Geplant unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges sei die Schau durch die Terrorangriffe der Hamas auf Israel „aktueller denn je“, sagte JMW-Direktorin Barbara Staudinger in einer Presseführung. „Gerade in Zeiten des Krieges müssen wir einmal vom Krieg, der unsere ganze Aufmerksamkeit einnimmt, wegschauen und uns überlegen, was Frieden bedeuten kann“, so die Museumschefin.
Die Ausstellung spürt dem Verhältnis von Frieden und Judentum, Politik, Krieg, Feminismus und Gerechtigkeit nach und stellt jüdische Perspektiven dabei in den Vordergrund. Die Ausstellung möchte die zivilisatorische Errungenschaft des Friedens in Erinnerung rufen und versteht sich als Beitrag zu einer nur mangelhaft ausgeprägten Friedenskultur. Ein breites Vermittlungsangebot versucht die Vielschichtigkeit des Themas erfahrbar zu machen und die Besucherinnen und Besucher werden zur Partizipation eingeladen.

Ausstellung „Frieden“
von Dienstag, 7. November 2023 bis Sonntag, 26. Mai 2024, Museum Judenplatz, Judenplatz 8, 1010 Wien; Öffnungszeiten: So-Do, 10.00-18.00 Uhr, Fr 10.00-14.00 Uhr (Sommerzeit 10.00-17.00 Uhr); Katalog: 24,90 Euro
Viel Symbolkraft
Gearbeitet wird in dieser von Tom Juncker und Adina Seeger kuratierten Ausstellung freilich mit viel Symbolkraft. So entdeckt man gleich im Foyer ein unscheinbares Pflänzchen. Es handelt sich um einen der inzwischen rund 300 gezogenen Setzlinge eines Kakibaums, der im August 1945 den Atombombenabwurf auf Nagasaki überlebte. Im Rahmen eines Kunstprojekts werden seit Jahren „Nachkommen“ gezogen und weltweit an Schulen und Friedensinitiativen verteilt.
„ABC des Friedens“
Im ersten der insgesamt drei Ausstellungsräume wird dann einmal den unterschiedlichen Definitionen von Frieden nachgegangen – sei es durch ein „ABC des Friedens“ von A wie Abrüstung bis Z wie Zusammenleben oder der Herleitung des Wortes in diversen Sprachen und Kulturkreisen. Aufgebracht sind sie auf einer runden Tischplatte, auf der auch buntes Papier aufliegt.
Besucherinnen und Besucher sind dazu eingeladen, nach Anleitung Kraniche – sie stehen in Japan für Glück und Langlebigkeit und wurden nach Hiroshima zum internationalen Friedenssymbol – zu falten oder auf runden Papierplättchen mit Friedenstauben ihre Vorstellungen von einem gewaltfreien Zusammenleben aufzuschreiben.

„Schalom, Schalom“
Ein spezieller Fokus liegt auf der Bedeutung des Begriffs im Judentum. Im Zentrum steht das Werk des Künstlers Larry Abramson. Gezeichnete Zweige bilden die hebräischen Schriftzeichen für „Schalom, Schalom“, das als Begrüßungs- und Abschiedsformel dient und in etwa „Friede sei mit Dir“ bedeutet. Die Fragilität und Zerbrechlichkeit der Zweige verdeutliche nicht nur die Hilflosigkeit gegenüber Krieg, sondern auch die Phrasenhaftigkeit, die die Worte im Laufe der Zeit angenommen hätten, erklärte Kurator Juncker.
Im zweiten Raum wird die Rolle des Friedens im Verhältnis zu Politik, Krieg oder Feminismus nachgespürt. Anhand eines Blauhelms wird die Geschichte der UN-Friedenstruppen erzählt, ein Videomitschnitt von der Unterzeichnung der Beitrittserklärung Österreichs zur EU steht für das Friedensprojekt Europa.
„Before and After“ von Zoya Cherkassky-Nnadi
Deutlich höher fällt der Aktualitätsbezug aus, wenn man etwa vor einem Werkpaar aus der Serie „Before and After“ der ukrainisch-israelischen Künstlerin Zoya Cherkassky-Nnadi steht. Links hängt eine Zeichnung aus dem Zyklus „Soviet Childhood“, in dem die Malerin Erinnerungen an ihre sowjetische Kindheit festgehalten hat. Hier sieht man Mutter und Tochter vom Balkon einer Wohnung auf eine friedliche Stadt mit schönen Häusern und viel Grün herabblicken. Auf dem rechten Bild hat Cherkassky-Nnadi dieselbe Szene noch einmal nach dem Angriffskrieg Russlands gemalt: Das Mädchen klammert sich an die Mutter, die Wohnhäuser brennen, die Straßen sind voll mit Panzern.

Klopapier-Installation zu Osloer Verträge
Wie ein Kommentar auf die aktuelle Lage in Nahost liest sich die Arbeit von Andi Arnovitz, die schon vor dem Hintergrund des Gaza-Konflikts entstanden ist. Unter einem Glassturz sind drei Klopapierrollen zu sehen. Auf das Papier gedruckt ist der Wortlaut der Osloer Verträge aus 1993 – jenem Friedenskonzept für den Nahen Osten, „das noch am aussichtsreichsten hätte sein können“, wie es Kuratorin Seeger formulierte. Was Arnovitz von den schönen Worten hält, wird spätestens mit dem Titel seines Werks klar: „The Only Thing Left To Do With The Oslo Accords“, hat er seine Klopapier-Installation genannt.
Initiative „Woman Wage Peace“
Eine „ganz traurige Art der Aktualität“ ergibt sich schließlich im Kapitel über den Frieden im Zusammenhang mit der Frauenbewegung. Ein Video stellt die israelische Initiative „Woman Wage Peace“ vor, die sich – ebenfalls nach dem Gaza-Konflikt – 2014 als breites, religionsübergreifendes Bündnis formiert hat und in erster Linie die Forderung erhebt, Frauen in alle politischen Friedensbestrebungen miteinzubeziehen. Eine der Aktivistinnen, Vivian Silver, wird seit kurzem vermisst. Es werde vermutet, dass sie als Geisel von ihrem Wohnort nahe Gaza verschleppt worden sei, erfährt man auf der Texttafel.

Dass auf der gegenüberliegenden Wand eine 1978 von Friedensreich Hundertwasser konzipierte „Friedensfahne für das Gelobte Land“ hängt, die unter einem blauen Davidstern einen liegenden und damit gewissermaßen lächelnden Halbmond vereint, wirkt angesichts der aktuellen Lage nur mehr als weltfremde Utopie aus längst vergangenen Tagen.
Katalog zur Ausstellung
Zur Ausstellung erschien ein Katalog, mit dem literarischen Essay „Die Ufer des ewigen Friedens“ des österreichisch-bulgarischen Schriftstellers Dimitré Dinev. Das von den Friedensforschern Wilfried Graf und Werner Wintersteiner verfasste „ABC des Friedens“ ist eine Einführung in verschiedene Ideen, Konzepte und Strategien von Frieden. Weitere Beiträge verfassten Tom Juncker, Adina Seeger, Domagoj Akrap, Gabriele Kohlbauer-Fritz und Marcus G. Patka.