Caritas-Appell für Nahost-Flüchtlinge

„Wir haben eine verlorene Generation.“ Caritas-Verantwortliche aus dem Libanon und Jordanien haben gestern in Wien die dramatische Situation der 700.000 syrischen Flüchtlingskinder im Nahen Osten aufgezeigt.

In Kooperation mit Caritas Österreich werde der Fokus nun auf Bildung gelegt, betonten Rita Rhayem, Direktorin von Caritas Libanon, und Omar Abawi, Programmdirektor der Caritas Jordanien.

„Die Krise ist nicht vorüber“

„Die Krise ist nicht vorüber, auch wenn sie in den Medien nicht mehr thematisiert wird“, beklagte Rhayem. Die Bedürfnisse steigen weiter, zugleich werde die internationale Hilfe reduziert. Das Land mit vier Millionen Einwohnern habe mehr als 1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Vor dem Winter stehe der Libanon vor einer enormen humanitären Katastrophe, die Ressourcen seien erschöpft. Zugleich werde internationale Hilfe stark reduziert. Etliche UNO-Hilfsprogramme seien nicht einmal mehr zu 50 Prozent finanziert.

Van der Bellen reist in den Libanon

Der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen wird sich in der kommenden Woche selbst ein Bild von der Lage der Flüchtlinge in dem Nahost-Staat machen können. Er reist in der kommenden Woche in den Libanon.

70.000 Kinder können Schule nicht besuchen

Jordanien mit einer Bevölkerung von zehn Millionen biete mindestens 670.000 syrischen Flüchtlingen Unterschlupf, schilderte Abawi die Situation in seinem Land. Unter diesen sind 330.000 Kinder, 235.000 von ihnen im schulpflichtigen Alter. Im achten Jahr des Syrien-Krieges haben 70.000 Kinder in Jordanien keine Möglichkeit zum Schulbesuch. 200 Schulen des Landes werden in zwei Schichten geführt. Viele der Syrer haben keine medizinische Versorgung, so Abawi. Rhayem verweist darauf, dass auch immer mehr Libanesen in Armut leben.

Größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg

Der Chef der internationalen Hilfsprogramme von Caritas Österreich, Christoph Schweifer, nannte in dem Pressegespräch erschütternde Zahlen. Mit 5,6 Millionen Flüchtlingen im Ausland, mindestens 6,1 Millionen Binnenvertriebenen (IDPs) und mehr als 500.000 Toten ist der Syrien-Konflikt die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. 80 Prozent der syrischen Flüchtlinge in Jordanien und 50 Prozent im Libanon leben unter der absoluten Armutsgrenze.

Kein Kriegsende in Sicht

„Nothilfe ist auch im achten Jahr des Krieges notwendig“, so Schweifer. Es sei kein Kriegsende in Sicht. Von 5,6 Mrd. US-Dollar, die für internationale Hilfsprogramme benötigt werden, seien nur 50 Prozent gedeckt. Vor dem kommenden Winter fehle vielen Menschen das Geld für warme Kleidung oder Heizmaterial. Der Caritas-Auslandshilfe-Chef richtete einen dringenden Appell zu verstärkter finanzieller Hilfe an die österreichische Bundesregierung. Die Caritas habe seit Ausbruch der Krise 2011 mehr als 24 Millionen Euro an Nothilfe für Syrien und seine Nachbarländer ausgegeben.

Hälfte der Flüchtlinge Kinder

Nach Zahlen des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF ist die Hälfte der rund 5,6 Millionen syrischen Flüchtlinge im Nahen Osten Kinder. Schätzungsweise haben 700.000 davon trotz der Anstrengungen der Nachbarländer keinen Zugang zu Schulbildung. Die libanesische Caritas-Chefin betonte, der Zugang zur Bildung für die Flüchtlingskinder habe Priorität. Hier gehe es um die nächste Generation, die später Syrien wieder aufbauen solle, so Rhayem.

5,3 Mio. Flüchtlingskinder in der Region

Caritas Österreich spricht von 5,3 Mio. Flüchtlingskindern in der Region. Die Zahl der syrischen Binnenflüchtlinge (IDP) wird mit 6,6 Millionen beziffert. Von den 5,6 Millionen in die Nachbarstaaten geflüchteten Syrern halten sich die meisten in der Türkei auf; sie werden insgesamt auf rund 3,5 Millionen geschätzt. Nach Angaben von UNHCR sind zwischen Jänner und August 2018 insgesamt lediglich 23.400 syrische Flüchtlinge zurückgekehrt.

Nur wenige Flüchtlinge zurückgekehrt

Nur wenige Flüchtlinge sind nach der Öffnung der Grenze zwischen Syrien und Jordanien wieder heimgekehrt, schildern auch die Caritas-Repräsentanten aus der Region. Abawi nannte als Gründe die mangelnde Sicherheit und die zerstörte Infrastruktur in ihren Heimatdörfern. Auch Rhayem bestätigte dies aus der Sicht des Libanon. Es gebe Flüchtlinge, die kurzfristig über die Grenze gehen, um nach ihren Häusern zu sehen und Verwandte zu besuchen. Doch die politische Lage sei zu unsicher, so die libanesische Caritas-Chefin. Die Sicherung des früheren Besitzes sei ebenfalls ein Problem, ergänzte Abawi.

Perspektiven für die Betroffenen schaffen

Ohne Perspektive für die Betroffenen könne nicht mit einer verstärkten Rückkehr der Vertriebenen nach Syrien gerechnet werden, sind sich Rhayem und Abawi einig. Während die Mehrzahl der Flüchtlinge in Jordanien in großen Lagern untergebracht wurde, ist dies im Libanon nicht der Fall. Dort sind die Syrer im ganzen Land verstreut, leben teils in Siedlungen oder in Abbruchhäusern, was die Betreuung durch die Hilfsorganisationen oft erschwert.

Viele junge Menschen wollen in den Westen

Von den Jungen unter den Flüchtlingen wollen viele angesichts der tristen Aussichten in den Westen, bestätigt Abawi auf APA-Anfrage, Sie versuchten in diversen Konsulaten, Visa zu bekommen. Rhayem meint dazu, viele Familien warteten aus Sicherheitsgründen ab. Mit einer sicheren Zukunftsperspektive würden sie wahrscheinlich lieber heimkehren. Inzwischen sind viele christliche Syrer in den Westen weitergereist. Abawi bedauert dies; für das künftige Syrien sei der Beitrag der religiösen Minderheiten wie der Christen wesentlich.

„Wir hoffen auf Versöhnung“

Ob nach mehr als sieben Jahren Krieg eine Versöhnung zwischen religiösen und ethnischen Gruppen in Syrien möglich sei? Rhayem verweist auf das Beispiel Libanon, der 15 Jahre Bürgerkrieg durchlebte und wo man sich dann doch an einen Tisch gesetzt habe. „Wir hoffen auf Versöhnung“, so die libanesische Caritas-Chefin. Abawi meint dazu, eine solche Versöhnung hänge von der Perspektive ab, nicht so sehr von der Art der Regierung. „Eine Zukunftsperspektive ist wesentlich für ein Rückführungsprogramm.“

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