Pädagogin Hermine Haidvogel
Hermine Haidvogel
Hermine Haidvogel
Let’s go viral!

Für gelebte Sprachenvielfalt an Schulen

Die Deutsch- und Russischlehrerin Hermine Haidvogel leitete die Salzburg-Sektion des Projektes „Digitales Lernen – Empowerment von Diversity“. Neben der jetzigen 4d des Privatgymnasiums der Herz-Jesu-Missionare haben noch weitere talentierte SchülerInnen, manche von ihnen mit Migrationsbiografie, wertvolle Beiträge zu unserer SchülerInnenzeitung geleistet.

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Ana Grilc

Frau Prof. Hermine Haidvogel, die Deutsch, Russisch, Italienisch und Englisch spricht, hat mit der Projektleiterin Sabina Zwitter die Salzburger Redaktion von „Let’s go viral!“ gegründet. Konferiert wurde über Teams, und jede Schülerin und jeder Schüler hat erstmals als Journalistin bzw. Journalist gearbeitet.

Als wir während des ersten Lockdowns zum Interview kommen, sitzt Frau Prof. Haidvogel gerade vor dem Laptop und liest ihren SchülerInnen – wie jeden Tag – aus der „Roten Zora“ vor. Der Zuspruch ist groß, viele SchülerInnen klicken sich zur freiwilligen täglichen Lesestunde bei ihrer „Frau Professor“ ein.

Pädagogin Hermine Haidvogel
Hermine Haidvogel

Frau Haidvogel, wir leben mitten in einer Pandemie, eine Situation, die wir so noch nicht kannten. Wie ist das Unterrichten aus der Ferne für Sie?

Haidvogel: Ohne direktem Kontakt zu den SchülerInnen ist es schwer. Unterricht lebt von der Präsenz. Natürlich versuche ich auch online, die Leidenschaft und das Feuer für meine Unterrichtsfächer mitzutransportieren. Aber ein Emoji kann kein gemeinsames Lachen und den Humor beim Unterrichten wettmachen. Außerdem geht alles viel schneller und man muss auf mehreren Kanälen gleichzeitig reagieren. Da kann es auf LehrerInnenseite und auch auf Seite der SchülerInnen schnell zu einer Reizüberflutung kommen. Und oft werden dann nur mehr „brav“ die Aufgaben abgearbeitet, aber was bleibt am Ende übrig? Wie nachhaltig ist das? Wir müssen alle aufpassen, dass wir das Tempo bestimmen, nicht die diversen digitalen Plattformen. Am wichtigsten aber ist es, dass es uns LehrerInnen gelingt, auch digital den Kontakt zu den einzelnen SchülerInnen zu halten, damit kein Kind auf der Strecke bleibt.

Frau Haidvogel, Sie sind ja auch Russischlehrerin. Gibt es aus ihrer Sicht so etwas wie wichtigere Sprachen und solche, die nicht so viel wert sind?

Haidvogel: Das dachte ich nie, aber bei einem Projekt zum Thema Mehrsprachigkeit stellte sich das ganz anders dar. Bei der Beantwortung der Frage, wer in einer anderen Sprache aufgewachsen sei, hat sich gezeigt, dass diejenigen, die aufgrund der Herkunft ihrer Eltern auch Englisch, Italienisch oder Griechisch konnten, sehr stolz darauf waren. Im Gegensatz dazu standen die Schüler mit Polnisch und Albanisch als Muttersprachen.

Wie hat sich das bemerkbar gemacht?

Haidvogel: Für mich war es sehr erschütternd. Der polnisch sprechende Schüler wurde ausgelacht, der andere hat gleich gar nichts gesagt. Er ist erst nach dieser Unterrichtsstunde an mich herangetreten und hat zu mir gesagt: „Meine Eltern kommen aus dem Kosovo, aber bitte sagen Sie das niemandem. Ich will nicht, dass das jemand in der Klasse erfährt.“ Das war schrecklich für mich. Da ist ein junger Mensch, der kann eine zweite Sprache, die für ihn auch Heimat bedeutet, und die will er nicht sprechen, weil er das Gefühl hat, er werde dann in seinem Umfeld stigmatisiert.

Wie kommt es dazu, dass manche Sprachen so ein schlechtes Image haben?

Haidvogel: Es geht meiner Meinung nach um die Wertschätzung anderer Kulturen. Das ist es, was wir als Gesellschaft brauchen. Gelebte Toleranz führt dann dazu, dass sich alle SchülerInnen angenommen fühlen. Dann ist es nicht mehr notwendig, sich in ein Ghetto zurückzuziehen, in dem ich meine Sprache vorbehaltlos sprechen kann. Kinder und Jugendliche haben ein großes Gespür dafür, ob ihre Kultur und Sprache von ihren Mitmenschen wertgeschätzt wird oder nicht. Ich denke da auch an die Diskussion in Oberösterreich vor fünf Jahren. Die Landesregierung wollte durchsetzen, dass auch in den Pausen nur Deutsch gesprochen werden sollte. Zum Glück wurde diesem Vorschlag vom Bildungsministerium eine Absage erteilt, weil es der Verfassung und den Menschenrechten widerspricht.

Viele Eltern haben aber Angst, wenn sie mit ihren Kindern in ihrer Muttersprache sprechen, dass diese dann nicht gut genug Deutsch können werden?

Haidvogel: Davor muss man keine Angst haben. Alle Studien weltweit zeigen, dass die Kinder, die ihre Muttersprache gut beherrschen, leichter Perfektion in der Landessprache erreichen. Das schlechte Image entsteht ja auch deswegen, weil eine Sprache in der Schule nicht unterrichtet wird. Wir müssten also den muttersprachlichen Unterricht noch mehr fördern, damit unsere mehrsprachigen SchülerInnen perfekt zweisprachig werden, in Wort und Schrift. Warum sollen die jungen ÖsterreicherInnen nicht auch zusätzlich in ihren Muttersprachen maturieren können? Das würde viel am Image einer Sprache ändern und man würde es als Gewinn sehen, dass man auch andere Sprachen spricht als die, die für gewöhnlich unterrichtet werden, wie Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch – Russisch ist da eh schon eine Ausnahme. In Salzburg gibt es genau eine (!) Schule, an der z. B. Kroatisch unterrichtet wird, aber immerhin. Das ist das Ausbildungszentrum St. Josef. Warum ist es so schwierig zu verstehen, dass jede zusätzliche Sprache, die ich spreche, ein Reichtum ist. Kinder in Österreich sprechen auch slawische Sprachen, Türkisch, Albanisch, verschiedenste asiatische und afrikanische Sprachen und sie sollten sich dafür nicht schämen müssen. Österreich ist ein buntes Land, das ist unsere Realität und das ist gut so.

Ihre große Begeisterung für Sprachen steckt an.

Haidvogel: Das freut mich.

Hermine Haidvogel ist Pädagogin am Privatgymnasium der Herz-Jesu-Missionare in der Stadt Salzburg.