Rose | Wahlerfolge der extremen Rechten existenzielle Bedrohung für uns

„Die Wahlerfolge der extremen Rechten in vielen Staaten sind eine existenzielle Bedrohung für uns alle“, sagte heute Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma bei der Gedenkfeier im ehemaligen deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Mehrere hundert Menschen haben am Dienstag an die Opfer des Völkermords an den Sinti und Roma erinnert. Die Teilnehmer gedachten der rund 500.000 von den Nationalsozialisten ermordeten Roma und Sinti und warnten vor Hass auf Minderheiten in der Gegenwart.

Das offizielle Österreich war vertreten durch den Österreichischen Botschafter in Warschau Dr. Thomas Buchsbaum. Begleitet wurde der Diplomat vom burgenländischen Landtagspräsidenten Christian Illedits, dem 2. burgenländischen Landtagspräsident Ing. Rudolf Strommer , der steirischen Landtagspräsidentin Dr.in Bettina Vollath, Dr. Gerhard Baumgartner, wissenschaftlicher Leiter DÖW und MR Mag. Martina Maschke, Leiterin der Abteilung für Internationale bilaterale Angelegenheiten und Holocaust Education - Bundesministerium für Bildung.

Österreichische Delegation in Auschwitz 2016

KV-Roma

Adrian Sarközi, Dr. Gerhard Baumgartner, Christian Klippl, Christian Illedits, Dr. Thomas Buchsbaum, Mag. Martina Maschke, Ing. Rudolf Strommer, Andreas Sarközi

Vom Kulturverein Österreichischer Roma gedachte der neue Obmann Christian Klippl gemeinsam mit dem Geschäftsführer Andreas Sarközi und Adrian Sarközi der von den Nationalsozialisten ermordeten Roma und Sinti.

Christian Illedits, burgenländischer Landtagspräsident, betonte in seiner Rede, dass die Grausamkeiten der skrupellosen Menschenverachtung des Naziregimes in ihrer Gesamtheit zu begreifen schlicht nicht möglich ist:

Christian Illedits

KV-Roma

„Am Versuch dieses Leid nachzuvollziehen scheitert jeder, der es nicht am eigenen Leibe erfahren musste“, sagte Illedits. Bezug nahm der burgenländische Landtagspräsident auf die vielen Terrorakte die die Welt seit Monaten in Atem hält und appellierte einander friedvoll zu begegnen und in unseren Städten, Regionen und Ländern Integration zu leben. „An Tagen wie dem heutigen, muss uns das mehr als sonst bewusste sein.“

Am 2. August 1944 wurden die letzten etwa knapp 3000 Häftlinge des „Zigeunerlagers“ von Auschwitz ermordet. Der 2. August ist der europaweite Gedenktag für die Opfer.

Ansprache von Romani Rose am 2. August 2016 im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau

„Liebe Überlebende,
Exzellenzen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir erinnern heute an unsere Menschen, die vor 72 Jahren in den Gaskammern einen qualvollen Tod erleiden mussten. Es waren die letzten 2.900 Angehörigen unserer Minderheit, die die Hölle von Auschwitz bis dahin überlebt hatten: Frauen und Kinder, Alte und Kranke. Ihr Leid, ihr verzweifelter Widerstand bis zuletzt – all das liegt jenseits unserer Vorstellungskraft.

Der Name Auschwitz steht nicht nur für den staatlich organisierten Völkermord an 500.000 Sinti und Roma und sechs Millionen Juden, sondern zugleich für ein Menschheitsverbrechen, das ganz Europa in den Abgrund gerissen hat.

Nach diesem Zivilisationsbruch haben die europäischen Nationen in einem mühevollen Prozess der Versöhnung und des Zusammenwachsens eine Vision von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entwickelt, die das eigentliche Fundament der europäischen Wertegemeinschaft bildet.

Heute müssen wir miterleben, wie nationalistische und populistische Bewegungen die Spaltung Europas immer weiter vorantreiben. Auch die Spannungen innerhalb einzelner Länder, sei es in den USA oder in den europäischen Staaten, nehmen immer bedrohlichere Ausmaße an.

Für uns Sinti und Roma bergen diese sich verschärfenden gesellschaftlichen Konflikte eine große Gefahr. Denn antidemokratische Strömungen brauchen Feindbilder, um die Ängste von Menschen für ihre politischen Zwecke auszubeuten. Dabei fällt Minderheiten stets die Rolle des Sündenbocks zu.

Längst gehört das gezielte Schüren von Ressentiments gegen Sinti und Roma zum Wahlkampfarsenal nicht nur populistischer Bewegungen und rechtsradikaler Parteien, sondern auch der bürgerlichen Parteien. Statt sich vom Rassismus der Rechten in aller Klarheit zu distanzieren, machen sich immer mehr Politiker aus kurzfristigem Kalkül rassistisches Gedankengut zu Eigen und machen Rassismus auf diese Weise salonfähig.

Ebenso bedrohlich sind die unsichtbaren Mechanismen des Antiziganismus, die das Denken und Handeln von politischen Entscheidungsträgern und Institutionen bis heute maßgeblich bestimmen. Diese tief verwurzelten Vorurteile, die längst in die Mitte der Gesellschaft eingedrungen sind, haben dramatische Auswirkungen auf den Alltag unserer Menschen in ihren europäischen Heimatländern.

Doch nicht nur Sinti und Roma und andere Minderheiten wie Juden oder Muslime sind gefährdet, sondern die Demokratie als Ganzes. Die Wahlerfolge der extremen Rechten in vielen Staaten sind eine existenzielle Bedrohung für uns alle.

Auch die barbarischen terroristischen Akte der letzten Wochen und Monate zielen auf das Herz der Demokratie in Europa: auf die Zerstörung jener Fundamente, auf denen unsere offene und freie Gesellschaft ruht.

Die Anschläge treffen Christen, Juden oder Muslime, Angehörige von Minderheiten oder der Mehrheitsgesellschaft gleichermaßen. So fielen dem Amoklauf in München jüngst auch zwei junge Menschen unserer Minderheit zum Opfer. Den Terroristen ist es egal, ob ihre Opfer blond oder schwarz sind, oder welche Religion sie haben. Ihr wahlloses Morden hat einzig und allein zum Ziel, unsere Gesellschaft zu spalten.

Europa, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat nur dann eine Zukunft, wenn es seine ureigensten Werte in Zeiten der Krise und der Bedrohung durch den Terrorismus nicht verrät.

Was in Jahrzehnten mühsam errungen wurde, dürfen wir gerade jetzt nicht preisgegeben.

Wir dürfen es nicht zulassen, dass Europa erneut in den Abgrund gerissen wird, sondern müssen uns der Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien mutig entgegenstellen. Demokratie und Menschenrechte müssen immer wieder aufs Neue erkämpft werden.

In diesem Sinne begreife ich das Vermächtnis all der unschuldigen Menschen, die an diesem historischen Ort auf grausame Weise sterben mussten.

Ich danke Ihnen.“

Link
Internationaler Gedenktag der Sinti und Roma in Auschwitz-Birkenau am 2. August 2016