March
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Film

Mountainfilm Graz: „Tara“ und „March“, Plädoyer für natürliche Flüsse

Sie sind natürliche kleine Schwestern und könnten doch unterschiedlicher nicht sein, bevor sie sich der großen Schwester Donau anschließen: Die Flüsse March und Tara, denen beim Mountainfilmfestival Graz Mittwochabend ein Premierenblock gewidmet war.

Ein ausgiebig mäandrierender Fluss zwischen Österreich und der Slowakei die eine, ein tiefe Schluchten durchdonnernder Gebirgswasserlauf in Montenegro die andere – umsäumt von faszinierenden Landschaften.

Magisch, zauberhaft, unwirkliche Schönheit – inflationär gebrauchte Attribute im Dokufilm-Universum, wenn es darum geht zu beschreiben, was eigentlich nur natürlich bleiben durfte. Die beiden Filme „Wasserparadiese in Europa – Die Tara-Schlucht“ von Sybille Smolka (Deutschland) und „Die March – ein Fluss wie damals“ von Manfred Christ (Österreich) zeigen, was man nicht vermuten könnte: March, Marchfeld, ist das nicht der intensiv bewirtschaftete Gemüsegarten und die Kornkammer Ostösterreichs? Tara, Montenegro, echt jetzt? Einmal mehr erweist sich mit Dokumentationen dieser Art, dass sich Mountainfilm Graz vom reinen Berg- und Abenteuerspielplatz zum problembewussten Filmfestival mit Gewissen gewandelt hat.

Man erinnert sich an die jahrelange Diskussion um die Erhaltung der Natürlichkeit der Vjosa (Vjosë) in Albanien, einer der letzten unverbauten Flüsse mit wilder Fließstrecke in Europa. Es gelang, sie vor den Begehrlichkeiten der Energiewirtschaft zu schützen, seit März 2023 ist sie ein von der albanischen Regierung garantierter Nationalpark – mit Lebensraum für Tiere und Pflanzen, die anderswo in Europa schwer unter Druck sind.

Beide Flüsse – March und Tara – haben eines mit der Vjosa gemeinsam: Sie waren lange Zeit unzugänglich bzw. am Rande jeder Nutzung durch den Menschen. Die Tara in einem schroffen Bergmassiv, die March als flacher, trennender Fluss zwischen West und Ost im Kalten Krieg inklusive Eiserner Grenze. Keine großen Städte liegen an ihren Ufern, weshalb beiden Wasserläufen die Dreckschleudern menschlicher Zivilisation erspart geblieben sind.

Rund 1.300 Meter tief eingeschnitten ins Durmitor-Massiv rauscht die Tara durchs nördliche Montenegro, kristallklar und türkis, bis sie in die Drina mündet und sich über Save und Donau dem Schwarzen Meer zuwendet. Wunderliches geschieht an ihren Ufern – eine orthodoxe Klosterschwester hält alte Traditionen wie das Klangbrett zum Anzeigen der Tagesstunden aufrecht. Ein mutiger wie kälteunempfindlicher Turmspringer übt in ihren Wassern für den großen Sprung von der berühmten Stari Most im bosnisch-herzegowinischen Mostar – wo er sogar den zweiten Platz holt. Was für eine schöne individuelle Verständigungsform zwischen einst sich bekriegenden Staaten. Und die Kräuter, die an den Ufern der Tara gedeihen, sind Grundlagen für Tee, der in der ganzen EU getrunken wird.

Die March wird von Manfred Christ mit meisterlich dargestellten Makroerlebnissen aus der Tierwelt und mit ausschweifenden Drohnenflügen porträtiert, wie man sie kaum je gesehen hat: ein auf den letzten 60 Kilometern vor dem Einmünden in die Donau sanfter, aber bisweilen durch Hochwasser ungestümer Fluss, mit beinahe wüstenartigen sandigen Einsprengseln an seinen Ränder. Ein Geheimnis, liebevoll entdeckt direkt vor der Haustür der Hauptstädte Wien und Bratislava.

„Tara“ und „March“ – das sind zwei trotz bisweilen lautem Rauschen der Wasser vor allem der Tara stille und freundliche filmische Plädoyers, dass um unser aller Willen Flüsse auch so dürfen sollen, wie sie wollen.