Für Grundrechteagentur kein Grund zum Feiern

„Wir können nicht feiern, dazu sind die Probleme nach wie vor zu überwältigend, die Missbrauchsmuster zu verbreitet und die Herausforderungen weiterhin enorm.“

Für Michael O’Flaherty, Direktor der in Wien ansässigen EU-Agentur für Grundrechte (FRA), ist das zehnjährige Bestehen seiner Behörde kein Grund zu Ausgelassenheit - gleichwohl kann das Jubiläum nicht ohne Mindestmaß an Feierlichkeit abgehen.

„Stehen wir in der EU vor einer Grundrechts-Krise?“

Am 1. März 2007 nahm die FRA ihre Arbeit auf, am 28. Februar 2017 wird jetzt ihr zehnter Geburtstag begangen - mit einem Symposium, dessen Thema zu O’Flahertys illusionslosem Realismus passt: Die Frage „Stehen wir in der EU vor einer Grundrechts-Krise?“ werden u.a. der heimische Menschenrechtsexperte Manfred Nowak, der frühere EU-Vizekommissionspräsident Franco Frattini sowie O’Flahertys Vorgänger Morten Kjaerum (FRA-Chef 2008-2015) und Beate Winkler (1998-2007 Leiterin der Vorgänger-Behörde „Europäische Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“) diskutieren. Zur Geburtstagsfeier angesagt haben sich auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Kulturminister Thomas Drozda - letzterer auch zuständig für Verfassungs- und damit Grundrechtsagenden - sowie die gegenwärtige EU-Justizkommissarin Vera Jourova.

„Große Teile der Bevölkerung verlieren das Vertrauen in diese Rechte“

„Wir leben in einer seltsamen Zeit“, sagte O’Flaherty unlängst vor dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments. „Grund- und Menschenrechtsverletzungen sind und bleiben inakzeptabel, gleichzeitig jedoch stoßen die Systeme, die Rechte garantieren, auf immer mehr Ablehnung. Große Teile der Bevölkerung verlieren das Vertrauen in diese Rechte, als wären sie nur für andere und nicht für jede und jeden von uns gemacht.“

Situation von Minderheiten dokumentiert

Dass dieser Eindruck nicht nur subjektiv sein muss, hat die Agentur bereits wiederholt empirisch erhoben und dargestellt, zuletzt mit einer Studie, die aufzeigte, dass Roma in der Europäischen Union fünf Mal stärker armutsgefährdet sind als der EU-Durchschnitt. Im heurigen Jahr will die FRA die Ergebnisse einer weiteren Erhebung veröffentlichen, die die Situation anderer Minderheiten innerhalb der EU dokumentiert. O’Flaherty kündigte in Brüssel für Ende des Jahres auch Ergebnisse einer Untersuchung zu den Erfahrungen von Muslimen in Europa an.

Situation von Migranten

Der Situation der tausenden Flüchtlinge und Migranten auf dem Weg nach und durch Europa hat sich die Grundrechteagentur schon in den vergangenen Jahren gewidmet - und den Umgang der EU-Staaten mit der Situation und den Betroffenen massiv kritisiert, von menschenunwürdiger Unterbringung über „präventive“ Inhaftierungen bis zu rechtswidrigen Abschiebungen.

Keine Kritik an einzelnen EU-Mitgliedern

Nicht nur dabei, aber speziell in diesem Bereich vollführt die Agentur eine Gratwanderung, wurde ihr bei ihrer Konzeption doch explizit die Kompetenz verweigert, einzelne EU-Mitglieder zu kritisieren oder zur Verantwortung zu ziehen. Überhaupt war ihrer Gründung ein politisches Tauziehen vorausgegangen. Vor allem der Europarat legte großen Wert auf eine Abgrenzung der jeweiligen Aufgaben, wacht doch sein Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg über die Einhaltung der Menschenrechte in den 47 Ländern des Europarates.

Freiraum für prägnante Stellungnahmen

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die FRA etabliert, Misstrauen wurde abgebaut - zum Teil auf „klassische“ Weise: Der Europarat bekam einen Vertreter im FRA-Verwaltungsrat - und die Agentur schuf sich ihren Freiraum für prägnante Stellungnahmen. Auch in den nächsten zehn Jahren, meinte O’Flaherty jüngst vor dem LIBE-Ausschuss, werde man die Expertise in Grundrechtsfragen liefern, um „das Europa der Werte zu errichten, an das wir alle glauben“. Wie darauf die stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses, eine Vertreterin der rechtskonservativen Fidesz-Partei von Ungarns Premier Viktor Orban, reagierte, ist nicht überliefert. Ihr Parteichef verfolgt ja unverhohlen das Konzept einer „illiberalen Demokratie“ - und ist damit im europäischen Konzert längst kein einzelner Misston mehr.

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