Zeitzeuge Daniel Chanoch mit seiner Enkeltochter im Rahmen des „Fest der Freude zum Jahrestag der Befreiung Österreichs vom nationalsozialistischen Regime“ mit den Wiener Symphonikern am 8. 5.2016 auf dem Heldenplatz in Wien.
HERBERT P. OCZERET / APA / picturedesk.com
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edition Mauthausen

„Erzählen um zu leben“ von Daniel Chanoch

Mit Solidarität und Altruismus haben es Kinder aus Litauen geschafft, die Nazi-Gräuel des Zweiten Weltkrieges in Konzentrationslagern zu überleben. Der 90-jährige Daniel Chanoch ist eines von ihnen. Er wurde am 5. Mai 1945 aus dem KZ Gunskirchen befreit. Da war er zwölf Jahre alt.

Seine Erinnerungen und seinen Lebensweg ließ er in ein bemerkenswertes Buch fließen, das er heute mit Christa Bauer und Willi Mernyi vom Mauthausen Komitee Österreich in Wien vorstellte.

Daniel Chanoch überlebte sechs Konzentrationslager

Daniel Chanoch, genannt Danny, wuchs in Kaunas in Litauen auf, 1941 wurden er und seine jüdische Familie dort in ein Ghetto gebracht, 1944 nach Deutschland deportiert, er überlebte sechs Konzentrationslager. Über seine letzte Station in Gunskirchen, eines von 49 Nebenlager von Mauthausen, sagte der außergewöhnliche, charmante Mann in einem früheren APA-Interview: „Es war der schrecklichste Platz. Ich kam Mitte April ins Lager nach Gunskirchen. 20.000 Leute kamen an, im Mai bei der Befreiung waren 5.000 übrig“.

Holocaust-Überlebender erzählt

Gunskirchen- ein Nebenlager von Mauthausen- hat lange Zeit keinen Platz im öffentlichen Gedächtnis gefunden. Daniel Chanoch ist Überlebender dieses Konzentrationslagers. Er hat Andreas Mitschitz seine Geschichte erzählt.

„Nach dem Regen scheint die Sonne wieder“

Gab ihm zuvor seine Familie Halt, blieb ihm nach der Trennung von Mutter und Schwester im KZ Stutthof in Danzig und von Vater und Bruder im Arbeitslager Landsberg nur mehr das Lied seiner Mutter „Nach dem Regen scheint die Sonne wieder“, seine innere Kraft und der enorme Zusammenhalt unter den Kindern. „Lebensrettende Solidarität“ nennt es Chanoch im Buch. „Wir wussten, dass wir, die restlichen ungefähr 40 Kinder, eine ungeschriebene Verantwortung füreinander hatten.“ 131 Kinder waren aus dem Ghetto in Kaunas aufgebrochen. Er erzählt von der Hilfe Unbekannter, vom Teilen der Körperwärme im kalten Winter, von der Kraft der Freundschaft, die die Jahre überdauerte, denn die überlebenden Kinder trafen einander als Erwachsene immer wieder, auch jedes Jahr um den 4. Mai in Gunskirchen.

Daniel Chanoch: „Erzählen um zu leben – Das Leben ist eine Frage von Sekunden und Millimetern“, edition mauthausen, 154 Seiten, 15 Euro, ISBN 9783902605283

Wie konnte ein Kind das aushalten?

In klarer, schnörkelloser Sprache dokumentiert Arik Gordin, was sein Freund Chanoch ihm über zwei Jahre hinweg erzählt hat, die Gräuel und die schrecklichen Erlebnisse sprechen für sich. Ergänzt werden die Erzählungen von direkten Zitaten und Beschreibungen des Zeitzeugen. Wie konnte ein Kind das aushalten, ist die Frage, die man sich stellt und die über allem schwebt. Chanoch selbst gibt Antworten und Psychologin Amia Lieblich analysiert in einem Teil des Buches, was Daniel Chanoch befähigte, zu überleben: Solidarität, Altruismus, Führung, Belastbarkeit, Einfallsreichtum und Hoffnung.

Buch wider das Vergessen

Das wertvolle Buch wider das Vergessen macht aber nicht Halt mit dem Ende des Krieges, sondern Chanoch erzählt weiter. Nach der Befreiung traf er seinen Bruder Uri – Vater, Mutter und Schwester waren tot – in Italien. Gemeinsam gelangten sie nach Israel. Danny wurde herzlich von einer Familie aufgenommen, über seine Erlebnisse zu sprechen, schien damals nicht üblich. Danny bedauert auch, mit seinem 2015 verstorbenen Bruder Uri nicht genug darüber geredet zu haben, was jeder von ihnen erlebt hatte. „Wir hatten Angst, über die Familie zu sprechen, was mit ihr passiert war. Der Fokus lag auf der Zukunft“, schreibt er. Seine Frau Rachel, die ein Kapitel zu dem Buch beisteuert, kannte wohl bald die Fakten aus Dannys Vergangenheit, er begann aber erst später, wirklich darüber zu reden. Rachel deutet Albträume an, und dass es nicht immer einfach war, den heranwachsenden Kindern die Geschichte ihres Vaters altersgerecht zu vermitteln.

KZ Gunskirchen der Öffentlichkeit bekannt machen

Man vermag sich kaum vorzustellen, was in Daniel Chanoch vorging, als er in den 1980er-Jahren nach Gunskirchen zurückkam und dort nichts an die Taten der Nazis, die furchtbaren Schrecken erinnerte. Seine Frau beschreibt eindrücklich, wie er Bürgermeister und Polizeikommandant „rekrutierte“ und ihnen im Wald erklärte, was hier viele Jahre zuvor passiert war. Ein Gedenkstein neben dem Eingang machte dann das KZ sichtbar. Vor allem in den vergangenen Jahren war er bemüht, dieses Konzentrationslager der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Heuer kaufte die Republik Österreich mehrere Grundstücke auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers an, das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ) will in einem angekauften Waldstück einen Lern- und Gedenkort errichten.

Weitergabe an jüngere Generationen

Seit 1980 ist Daniel Chanoch als Zeitzeuge tätig, kommt oft zur Gedenkfeier nach Mauthausen und sprach 2016 mit Enkelin Anna beim „Fest der Freude“ in Wien. Der zweifache Vater und vielfache Großvater sieht es als seine Pflicht, seine Geschichte in Schulen zu erzählen. Über eine Jugenddelegation aus Israel, die er nach Polen und Gunskirchen zu einem Treffen mit österreichischen Jugendlichen begleitete, schreibt seine Frau: „Er tat dies aus dem Gefühl heraus, dass die Lehren aus Krieg und Holocaust bis zum Ende gezogen werden müssen. Es besteht aber auch die Notwendigkeit, mit mehr Kommunikation und weniger Hass zu mehr Verständnis in der Welt beizutragen.“

„Schlussfolgerungen und Einsichten“ für eine bessere Welt

„Als jemand, der als Kind das Inferno des Holocaust überlebt hat, habe ich mein ganzes Leben lang die Verpflichtung und Mission empfunden, die Erinnerung an diese Tage zu bewahren und mit anderen Menschen Schlussfolgerungen und Einsichten zu teilen, die für eine bessere Welt genutzt werden können", schreibt Chanoch in der Einführung zu seinem absolut lesenswerten Buch, in dem mehr Hoffnung als Verbitterung Platz hat. Zuhören, Geben und Helfen von Mensch zu Mensch, von Nation zu Nation, zur richtigen Zeit und am notwendigen Ort könne Leben retten.