Wien will Reform der Mindestsicherung nicht umsetzen

Die Reform der Mindestsicherung mit massiven Einschnitten vor allem für Personen ohne Deutschkenntnisse hat heute zum programmierten Eklat geführt.

Das Land Wien kündigte an, die Vorgaben des Bundes nicht umsetzen zu wollen. Die gerade auf Klausur weilende Bundesregierung reagiert empört, dürfte laut Verfassungsexperten aber ohnehin am längeren Ast sitzen.

„Kriminalitätsfördernde Wirkung“

Die Begutachtung zum Gesetzeswerk läuft heute aus und an kritischen Stellungnahmen mangelte es auch zum Fristschluss nicht. So meinte etwa die Vertretung der Rechtsanwälte, dass die Senkung der Leistung für bedingt Verurteilte „nicht gewollte und abzulehnende kriminalitätsfördernde Wirkung entfalten wird“. Der ÖGB ging angesichts der gesenkten Zuschläge von einem Anstieg der Kinderarmut aus. Caritas-Präsident Michael Landau warnte, dass zu große Ungleichheit zu sozialen Spannungen führen könne, und Niederösterreich wollte die auf das Land zukommenden Mehrkosten vom Bund abgegolten haben.

„Echter Wahnwitz“

Am weitesten in der Kritik ging aber das Land Wien, das vertreten durch Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) und die designierte Grünen-Spitzenkandidatin Birgit Hebein ankündigte, das Grundsatzgesetz des Bundes nicht umsetzen zu wollen. Hacker nannte die Vorlage einen „echten Wahnwitz“. Zum einen verliere das unterste soziale Netz die Aufgabe der Existenzsicherung. Zugleich würden mit der Regelung aber etwa fremdenpolizeiliche und arbeitsmarktpolitische Aufgaben den Ländern „untergejubelt“. Ohne umfassende Reparatur werde das Gesetz daher nicht umgesetzt.

Regierungsmannschaft verstimmt

Die in Mauerbach versammelte Regierungsmannschaft war darob verstimmt, besonders Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Der Regierungschef beklagte, dass in der Bundeshauptstadt in vielen Familien nur mehr die Kinder in der Früh aufstehen, um zur Schule zu gehen. „Es ist keine gute Entwicklung, wenn immer mehr Menschen keine Arbeit haben und von der Mindestsicherung abhängig sind“, erklärte der ÖVP-Obmann.

Wien müsse sich an Rechtsstaat halten

Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) erinnerte Wien daran, „dass wir in einem Rechtsstaat leben und die rot-grüne Wiener Stadtregierung wird sich auch an den Rechtsstaat halten müssen. Sonst wandert die Kompetenz vom Land zum Bund. So gesehen sehe ich dem ganzen gelassen gegenüber“, sagte der FPÖ-Chef. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) schloss eine Verfassungsklage gegen die Bundeshauptstadt nicht aus. Gleichzeitig hielt sie aber auch Änderungen an ihrer Vorlage nach Durchsicht der Begutachtungsstellungnahmen für möglich.

Nach Überschreitung der Fristsetzung verfassungswidrig

Real dürfte es für Wien nicht gut aussehen, wenn die von Schwarz und Blau heftig kritisierte Landesregierung mit ihrem Widerstand durchhalten will. Ab jenem Zeitpunkt, ab dem die Fristsetzung zur Umsetzung des Grundsatzgesetzes überschritten ist, wäre die aktuelle geltende Fassung in den Bundesländern verfassungswidrig, erläuterte Verfassungsrechtler Heinz Mayer gegenüber der APA. Dies gelte auch, wenn Wien eine eigene Neuregelung vorhabe. Die Regierung könne sich dann an den VfGH wenden. Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk meint sogar, dass die Kompetenzen ohnehin an den Bund wandern würden, wenn Wien an seiner derzeitigen Regelung der Mindestsicherung nichts ändere.

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