Katja Gasser – Dankesrede anlässlich der Verleihung des Österreichischen Staatspreises der Literaturkritik
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Staatspreis für Literaturkritik

„Prüfe, ob sie nicht lügen“

Die ORF-Journalistin Katja Gasser wurde gestern mit dem Österreichischen Staatspreis für Literaturkritik ausgezeichnet. Ihre perfekte Mittlerposition als Mediatorin zwischen Schreibenden und Lesenden wurde hervorgehoben.

In seiner Laudatio zog Manfred Müller, Geschäftsführer der Österreichische Gesellschaft für Literatur, Parallelen zwischen der Schriftstellerin Ilse Aichinger und der Literaturkritikerin. Die Aufforderung aus Ilse Aichingers Gedicht „Verschenkter Rat“, in dem es heißt „prüfe, ob sie nicht lügen“, nehme Katja Gasser in ihrer Arbeit auf, so Müller, „die sie herausarbeitet, die sie verstärkt, wiederholt aus ihrer Position heraus, zwischen Schreibenden und Lesenden, genau von der Stelle aus, wo das Buch ist – als Anwältin, als Fragende und als Literaturkritikerin im besten Sinn“. Sie verstehe es, das Lesepublikum zu überzeugen und für die zeitgenössische Literatur zu begeistern, hieß es in der Jurybegründung.

Lehrmeisterin Ilse Aichinger

Die herausragende Vertreterin der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur Ilse Aichinger verstehe Katja Gasser als Lehrmeisterin. „Ich bilde mir ein von Ilse Aichinger alles über Literatur gelernt zu haben, was man über Literatur wissen sollte.“ Die in Kärnten geborene und im zweisprachigen Ludmannsdorf/Bilčovs aufgewachsene Journalistin studierte Slawistik und Germanistik und setzte sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit speziell mit Ilse Aichinger auseinander. Seit 2008 leitet sie das Literaturressort im ORF Fernsehen.

Verleihung des Österreichischen Staatspreises der Literaturkritik an Katja Gasser. Im Bild Laudator Manfred Müller
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Distanz, Klarheit, Bedächtigkeit, Bestimmtheit

Ilse Aichingers Weltansicht finde sich laut Laudator in der Arbeit der Literaturkritikerin wider: „Die genaue Beobachtung, die Distanz zu allem, die Klarheit der eigenen Position bei beständigem Wunsch am Rand zu bleiben etwa, aber auch die Bedächtigkeit beim Fragenstellen, die Pause vor der nächsten Frage, bei der gleichzeitigen Bestimmtheit diese eine Frage stellen zu müssen, der Wunsch alles so genau wie möglich festhalten zu müssen, bei gleichbleibender Vorsicht und/oder Abneigung gegenüber den großen Gesten, den großen Wörtern, den großen Männern, den großen Ideen.“

Verleihung des Österreichischen Staatspreises der Literaturkritik an Katja Gasser. Im Bild: Preisträgerin Katja Gasser und Sektionschef Jürgen Meindl
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Der Literatur weiterhin mit Respekt und Liebe begegnen

Den Staatspreis nehme sie mit „Demut entgegen“, sagte Katja Gasser in ihrer Dankesrede. Sie empfinde die Auszeichnung zugleich aber auch als Auftrag: „Mich dem mir anvertrauten Gegenstand der Literatur weiterhin mit Respekt und, ja, Liebe zu nähern und mich für sie einzusetzen und als Verpflichtung meiner eigenen Verletzlichkeit treu zu bleiben.“ Dass man eine Stimme hat und diese erheben kann, verstehe sie heute nicht nur als Privileg, sondern auch als große Verantwortung und in diesem Sinne müsse man sich immer wieder fragen und klären, aus welcher Position man, warum, worüber, wie, mit welcher Absicht spricht.

Kritik an Handke-Debatte

In diesem Zusammenhang kritisierte sie auch die zahlreichen Äußerungen über den Literaturnobelpreisträger Peter Handke – „dessen literarisches Werk durchdrungen ist von einem kompromisslosen Humanismus“ – der letzten Wochen: „Ob sich all die vielen, die sich zu Peter Handke geäußert haben in den letzten Wochen dieser Frage mit aller nötigen Genauigkeit und mit aller nötigen Redlichkeit gestellt haben?“ Mit dieser Debatte gehe laut Katja Gasser „auch die Verachtung gegenüber der Kunst im Allgemeinen in enthemmter Art“ einher und sei ein Abbild des aktuellen gesellschaftlichen Zustandes.

Katja Gasser – Dankesrede anlässlich der Verleihung des Österreichischen Staatspreises der Literaturkritik.
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Die Welt als „unwirtlicher Ort“

„Dass die Welt ein unwirtlicher Ort ist, das habe ich früh begriffen. Vor allem habe ich früh verstanden, dass nichts bleiben muss. Dass der Boden, auf dem wir uns bewegen, dass humanistische Errungenschaften schneller rückgängig gemacht werden können als wir alle glauben“, so die Preisträgerin, die damit Bezug nahm auf den Nationalsozialismus und seine Vernichtungspolitik. „Die Geschichte meiner Mutter, die als Zwölfjährige gemeinsam mit ihrer Familie, weil sie Kärntner Slowenen waren, deportiert wurde, sitzen tief in meinen Knochen.“

Solidarität und Mitgefühl

In der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Veränderungen hob Katja Gasser in ihrer Rede auch ihren Glauben an die Kraft der Genauigkeit, der Großherzigkeit, des Zweifels und des Fragens, der Scham und der Bescheidenheit, aber auch der Barmherzigkeit hervor sowie die Notwendigkeit von Solidarität und Mitgefühl. „Wer gegen Schwächere ausholt, wer auf Armut vom hohen Ross herunterblickt und/oder die Ausgesetztesten gegeneinander aufhetzt, tritt unsere zivilisatorischen Errungenschaften mit Füßen und arbeitet an der Zerstörung des Friedens.“

„Zartheit“ der Literatur

In diesem Sinne gab sie auch ihr Verständnis von Literatur wider: „Literatur, die den Name verdient“ wolle nicht Recht haben, sei niemandem verpflichtet und arbeite daran, dass der Respekt vor der Würde des Menschen nicht abhandenkomme. „Sie zielt auf eine Zartheit, die im Alltäglichen so selten anzutreffen ist“. Und bBezugnehmend auf den ungarischen Schriftsteller Péter Nádas, der von der Notwendigkeit der täglichen Erhebung „aus dem Urschleim der eigenen Dumpfheit“ spricht – damit die schreckensvolle europäische Geschichte nicht geschehe –, äußerte die Laureatin ihre Bereitschaft, sich dem zu stellen.

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Der Österreichische Staatspreis für Literaturkritik, der mit 10.000 Euro dotiert ist, wird alternierend mit dem Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik an eine Persönlichkeit vergeben, die sich durch hervorragende Beiträge auf dem Gebiet der Literaturkritik ausgezeichnet hat. Zuletzt ging der Preis an Klaus Amann (2009), Klaus Nüchtern (2011), Erich Klein (2013), Brigitte Schwens-Harrant (2015) und Evelyne Polt-Heinzl (2017). In der Jury waren Robert Huez, Annette Knoch und Klaus Nüchtern vertreten.