Radio Dráťák | Gero Fischer | Student der 1960er in Prag

Gast des Magazins Radio Dráťák ist Gero Fischer, ein österreichischer Slawist der Universität Wien. In den 1960er Jahren sah sein Leben als Student der Sprachwissenschaft an der Karls-Universität in Prag noch ganz anders aus.

On demand | Radio Dráťák | 11.2.2019

Radio Dráťák Magazin

11.2.2019 | 21:10 | Radio Burgenland Livestream

Palach Ausstellung

orf | pavla rašnerová

Sehr gut erinnert sich Fischer an die Umbruchsära in der damaligen Tschechoslowakei unter der Regierung des dritten kommunistischen Präsidenten, auch an die allmähliche Lockerung des Regimedrucks, dem der Einmarsch von allierten Truppen in das Gebiet der Tschechoslowakei, der einen unbarmherzigen Schlag in den Rücken versetzte: „Ich war seit dem Jahre 1964 in Prag und man konnte schon merken, dass das Regime Novotnýs mehr oder weniger zerfällt. Menschen machten Witze, Anspielungen und das war schon klar, dass er die Macht nicht mehr so fest in seinen Händen hat.“ Pavla Rašnerová interviewte Gero Fischer zu dieser Thematik.

Gero Fischer

orf | pavla rašnerová

Damals Zeuge, heute Zuschauer

Nach der Okkupation der Tschechoslowakei tauchten auch solche auf, die es nicht schafften nur passiv zuzuschauen, wie die politische Situation innerhalb des Staates sich ändert und der frühere, doch nicht so entfernte Traum über eine demoktratischere Regierung zerfällt. Einer von ihnen war auch der junge Student Jan Palach, der seine brennende Fackel weiter übergeben wollte.

Palach Ausstellung

orf | pavla rašnerová

Die Ausstellung der Tschechischen Zentren „Jan Palach ´69“ können Sie in Räumlicheiten der Slawistik in der Galerie auf der Pawlatsche bis zum 28. Februar an der Adresse Spitalgasse 2-4/Hof 3, im 9. Bezirk besuchen.

An der gleichen Alma Mater und auch Fakultät wie Palach studierte damals auch Gero Fischer. Ausgerechnet in der „Galerie auf der Pawlatsche“, die er selbst vor zwanzig Jahren gründete und bis heute leitet, ist eine Ausstellung zu sehen, die Palachs Zeit, sein Leben und die Tat selbst näher bringt. „Es ist seltsam. Auch hier sehe ich etwas, dessen ich Zeuge war und doch schaue ich die Ausstellung als ein Besucher vom außen an“, wertet Fischer seine Erinnerungen beim gemeinsamen Besuch der Ausstellung.

Palach Ausstellung

orf | pavla rašnerová

„Binnen ein paar Wochen wussten wir nicht, wer auf welcher Seite steht"

Der Zeitraum, von dem an Jan Palach über einen Aufstand gegen das System oder zumindest Aufwachen der tschechoslowakischen Bevölkerung aus der entweder gewollten oder ungewollten Gleichgültigkeit gegenüber der aktuellen Politik im Land nachzudenken beginnt, ist wahrscheinlich der Herbst 1968, als er an manchen Demonstrationen teilnimmt. Er schliesst sich auch dem Okkupationsstreik im November desselben Jahres an. Später sind das schon Gedanken an Besetzung des Gebäudes des Tschechoslowakischen Rundfunks und an eine Ausstrahlung der Aufforderung zum Generalstreik. Jedoch entschied er sich schließlich für eine viel radikalere Tat, mit einem unvergleichlichen Schockeffekt. Die Selbstverbrennung.

Über das gesamte aktuelle Geschehen, das mit Palachs Tat verbunden war, erfuhr Fischer damals zusammen mit anderen Studenten/innen sehr zeitnahe: „Es gab spontane Sitzungen an der Universität, großes Aufsehen, große Ernüchterung. Und das, was hier dokumentiert ist, vor dem Fakultätsgebäude gab es Manifestationen.“ Palachs Botschaft erreicht leider nicht sofort die gewünschte Wirkung. „Die erstmalige Spannung und Empörung ließ allmählich nach und es wurde klar, dass es kein politisches Hinterland hat, dass der Menschenswille von niemandem organisiert werden kann. Dahinter war keine politische Macht oder Gegenmacht. Es war klar, dass das neue Regime dies alles vertuscht und besiegt und dann passierte das auch. Menschen bekamen Angst und niemand wollte öffentlich etwas irgendwie äußern, was ihm schaden könnte“, erzählt Gero Fischer über die Atmosphäre der Jännermitte 1969 in Prag.

Palach Ausstellung

orf | pavla rašnerová

Tipp | Fernsehbeitrag „50 Jahre Tod von Jan Palach"
On demand | České Ozvěny | Slovenské Ozveny | 10.2.2019

Ein Austauschstudent in den 1960er Jahren in Prag zu sein brachte nicht so viele Hindernisse mit sich wie für manche Tschechoslowaken/innen. Jedenfalls galt das so nicht für immer. Änderungen sowohl in der Gesellschaft, als auch unter Menschen, erlebte an eigener Haut auch der Slawist und erfolgreiche Fotograf Gero Fischer: "Binnen ein paar Wochen wussten wir nicht, auf welcher Seite wer steht. Auf einmal wussten wir nicht, was wir sagen können und was nicht und ob wir einander vertrauen können.“

Gero Fischer Palach Ausstellung

orf | pavla rašnerová

Die Beerdigung von Jan Palach verwandelte sich in einen Protest gegen die Okkupation der Tschechoslowakei von den Sowjetarmeen. Es kamen mehrere tausend Menschen. Der Trauerzug war ruhig. Jedenfalls begann eine Hoffnungsflamme in den Herzen der Menschen zu brennen. Es ging um ein großes Ereignis, das nicht gerade mit Bereitschaft von dem Regime toleriert wurde. Gero Fischer nahm das so wahr, dass nicht nur dass das ganze Ereignis einschlief, sondern es spielte politisch keine große Rolle mehr.

Gero Fischer | „Ich erlebte den Beginn eines Endes“

Den Lebensweg von Gero Fischer, dem gebürtigen Oberösterreicher, beinflussten ziemlich stark die Ereignisse des Jahres 1968 in der Tschechoslowakei. „Universitätslehrer/innen wurden gefeuert, sie verloren Stellen und dann ging es Schlag auf Schlag. Irgendeine Hoffnung an eine Zukunft, an eine demokratische Zukunft, die verschwand völlig. Alo zumindest in mir. Ich sagte mir, ja, so geht das, so ist es und dann war ich froh, dass ich die Arbeitsstelle in Wien bekam und dass ich in Prag, das ich sehr liebte, nicht mehr bleiben musste. Ich sah dort keine Entwicklung mehr, atmosphärisch, geistlich, intelektuell. Bedeutende Menschen gingen weg, entweder landesinterne Emigration oder ins Ausland, wenn sie konnten. So änderte sich also das Leben. Ich erlebte Beginn eines Endes, eines Niederganges, wie man es nimmt“, so erinnert sich der bedeutende Slawist der Universität Wien Gero Fischer an die letzten Tage und Monate seines Prager Lebens.

Gero Fischer Palach Ausstellung

orf | pavla rašnerová

Článek v češtině | 11.2.2019 | Gero Fischer | Studentem v 60. letech v Praze

Das Magazin Radio Dráťák können Sie jeden Montag um 21.10 Uhr auf Radio Burgenland anhören. Das Interview mit dem Slawist und Fotografen Gero Fischer wurde für Sie von Pavla Rašnerová aufgenommen und bearbeitet. Durch die Sendung begleitet Sie Tereza Chaloupková.

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