„Wer will uns zuhören?“

Die Roma-Aktivistin Radmilla Anic floh vor Verfolgung, jetzt soll sie in das „sichere Herkunftsland“ Serbien abgeschoben werden. Sie fragt: „Wer will uns zuhören?“

Die Dienstkarte hat sie mitgenommen. Sie ist ein wenig abgegriffen nach den Jahren. Darauf ist ihr Foto zu sehen, unter ihrem Namen steht „Vorsitzende“. Einen Stempel der Organisation gibt es auch, alles wie es sein muss.

„Majcina Kolevka“ steht auf der Karte, das heißt „Kinderwieg“ und ist eine Organisation, die sich um alleinstehende Roma-Mütter in Novi Sad kümmert; Unterstützung bei Behördengängen, Lebensmittelhilfen – einfache Lebenshilfe.

Geholfen hat ihre dieser Ausweis nicht, als die Polizisten zusammen mit den Kriminellen in das Büro kamen und unter Drohungen Geld abpressten.

Auch später in Thüringen, als sie vor dem Bundesamt für Migration erklären sollte, warum sie um Asyl in Deutschland bittet, hat sie ihr nicht geholfen. Nicht die Karte und nicht ihre Geschichte.

Keine spektakuläre Geschichte, eher eine der leisen. Eine, die vom alltäglichen Leben der Roma in Serbien erzählen, von ihrer alltäglichen Isolation, ihrer alltäglichen Rechtlosigkeit.

Radmilla Anic gehört zu jenen Roma, die sich dagegen gewehrt haben, auf ihre Weise. Mit der Arbeit für die „Kinderwiege“ und mit der kleinen Textilfirma, die sie gründete, weil sie mit ihr alleinstehenden Müttern die Chance gab, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.

Das Geschäftsmodell war simpel. Die Näherinnen fertigten einfache Sachen, die andere Frauen dann auf dem Markt verkauften. Reich wird man damit nicht. Aber mit den paar Euro, die die Frauen mit dieser Arbeit verdienten, konnten sie wenigstens für die elementarsten Dinge für sich und ihre Kinder sorgen.

Das Geld für die Firma hat sie von ihrem Mann geerbt. Er war älter als sie, als Jugendlicher hatten sie ihn ins KZ verschleppt, weil er ein Roma war. Das ist wieder eine andere Geschichte, aber eigentlich hängt für sie alles zusammen. Die Rechtlosigkeit, die Diskriminierung ihres Volkes zieht sich als dunkler Schatten durch seine Geschichte. Bis heute. „Aber wer“, fragt sie, „will uns zuhören?“

Radmilla Anic

Alexander Volkmann

Die Roma-Aktivistin Radmilla Anic setzte sich für alleinstehende Mütter ein.

Hier gibt es keine Arbeit für „Zigeuner“

Zwei Jahre hat sie unbehelligt mit und für die Mütter von Novi Sad gearbeitet, dann begannen die Anrufe mit den Drohungen. Und bald kamen sie selber in ihr Haus. Der Polizeiinspektor der Stadt und drei weitere Männer mit Waffen. Sie verlangten Geld. Mehrfach gab sie ihnen, was sie hatte, was sollte sie sonst tun? Mal 500 Euro, mal 1000. Es waren ihre Ersparnisse, irgendwann war nichts mehr da.

Im April 2014 kamen sie in die Räume von „Majcina Kolevka“. Der Polizeiinspektor war wieder dabei, erzählt sie. Sie nahmen 1250 Euro mit, Fördergeld, das die Organisation erhalten hatte und das für die Mütter bestimmt war.

Die Männer zerschlugen die Möbel und rissen Bilder von den Wänden. Hier gibt es keine Arbeit für Zigeuner, sagten sie noch, als sie gingen.

Wenn du Roma bis, sagt sie, bist du schutzlos. Du kannst kein Recht einfordern, keine Gerechtigkeit. Nicht gegen den Mob, nicht gegen mafiöse Strukturen, nicht gegen Gewalt seitens der Staatsmacht.

Als sie das alles bei der Anhörung in Thüringen erzählen wollte, hatte sie das Gefühl, dass sie gar nicht alles hören wollten. Es ging irgendwie, erinnert sie sich, alles viel zu schnell. Im vergangenen Dezember kam der Bescheid: Ihr Asylantrag wurde abgelehnt.

Wenn sie zurückkehren muss, sagt sie, hat sie in Serbien keine Existenz mehr. Sie ist jetzt über 60 Jahre alt. Eine Arbeit wird sie nicht finden. Um Sozialhilfe zu bekommen, muss sie sich bei den Behörden melden. Dann wissen auch die Männer und der Polizeiinspektor, dass sie wieder da ist. Die Frau, die alleinstehenden Roma-Müttern versucht hatte, eine Stimme zu geben.

Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung Serbien als „sicheres Herkunftsland“ eingestuft. Das beschleunigt das Asylverfahren und erleichtert die Abschiebung.