Geflüchtete im Tansport- und Logistikzentrum in Bruzgi nahe der belarussisch-polnischen Grenze. (17.11.2021)
MAXIM GUCHEK / AFP / picturedesk.com
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EU-Kommission

Lukaschenko wird Täuschung von MigrantInnen vorgeworfen

In dem Konflikt zwischen Polen und Belarus hat die EU-Kommission dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko die Täuschung von Migrantinnen und Migranten vorgeworfen.

Sowohl die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson als auch Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sehen in dem Konflikt zuletzt eine leichte Entspannung, wenngleich es gestern erneut Versuche von Menschen n gab, die Grenze zu überwinden. Polen zeigte sich indes bereit, für die Rückführung der Geflüchteten aufzukommen.

Menschen seien „in eine Tragödie gelockt“ worden

„In der Krise hat Lukaschenko sich wie ein Reiseveranstalter ohne Lizenz benommen, der teure Reisepakete in die EU verkaufte, die dann aber bei der Ankunft in sich zusammenfielen“, sagte die EU-Innenkommissarin Johansson der „Welt am Sonntag“. Familien und Kinder seien „in eine Tragödie gelockt“ worden.

Belarus trägt „Verantwortung für die produzierte Krise“

Lukaschenko und seine Regierung tragen laut Johansson eine „hochgradige Verantwortung für die produzierte Krise“. Die Lage vor Ort habe sich zuletzt entspannt, weil die EU und ihre Partner kooperiert hätten. „Die Fähigkeit der EU zusammenzuarbeiten, über Ministerien und Dienste, aber auch über Länder und Regionen hinweg, hat dazu geführt, dass keine Menschen mehr am Minsker Flughafen ankommen“, sagte Johansson.

„Europäisierung der Migrationspolitik“ als Weg

Dies sei ein weiterer Beweis dafür, „dass die Europäisierung der Migrationspolitik der einzige zukunftsweisende Weg ist“. Wenn die EU in der Migrationspolitik zusammenarbeite, könne sie nicht nur Krisen überwinden, sondern auch Pläne machen, um diese frühzeitig zu verhindern.

Zusammenhalt der EU

Auch Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) ortete in der Migrationskrise eine leichte Entspannung. Die EU halte zusammen und es gebe erste Signale, dass auch andere Staaten die EU unterstützen wollten, sagte Edtstadler gestern in der ORF-„Pressestunde“. So fliege die Türkei keine Flüchtlinge mehr nach Minsk und der Iran nehme welche zurück. Es seien auch bereits Menschen in Bussen aus der Gegend zurücktransportiert worden, so Edststadler.

Polen sieht „hybriden Krieg“ gegen EU

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bezeichnete gestenr den Konflikt mit Belarus als den „größten Versuch“ zur Destabilisierung Europas seit dem Kalten Krieg. Lukaschenko habe „einen hybriden Krieg gegen die EU begonnen“, schrieb Morawiecki bei Twitter. Unter einem „hybriden“ Angriff wird unter anderem ein Angriff mit Verschleierungstaktik verstanden – die Angreifer agieren anonym oder bestreiten ihre Verantwortung. Die EU wirft Lukaschenko vor, gezielt tausende Menschen aus dem Nahen Osten an die Grenzen zu Polen, Litauen und Lettland zu schleusen, um Vergeltung für bisherige Sanktionen zu üben. Die Menschen aus dem Irak, aus Syrien und Afghanistan sind über Touristenvisa in Belarus eingereist. Minsk weist die Vorwürfe zurück.

Polen würde für Rückführung aufkommen

Die polnische Regierung zeigte sich zudem bereit, für die Rückführung der Geflüchteten aufzukommen. „Wir sind jeden Moment in der Lage, die Rückkehr der Migranten in ihrer Herkunftsländern zu finanzieren, wir haben auch eine Menge diplomatischer Aktivitäten im Irak und in anderen Ländern des Nahen Ostens entwickelt“, sagte Morawiecki gestern nach einem Treffen mit Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas.

Polen will weiter Grenzübergänge schließen

Nach Angaben von Morawiecki erwäge Polen weitere Grenzübergänge zu Belarus zu schließen, um damit den ökonomischen Druck auf Lukaschenko zu erhöhen. Polen hatte bereits vor zwei Wochen den Grenzübergang Kuźnica geschlossen. „Wir gehen davon aus, dass der Druck auf die Grenze anhält, weil Lukaschenko sein Ziel nicht erreicht hat“, sagte Kallas. Die litauische Ministerpräsidentin Ingrida Šimonytė sagte nach der Begegnung mit Morawiecki, Polen trage die größte Belastung einer hybriden Attacke an der Ostgrenze der EU. Morawiecki beriet gestern mit seinen Amtskollegen aus Estland, Lettland und Litauen – von denen zwei ebenfalls eine gemeinsame Grenze mit Belarus haben.

Geflüchtete versuchen Grenze zu überwinden

Trotz der Anzeichen für eine leichte Entspannung der Lage meldeten Polens Grenzschützer gestern erneut Versuche von Geflüchteten, die Grenze zu überwinden, unter anderem von einer "sehr aggressiven Gruppe von etwa 100 Menschen. Sicherheitskräfte hätten diese aber verhindert“, twitterte der polnische Grenzschutz. Es habe am Samstag 208 Versuche gegeben, von Belarus nach Polen zu gelangen, das seien einige mehr gewesen als am Freitag, aber deutlich weniger als am Mittwoch der vergangenen Woche mit rund 500 Versuchen. Da Polen keine Journalistinnen und Journalisten in das Gebiet lässt, lassen sich die Angaben nicht überprüfen.

Sorge um Gesundheitszustand von Geflüchteten

Am Sonntag besuchten zudem Expertinnen und Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Unterkunft. Videos zeigten, wie die Mitarbeiter von Geflüchteten umringt wurden. Bisher ist ein Fall einer Corona-Erkrankung offiziell bestätigt worden. Es gibt aber vermehrte Sorge um den Gesundheitszustand von etwa 2.000 Flüchtlingen, die Belarus in einer Logistikhalle untergebracht hat. Die Situation an der Grenze könne als schwierig bezeichnet werden, sagte WHO-Experte Gerald Rockenschaub, wie die belarussische Staatsagentur Belta meldete.

Menschen brauchen „Perspektive für die Zukunft“

Die russische Staatsagentur Ria Nowosti zitierte bei dem Treffen Behördenvertreter, wonach bereits 100 Menschen in Krankenhäuser in der Stadt Grodno gebracht worden seien. Darunter seien Menschen mit einer Lungenentzündung oder wegen Diabetes, Unterkühlung und Erkältung. Nun liefen Gespräche, wie die WHO helfen könne, sagte der steirische Chirurg Rockenschaub. Er verwies auf Medikamente, medizinisches Material oder Infrastruktur. Geflüchtete hätten über ihren Gesundheitszustand geklagt, einige hätten chronische Krankheiten. „Zu allererst brauchen die Menschen eine Perspektive für die Zukunft“, sagte er laut Belta.