Eiserner Vorhang an der Grenze zur Tschechoslowakei
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Kalter Krieg

Uni Graz blickt hinter Spionage-Aktivität in Österreich

Österreich gilt oft als Hotspot für Spionage im Kalten Krieg. Ein noch bis August 2024 laufendes Forschungsprojekt der Uni Graz hat sich diesem Topos angenommen. Welche Rolle unser Land speziell für Nachrichtendienste aus der Tschechoslowakei (ČSR) spielte, ist dabei das Augenmerk eines Teams rund um die Historikerin Barbara Stelzl-Marx – denn Spione aus dem Vorläuferstaat Tschechiens und der Slowakei sollen hier in den Nachkriegsjahren besonders aktiv gewesen sein.

Dabei dürfe man sich die Arbeit für den Geheimdienst nicht wie einen Agentenfilm vorstellen. Oft hätten „ganz normale Leute“ Informationen recherchiert und weitergeleitet. Den durchschnittlichen Spion, so Stelzl-Marx gegenüber der APA, habe es aber nicht gegeben: „ČSR- wie Westdienste rekrutierten durch alle Schichten und in allen gesellschaftlichen Kreisen.“ Lediglich Regierungsmitglieder oder Vorstände von großen Wirtschaftsunternehmen seien kaum bis nie involviert gewesen – wobei auch diese über Assistenten oft erfolgreich bespitzelt worden seien. In der Öffentlichkeit stehende Personen wie der ehemalige Wiener Bürgermeister und ORF-Journalist Helmut Zilk, der unter dem Deckname „Holec“ auch geheimdienstlich arbeitete, seien die Ausnahme gewesen.

Mit Material unter anderem aus zwei Archiven in Brünn und Prag sowie Akten der damaligen US-Spionageabwehr, des britischen Geheimdienstes und der „Intelligence Organisation Austria“ verfolgt das Team einen komparatistischen Ansatz. Zuvor haben viele Spionage-Studien laut der Historikerin lediglich Akten einzelner Dienste untersucht. „Dies ergab zumeist ein einseitiges Bild mit vielen Lücken.“ Allein die Betrachtung von Unterlagen verschiedener Institutionen, beispielsweise Nachrichtendienst und Spionageabwehr, würde inkorrekte Einschätzungen zu Geheimdienst-Aktivitäten verringern.

Oft seien kleine Puzzlestücke durch die Dienste gemeldet worden, beispielsweise welche Züge über Österreich in die Sowjetunion fuhren. Aber nicht nur Wien war laut Stelzl-Marx von Interesse. Als Teil der US-Zone in der „Besatzungszeit“ sei Salzburg ein wichtiges Zentrum gewesen und Linz vor allem für Technologie- und Industriespionage wesentlich. Darüber hinaus habe Interesse an allen Informationen bestanden, die Operationen im Land erleichterten – also über die österreichische Polizei und Bundesheer oder Grenzschutz und Diplomatie.

Anhand des „MICE-Modells“ – ein Akronym für „Money“, „Ideology“, „Coercion“, „Ego“ – versuchen die Historiker, gängige Motivationen festzumachen, aus denen sich Menschen aus der Tschechoslowakei in den Geheimdienst begaben. Bisherigen Ergebnissen zufolge war Ideologie weniger wichtig als angenommen und Geld nur ein Teilfaktor. Wesentlich sei das Ego gewesen, vor allem bei „Personen, die sich zurückgesetzt, übergangen fühlten, beispielsweise bei Beförderungen“. Erpressung hätte zu Beginn kaum eine Rolle gespielt, aber teilweise später, als manche ihren Dienst quittieren wollten.

Eine Publikation für das vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierte Projekt ist in Vorbereitung sowie eine Sonderausgabe des US-Journals „International Journal of Intelligence and Counterintelligence“, die im Laufe dieses beziehungsweise des nächsten Jahres erscheinen soll, mitherausgegeben vom ebenfalls am Projekt beteiligten Historiker Dieter Bacher.