Konferenz „Deportiert. Vergleichende Perspektiven auf die Organisation des Wegs in die Vernichtung“
ORF | yvonne erdost
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Rádio Dia:tón

„Deportiert. Vergleichende Perspektiven auf die Organisation des Wegs in die Vernichtung“

Das Wiener Wiesenthal Institut forscht seit 2002 unaufhörlich zum Nationalsozialismus, seinen Gründen und Auswirkungen. Gemeinsam mit den ÖBB und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften lud es heuer, 80 Jahre nach Beginn des so grausamen Zweiten Weltkriegs zu einer Konferenz.

On demand | Rádio Dia:tón | 24.6.2019

„Deportiert. Vergleichende Perspektiven auf die Organisation des Wegs in die Vernichtung“ zeigt mitteleuropäische Wege, die die größte Katastrophe von Menschen an Menschen möglich machten.

Konferenz „Deportiert. Vergleichende Perspektiven auf die Organisation des Wegs in die Vernichtung“
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Omer Bartov

Der renommierte Historiker und Autor Omer Bartov ist ebenfalls Redner der Konferenz am Wiener Hauptbahnhof. Der Professor für europäische Geschichte und deutsche Studien an der Brown University in Providence, Rhode Island, USA ist einer der weltweit führenden Historiker im Forschungsbereich Völkermord. Geboren ist er in Israel.

„Meine Gedanken drehen sich stets um den Völkermord, wie das Verhältnis zwischen Opfern und Tätern aufgestellt ist. Im Völkermord, der von den Nationalsozialisten begangen wurde, waren die Berührungspunkte zwischen den beiden Gruppen gering, die Opfergruppe wurde weggeführt, aus dem Blickfeld geschafft. Doch in den 1990er Jahren gab es abermals zwei Völkermorde, einer in Ruanda, einer in Bosnien. Da gab es nichts Geheimes, es gab keine Distanz zum Grauen, da wurden Nachbarn von Nachbarn ermordet. Mich interessierte, wie so etwas möglich sei. 1995 interviewte ich meine Mutter über ihre eigenen Erfahrungen, ihrer Vertreibung aus einem kleinen Dorf in Polen, Buczacz, aus dem auch Simon Wiesenthal stammt. In meinen Studien erkenne ich immer wieder, dass die Gewalt innerhalb der Gesellschaft wächst und nicht nur von außen injiziert wird“, erläutert der Historiker Bartov.

Hass, Gewalt, Eifersucht, Missgunst, das alles sind Pulverfässer, deren leicht entzündbare Schnur lediglich eine heikle Thematik, öffentliche Diskussion braucht, um diese menschlichen Gefühlsfässer zum explodieren zu bringen. Dass solche Explosionen zum unwahrscheinlichsten Grauen führen können, unterstreichen unvergleichbar die Massendeportationen der von den Nazis nicht gewünschten Bevölkerungsgruppen.

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Traude Kogoj

Gerade die Österreichischen Bundesbahnen, damals BBÖ, mit ihr auch die Eisenbahner und Eisenbahnerinnen, waren im Zweiten Weltkrieg Instrumente des Machtmissbrauchs der politischen Diktatur. Mit einem sensiblen Bewusstsein für das Geschehene setzt sich die ÖBB mit ihrer Ausstellung „Verdrängte Jahre. Bahn und Nationalsozialismus in Österreich 1938-1945“ auseinander. „Es ist das dunkelste Kapitel der Bahn und uns ist wichtig, dass die Bediensteten heute auch diese Epoche mitbekommen und dementsprechend aufarbeiten können. Dabei ist es zu erwähnen, dass die Österreichischen Bahnbediensteten, die damals zum Unternehmen der Deutschen Reichsbahn gehörten, einen großen Widerstand gegen das Regime geleistet haben. Sehr viele von ihnen sind hingerichtet worden“, so Traude Kogoj Diversity Beauftragte der ÖBB.

Eisenbahnerinnen und Eisenbahner in Österreich waren maßgeblich, anders als ihre Deutschen Kollegen, am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt: Über 2000 von ihnen landeten in Konzentrationslagern, etwa 300 von ihnen verloren dort, oder bei Direkthinrichtungen ihr Leben.

Konferenz „Deportiert. Vergleichende Perspektiven auf die Organisation des Wegs in die Vernichtung“
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Während der 3 tägigen Internationalen Konferenz am Hauptbahnhof „Deportiert. Vergleichende Perspektiven auf die Organisation des Wegs in die Vernichtung“ sprach auch Ján Hlavinka aus dem Historischen Institut Bratislava. „Crime Scene Bratislava“ hieß sein Vortrag und verbirgt eine tragische Wahrheit: „Die Hauptstadt war unter einem großen Druck Nazideutschlands. Gerade hier siedelte sich die Einsatzgruppe H, der deutschen Sicherheitspolizei und des Geheimdienstes an. Sie hatte die Bestrafung und Auffindung der Teilnehmer des slowakischen Nationalaufstands als Aufgabe und die sogenannte ‚Endlösung der Judenfrage‘, wie es die Deutschen damals bezeichneten. Zu ihren Opfern gehörte vor allem die jüdische Bevölkerung, die in Bratislava zu der Zeit noch lebte“, erklärt Hlavinka.

Konferenz „Deportiert. Vergleichende Perspektiven auf die Organisation des Wegs in die Vernichtung“
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Ein düsteres Geflecht aus Geheimdienst, Polizei, der damals aktiven radikalen „Hlinkagarde“ und der Leistungen der Parteimitglieder der „Deutschen Partei“ in Bratislava, einer Partei der deutschen Ethnie in der Gegend und ihrer paramilitärischen Organisation „Heimatschutz“ unterwanderte und sprengte zuletzt die bis dahin sehr friedliche, vielkulturelle Bratislaver Gesellschaft.

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Ján Hlavinka
Konferenz „Deportiert. Vergleichende Perspektiven auf die Organisation des Wegs in die Vernichtung“
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Jana Starek

„Es geht nicht nur um eine Verarbeitung historischer Geschehnisse, trockene Daten, sondern um die moralische Frage und die menschliche Einstellung. Bis zu welchem Ausmaß ist der Mensch fähig sich gegen Unrecht zu stellen und sich auf die Seite derjenigen zu stellen, die in der Opferposition stehen? Wenn uns etwas mit dieser Konferenz gelingen sollte, dann ist es das, dass wir zum besseren Verständnis und einem Bewusstwerden derjenigen beitragen, die sonst über diese Themen nicht nachdenken. Und das spiegelt sich dann auch in den Wahlergebnissen wieder. Leider sind wir auch heute Zeugen davon, dass nationalistische, egoistische Meinungen von gewissen Staatsrepräsentanten so präsentiert werden, als wären sie in Ordnung, was sie aber nicht sind! Dem wollen wir als Forschungsinstitut, gemeinsam mit unseren Partnern einmal mehr entgegenwirken“, fasst die Wiener Tschechin und Historikerin des Wiener Wiesenthal Instituts Jana Starek schließlich zusammen.

Hören sie im aktuellen Volksgruppenmagazin Dia:tón das gesamte Interview mit dem Historiker Jan Hlavinka und gewinnen sie Eindrücke aus der Konferenz „Deportiert. Vergleichende Perspektiven auf die Organisation des Wegs in die Vernichtung“, eines Engagements, das nach Frieden ruft.

Den TV Beitrag über dieses Thema sehen sie in der kommenden Volksgruppensendung Ozveny, am 11. August.

Text in Slowakisch | „Deportiert. Vergleichende Perspektiven auf die Organisation des Wegs in die Vernichtung"