Online-Unterricht bei Pädagogin Kristina Gugerbauer
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Diese Schulprobleme gab’s schon vor Corona

Die Pädagogin Kristina Gugerbauer ist eine, die in der Schule immer neue Wege sucht und diese auch geht. Sie hat 24 Kinder aus 14 Nationen in ihrer Klasse. Sie will ihnen vermitteln, dass ihre Sprache und Kulturen wertvoll sind.

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Ana Grilc

Mit Kristina Gugerbauer von der Europäischen Mittelschule/Neue Wiener Mittelschule Neustiftgasse arbeitete die Redaktion von „Heimat Fremde Heimat“ bereits in anderen Diversity-Empowerment-Projekten zusammen. Das Letzte war „Schule fürs Leben – das Projekt“, das über zwei Jahre hinweg medial die Stärken von SchülerInnen mit Migrationsbiografie in den Vordergrund rückte. Die SchülerInnen haben als Moderatorinnen, ReporterInnen und InterviewpartnerInnen – mit und ohne Kopftuch – in vielen Sprachen das Publikum in Fernsehbeiträgen, in der Zeitung „Get Together“, mit Flashmobs, mit öffentlichen Interventionen, einer Hymne und einem Fotoshooting beeindruckt. Ihre Klasse hat sich auch diesmal wieder virtuell am Projekt „Digitales Lernen – Diversität und Empowerment“ beteiligt.

Online-Unterricht der Pädagogin Kristina Gugerbauer
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Krise macht Missstand sichtbar

Prof. Gugerbauer ist es wichtig, dass die Kinder ihre Muttersprache und Kultur als ExpertInnen in der Schule vorstellen, der gegenseitige Respekt wird gelebt. Kristina Gugerbauer sieht die Corona-Krise nicht als Katastrophe, in der die Kinder mit Migrationsbiografie plötzlich „hinten gelassen“ werden. Die Krise mache nur sichtbar, was sich seit Jahren abzeichnet, nämlich dass niemand wirklich Interesse daran hat, alle Kinder optimal zu fördern. Und ihrer Meinung nach sollen nur die Besten von den Besten, weltoffene, mehrsprachige, aus allen kulturellen Communitys in Österreich kommende Menschen LehrerInnen werden dürfen.

Frau Prof. Gugerbauer ist die Corona-Krise eine schulische Katastrophe?

Gugerbauer: Ich bin davon überzeugt, dass man aus dieser Krise ganz viel Positives mitnehmen kann. Viele LehrerInnen und SchülerInnen haben in kürzester Zeit gelernt, neue Lernplattformen anzuwenden, die Flip Classroom auszuprobieren und an Videokonferenzen teilzunehmen. Wer diese Zeit gut nutzt, der kann viel profitieren. Wir müssen uns auf dieses neue Knowhow, diese Tools einlassen und die Begeisterung der Jugendlichen für diese neuen Technologien nutzen.

Man hört ständig, dass Kinder mit Migrationsbiografie – oft ist damit gemeint, dass ihre Familien arm sind – „hinten gelassen“ werden. Stimmt das?

Gugerbauer: Sicher gibt es in einigen Familie keinen Computer und Eltern können ihre Kinder nicht betreuen, weil sie arbeiten müssen. Da kommen wir ins Spiel, denn es ist unsere Aufgabe, mit den Eltern in Kontakt zu treten. Gemeinsam können immer Lösungen gefunden werden. Mir begegnen die Eltern mit großer Dankbarkeit, wenn ich mich an sie wende und wir nach einem Computer Ausschau halten oder auch analoge Lösungen finden. Hier die kulturelle Zugehörigkeit als Argument zu gebrauchen, lehne ich ab. Das sind alles meine SchülerInnen und die Schule muss dafür sorgen, dass sie lernen können, und Punkt.

Also keine Trennung in die problemlosen einheimischen SchülerInnen und die migrantischen SchülerInnen, die Probleme machen?

Gugerbauer: Da muss ich fast lachen, denn ich arbeite an der europäischen Mittelschule im 7. Bezirk in Wien. An dieser Schule wird sprachliche und kulturelle Vielfalt gelebt. Bei uns schätzen wir diese Vielfalt nicht nur, sondern wir arbeiten mit den Sprachen und der Diversität. Das beginnt mit kleinen Dingen, dass wir z. B. lernen uns in den verschiedenen Sprachen zu begrüßen. Wir ermutigen die SchülerInnen, ihre Muttersprachen sehr gut zu erlernen. Die Forschung zeigt: Das, was ich in der Erstsprache sagen kann, kann ich viel leichter in Deutsch erlernen.

Online-Unterricht bei Pädagogin Kristina Gugerbauer
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Wie sieht diese Vielfalt in ihrer Klasse aus?

Gugerbauer: Ich bin Klassenvorstand einer Klasse von 24 SchülerInnen mit einem Background aus 14 Nationen, u. a. Bosnien, Serbien, Afghanistan, Syrien, Indien usw. Das schulische Zusammenleben passiert friedlich und problemlos. Der Schlüssel dazu ist gelebte gegenseitige Wertschätzung. Wir lernen voneinander – und das ab der ersten Minute.

Wie setzt ihr diese Wertschätzung im Unterricht um?

Gugerbauer: Die SchülerInnen spüren, dass sich alle für ihre Kultur, für ihre Identität interessieren. Zum Beispiel haben wir in der 1. Klasse ein Unterrichtsfach, in dem die Kinder das Land ihrer Wurzeln präsentieren. Sie werden zum Experten. Das stärkt ihre Identität. In solchen Schulstunden lernen wir, wie die Flagge in Afghanistan aussieht oder welche Sprachen man in der Türkei spricht. Dieses gemeinsame Miteinanderlernen stärkt die Idee, dass alle Kulturen gleich viel wert sind. Es stärkt den Zusammenhalt und wenn die Kinder in der Schule mit anderen Kulturen auskommen, dann schaffen sie das auch im Erwachsenenleben.

Zurück zu Corona: Wie könnte man diesem öffentlichen Auseinanderdividieren von SchülerInnen einen Riegel vorschieben?

Gugerbauer: Ich finde das unfair und scheinheilig, diese Probleme der mangelnden Ausstattung und der mangelnden Deutschkenntnisse auf Corona zu schieben. Das sind keine Phänomene der Coronakrise. Diese Herausforderungen haben wir immer, man kann die Verantwortung nicht „den armen, bildungsfernen migrantischen Familien“ in die Schuhe schieben. Es sind Versäumnisse des Systems.

Was sagen sie dazu, dass immer betont wird, dass migrantische Kinder nicht deutsch können?

Gugerbauer: Wie soll bitte ein Migrantenkind mit sechs Wochen Deutsch pro Woche die Landessprache lernen? Da wird man sich neben dem Kindergarten noch einiges überlegen müssen. Diese Kinder wollen mehr als sonst Deutsch lernen, wir sollten ihnen das ermöglichen. In Finnland passiert hier viel über den Ausbau von muttersprachlichem Unterricht, erst so werden die höchst erfolgreichen bilingualen Tools möglich. Wir sollten uns alle bewusst machen, welch wunderbares Abenteuer es ist, eine Welt über eine neue Sprache zu erobern.

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Aber muttersprachlicher Unterricht und mehr Deutschstunden, das kostet doch sicher viel?

Gugerbauer: Der Staat Österreich hat in dieser Krise gezeigt, wenn ihm etwas wichtig ist, er schnell Geld freimachen kann. In der Bildung gibt es seit Jahren einen Stillstand. Scheinbar ist Bildung doch nichts wert. Wann kommen die Laptops und Beamer, White Boards und Tablets, damit wir uns endlich von diesen Overheadprojektoren verabschieden können. Viele LehrerInnen wüssten zwar nicht, wie man die Geräte bedient, daher muss man bei jedem Schritt auch die Lehrerausbildung mitdenken.

Ich glaube, da würden viele LehrerInnen nicht mitmachen.

Gugerbauer: Derzeit kann jeder und jede Lehrerin werden, weil wir einen Lehrermangel haben. Es ist schon lange nicht mehr so, dass die Besten von den Besten diesen Beruf wählen. Aber genau das bräuchten wir: Eine Flotte von kreativen, motivierten, weltoffenen Menschen, die diesen Beruf ausüben wollen. Besonders wichtig wäre dabei, dass sie aus allen in Österreich beheimateten kulturellen Communitys stammen, damit ihre Expertise ins Schulsystem einfließen kann.

Was würden sie im Unterricht sofort ändern?

Was den Kindern über Jahrzehnte in Erinnerung bleibt, sind Projekte, bei denen sie aktiv mitgearbeitet haben. Obwohl Kolleginnen meinen, dass Projekte Zeitfresser sind und man im „Regelunterricht“, in der Lehrplanerfüllung nicht weiterkäme, bin ich eine Gegnerin von den stupiden 50 Minuten Einheiten. Das könnte man alles ganz anders gestalten.

Was wollen sie ihren SchülerInnen im digitalen Unterricht vermitteln?

Gugerbauer: Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um den SchülerInnen beizubringen, wie man mit Online-Medien umgeht: Wie viel will ich preisgeben? Wie wichtig ist Datenschutz? Welche Bilder darf ich verwenden? Das müssen jetzt die Inhalte sein, die wir gemeinsam in der Klasse – auch mit ExpertInnen – erarbeiten sollten.

Kristina Gugerbauer ist Pädagogin an der Europäischen Mittelschule/Neue Wiener Mittelschule Neustiftgasse. Seit ihrem Erasmus-Semester in Finnland, wo sie zum ersten Mal von eTwinning-Projekten gehört hat, führte sie solche aus selbst durch. Dabei werden Schulen aus unterschiedlichen europäischen Ländern über das Internet miteinander vernetzt.