und einen flächendeckenden Ausbau von bedürfnisgerechter persönlicher Assistenz.