Staatsfolter

Vergleichbares Urteil in Österreich derzeit unmöglich

In Österreich wäre ein Urteil wegen Staatsfolter in Syrien, in jener Form wie es am Donnerstag im deutschen Koblenz gefällt wurde, derzeit nicht möglich.

Der Völkerstrafrechtsexperte Andreas Sauermoser vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Grund- und Menschenrechte in Wien sprach mit der APA über das Koblenzer Urteil und die Möglichkeiten der österreichischen Justiz in vergleichbaren Fällen.

Kein umfassendes universales Strafrechtsprinzip

Zwar werden in Österreich nach dem Wissensstand Sauermosers wegen des Verdachts von Völkerstraftaten derzeit zehn verschiedene Ermittlungsverfahren geführt, zur Anklageerhebung ist es aber noch in keinem der Fälle gekommen. „Zum einen hat Österreich kein umfassendes universales Strafrechtsprinzip wie Deutschland implementiert“, erklärt Sauermoser. Die Strafrechtsbehörden könnten hierzulande daher nicht in dem selben Ausmaß wie jene in Deutschland tätig werden.

Verbot der rückwirkenden Anwendung von Strafgesetzen

Außerdem seien in Österreich Tatbestände wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen anerkannter Teil des Völkerstrafrechts sind, „erst sehr spät“ in nationales Recht umgesetzt worden, und zwar mit der Strafrechtsnovelle 2015. „Bei dem Urteil des OLG Koblenz ging es um den Tatzeitraum 2011/12. Wegen des Verbots der rückwirkenden Anwendung von Strafgesetzen könnten die österreichischen Behörden nach nationaler Auslegung in einem ähnlichen Fall zumindest wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit daher nicht tätig werden“, so Sauermoser. Eine Einschränkung des Universalitätsprinzips in Österreich sei es weiters, „dass der Täter oder das Opfer Österreicherin sein muss, der Täter den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat oder zumindest gerade in Österreich aufhältig ist und nicht ausgeliefert werden kann“.

Andere Staaten besser aufgestellt

„Es ist ein Faktum, dass andere Staaten in Europa für solche Strafverfahren besser aufgestellt sind, als Österreich.“ Pioniere bei der Verfolgung von Völkerstraftaten seien beispielsweise Deutschland, Schweden oder die Niederlande. „Dort gibt es viel mehr Verfahren. Österreich hat für solche Verfahren weder die rechtliche Struktur geschaffen, noch stellt Österreich die Ressourcen bereit“, bedauert Sauermoser. „Die Politik scheint gegenwärtig nicht gewillt, mehr Ressourcen in dieses Thema hineinzustecken.“

Bundesstaatsanwaltschaft für Völkerstraftaten

Eine eigene Bundesstaatsanwaltschaft für Völkerstraftaten, wie es sie in Deutschland bereits gibt, sei in Österreich zwar einmal angedacht worden, letzten Endes aber nicht gekommen. „Bei Einführung einer solchen Staatsanwaltschaft, ähnlich wie wir es in Österreich von der Korruptionsstaatsanwaltschaft her kennen, würde es auch in Österreich zu deutlich mehr Verfahren kommen“, ist sich Sauermoser sicher. Ob und wann es im Zuge der laufenden österreichischen Ermittlungsverfahren wegen Völkerstraftaten zu Verfahren kommt, ist derzeit unsicher. „Ich würde es begrüßen, wenn es zu Anklagen kommt, kann mich aber dazu nicht wirklich äußern, da Informationen im Rahmen laufender Ermittlungsverfahren nicht verfügbar sind.“

Hoffnung auf vergleichbare Verfahren

Generell hofft Sauermoser, dass das Koblenzer Urteil andere Staaten dazu motiviert, vergleichbare Verfahren einzuleiten. „Die Strafverfolgungsbehörden anderer europäischer Länder sehen jetzt, dass es möglich ist.“ Die Relevanz der aufgenommenen Beweise gehe weit über das Verfahren in Koblenz hinaus. Diese könnten auch in den Verfahren anderer Länder genutzt werden. Das Koblenzer Urteil sei insgesamt deshalb so wichtig, weil eine Aufarbeitung der Völkerstraftaten in Syrien im Land derzeit nicht möglich sei, seien die „Opfer darauf angewiesen, dass die Aufarbeitung durch nationale Strafgerichte in Drittstaaten geschieht“.

Sexualisierte Gewalt als systematisches Verbrechen

Als besonderen Aspekt des deutschen Urteils greift Sauermoser die Tatsache heraus, dass der Vorwurf der sexualisierten Gewalt vom Gericht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und damit „nicht als Einzeltat, sondern als systematisches Verbrechen gegen die syrische Bevölkerung“ erkannt wurde. Auch ein „Minuspunkt“ findet sich laut Sauermoser in dem noch nicht vollinhaltlich abrufbaren Urteil aus Koblenz: Das zwangsweise Verschwindenlassen sei nicht ins Urteil aufgenommen worden, obwohl dies „ein wesentliches Thema im syrischen Bürgerkrieg ist und als schwere Menschenrechtsverletzung anerkannt.“

Andreas Sauermoser ist Assistent bei Michael Lysander Fremuth, Professor für Grund- und Menschenrechte an der Universität Wien.

Das Gespräch führte Andreas Stangl/APA