Frauen sitzen am Boden im Hafen von Tajoura, im Osten der libyschen Hauptstadt Tripolis, nachdem über 200 Menschen in Gummibooten gerettet wurden, die von der afrikanischen Küste Richtung Europa absetzten. (29.11.2019)
MAHMUD TURKIA / AFP / picturedesk.com
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Amnesty International

Erneut schwere Menschenrechtsverletzungen in Libyen angeprangert

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat neue Beweise für schwere Menschenrechtsverletzungen in libyschen Haftzentren, in die im Mittelmeer aufgegriffene Geflüchtete gebracht werden, vorgelegt.

Ein heute präsentierter Bericht verdeutliche die „furchtbaren Folgen der Zusammenarbeit Europas mit Libyen im Bereich Migration und Grenzkontrolle“, hieß es in einer Aussendung.

„Jahrzehntelange Menschenrechtsverletzungen“

Trotz wiederholter Versprechen der Behörden, gegen die Vorwürfe – etwa sexualisierte Gewalt – vorzugehen, seien die „jahrzehntelangen Menschenrechtsverletzungen“ in den Haftzentren auch in den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 unvermindert weitergegangen. Hunderte Geflüchtete und Migranten seien verschwunden, Überlebende würden davon berichten, dass die Wärter Frauen vergewaltigten und sie sexualisierter Gewalt aussetzten, unter anderem, indem sie sie im Austausch für Essen oder ihre Freiheit zu Sex zwangen, heißt es in dem Bericht „‚No one will look for you‘: Forcibly returned from sea to abusive detention in Libya“.

Systematische Folter, sexualisierte Gewalt, Zwangsarbeit

Drei Frauen berichteten, dass zwei Babys, die mit ihren Müttern nach einer versuchten Überfahrt über das Meer festgehalten wurden, Anfang 2021 starben, nachdem das Wachpersonal sich geweigert hatte, sie zu einer wichtigen medizinischen Behandlung in ein Krankenhaus zu bringen. Der Amnesty-Bericht beschreibt die Erfahrungen von 53 Geflüchteten und Migranten, die in Zentren festgehalten wurden, die nominell unter der Kontrolle des libyschen Amtes für die Bekämpfung illegaler Migration (DCIM), einer Abteilung des Innenministeriums, stehen. Die überwiegende Mehrheit sei, direkt nachdem sie auf See aufgegriffen wurden, inhaftiert worden. In Gewahrsam wurden sie „systematisch Folter, sexualisierter Gewalt, Zwangsarbeit und anderer Ausbeutung ausgesetzt“, und das „bei völliger Straffreiheit der Täter“, so Diana Eltahawy, stellvertretende Amnesty-Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika. Im Gegenteil, die libyschen Behörden würden diejenigen, die unter begründetem Verdacht stehen, solche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, mit Machtpositionen und höheren Dienstgraden „belohnen“.

„Anhaltende Komplizenschaft europäischer Staaten“

Einmal mehr kritisiert Amnesty dabei auch die „anhaltende Komplizenschaft europäischer Staaten, die es der libyschen Küstenwache weiterhin ermöglicht und sie dabei unterstützt, Menschen auf See abzufangen und sie gewaltsam in die Gefangenschaft in Libyen zurückzuschicken, obwohl sie genau wissen, welche Schrecken sie dort erwarten“, betonte Eltahawy. Amnesty forderte die EU deshalb auf, die Zusammenarbeit mit Libyen in den Bereichen Migration und Grenzkontrollen auszusetzen. Noch in dieser Woche soll das italienische Parlament über die Fortsetzung der Bereitstellung von militärischer Unterstützung und Ressourcen für die libysche Küstenwache debattieren. Diese würde sich „rücksichtslos, fahrlässig und rechtswidrig“ verhalten, konstatierten die Menschenrechtsaktivisten.

2021 rund 15.000 Menschen nach Libyen zurückgeschickt

Zwischen Jänner und Juni 2021 fing die von der EU unterstützte libysche Küstenwache laut Amnesty-Informationen rund 15.000 Menschen auf See ab und schickte sie zurück nach Libyen – das sind mehr als im gesamten (Corona-)Jahr 2020. Überlebende schilderten gegenüber der Menschenrechtsorganisation, wie die libysche Küstenwache ihre Boote absichtlich beschädigte und in einigen Fällen zum Kentern brachte, was dazu führte, dass Menschen ertranken. Insgesamt sind laut der Menschenrechtsorganisation in den ersten sechs Monaten 2021 mehr als 700 Geflüchtete und Migranten entlang der zentralen Mittelmeerroute ertrunken.