Radio Dráťák | Kunst und Widerstand im Ghetto Theresienstadt

In der heutigen Sendung des Radiomagazins Dráťák wartet auf Sie ein Beitrag über eine unlängst eröffnete Ausstellung „Das Herz so schwer wie Blei“. Sie präsentiert künstlerische Grafiken und Malereien, entstandene in den Jahren 1941-45, im ehemaligen tschechischen Ghetto Theresienstadt. Durch die Werke sprechen nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder.

On demand | Radio Dráťák | 19.11.2018

Ausstellung Das Herz so schwer wie Blei

orf | pavla rašnerová

Mit den Augen der Kinder wird die wahre, unmanipulierte Realität von unmenschlichem Leid im Ghetto sichtbar.
Auch manifestieren sich in den Bildern Träume und Erinnerungen, sowie die Hoffnung, dass diese Grauen, die unschuldigen Menschen angetan werden, irgendwann ein Ende finden.

Radio Dráťák Magazin

19.11.2018 | 21:10 | Radio Burgenland Livestream

Der größte Teil der künstlerischen Gegenstände wurde von der Gedenkstätte Theresienstadt ausgeliehen, sie stammen aber auch aus privaten Sammlungen. In das Volkskundemuseum in Wien begab sich mit Mikrofon für das tschechische Volksgruppenmagazin Pavla Rašnerová.

Ausstellung Das Herz so schwer wie Blei

orf | pavla rašnerová

Einige der Bilder sprechen mit leiser Stimme Trauer und Schmerz an, von anderen Bildern sind in ihren Strichen und Linien Aufschreie zu hören und wieder andere überschreiten in ihren Farben die Grenze der Realität, gar die Mauern des Ghettos Terezín | Theresienstadt selbst, um danach wieder an Orte zurückzukehren, die mit ihrem Zuhause verbunden sind oder sich auf eine Pilgerfahrt in Traumwelten begeben.

Ausstellung Das Herz so schwer wie Blei

orf | pavla rašnerová

Die wahre Wirklichkeit mit Augen der Opfer

Die Kuratorin der Ausstellung ist die Historikerin Rosemarie Burgstaller vom Verein „The Moving Holocaust Museum - Bildfeld Institut für visuelle Studien“ im Volkskundemuseum. Das Thema Kunst und Widerstand während der Nazi-Diktatur bildet einen der wesentlichen Themen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit.

„Die Überlegung dahinter war, dass in unseren Köpfen eigentlich so viele Bilder auch von der NS-Propaganda sind und die Bilder von den Befreiern, der Alliierten uns prägen und es ist sehr wichtig so oft es möglich die Bilder der Opfer, der Insassen und der Verfolgten zu zeigen aus dieser Zeit“, erklärt Burgstaller.

Rosemarie Burgstaller

orf | pavla rašnerová

Die Kuratorin der Ausstellung „Das Herz so schwer wie Blei“ Rosemarie Burgstaller

Ausstellung Das Herz so schwer wie Blei

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Das Alltagsleben im Ghetto Theresienstadt

Der zweite Gast der heutigen Radiosendung Dráťák ist der stellvertretende Direktor der Gedenkstätte Theresienstadt Vojtěch Blodig, der von dem Alltagsleben im jüdischen Ghetto Theresienstadt erzählt: „Die bildenden Hauptkünstler im Ghetto waren im Zeichensaal des technischen Büros der damaligen Ghetto-Judenselbstverwaltung konzentriert. In ihren Arbeitsstunden waren sie vom SS-Führungshauptamt beschäftigt. Sie schufen idealisierte Bilder als falsche Nachweise darüber, dass Terezín | Theresienstadt ein Selbstverwaltungsgebiet der Juden ist, wo Juden in Frieden leben.“ Das Gegenteil war Wahrheit.

Vojtěch Blodig

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Vojtěch Blodig | stellvertretender Direktor der Gedenkstätte Theresienstadt

Die Gedenkstätte Theresienstadt wurde im Mai 1947 errichtet. Ihre einzelnen Stationen befinden sich in der ganzen Stadt.

„Die Zeichnungen entstanden oft in der Nacht und halten gerade das fest, was man ‚wahres Antlitz‘ des Ghetto Theresienstadt nennt. Sie zeigen also, wie das Leben der Gefangenen aussah, was die sogenannte ‚Endlösung‘ der Judenfrage wirklich war“, so Blodig zur Entstehung vieler Bilder in der Ausstellung.

Ausstellung Das Herz so schwer wie Blei

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Die Zeitzeugin Helga Pollak-Kinsky | Durch Kunst in Traumwelten

Die Ausstellungseröffnung besuchte auch Helga Pollak-Kinsky aus Wien, die im 1943 mit zwölf Jahren zusammen mit ihrem Vater Otto Pollak nach Terezín deportiert wurde. Für das damals heranwachsende Mädchen war die Kunst ein Rettungsschiff auf dem stürmischem Meer des Ghettos: „Ich habe meine Träume gezeichnet, ich habe auch sehr viel Natur gezeichnet, weil aus unserem Fenster konnten wir das Kleine Erzgebirge sehen und wir waren eingesperrt, Gefangene, die zu tausendst auf kleinstem Raum zusammenleben mussten.“

Helga Pollak-Kinsky

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Die Zeitzeugin Helga Pollak-Kinsky

Ausstellung Das Herz so schwer wie Blei

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Die Kunst spielte eine wichtige Rolle in vielen Leben hinter der Mauer des Ghettos Theresienstadt. Für die meisten waren die Augenblicke mit Kunst einige von wenigen Momenten, auf die sich die Theresienstädter Insassen freuten und die ihnen Kraft unter den unsagbar belastenden Bedingungen gaben. Eine der Künstler/innen aus dem Ghetto Theresienstadt, Helga Pollak-Kinsky, erinnert sich an die Stunden der Kunsterziehung mit der Malerin und Pädagogin Friedl Dicker-Brandeis aus Wien: „Die Friedl wollte nie, dass man malt, was man sieht, sie wollte immer, dass man die Träume malt, die Wünsche oder schöne Momente aus der Vergangenheit.“

Die Zeitzeugin Helga Pollak-Kinsky, das damals heranwachsende Mädchen im Ghetto Theresienstadt, überlebte später auch das Konzentrationslager in Auschwitz

Dank den Stunden der Kunsterziehung geriet Helga Pollak-Kinsky, eine der Gästen unseres heutigen Dráťáks, in eine andere Welt, weit weg vom Ghetto Theresienstadt. Genauso wie die anderen konnte sie zu mindest in Gedanken auch der Posse in der Form von der Verschönerungsaktion in Theresienstadt entfliehen, die mehr als ein Jahr dauerte, aus dem Grund des eintagigen Besuchs des Internationalen Roten Kreuzes Ende Juni im Jahr 1944.

Ausstellung Das Herz so schwer wie Blei

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Bemühung um Rettung der jüngsten Generation

„Die Judenselbstverwaltung im Ghetto bemühte sich, Kinder bestens zu beschützen, damit die jüngste Generation gerettet würde, in der Hoffnung, dass der Krieg bald enden würde und auf Juden eine bessere Zukunft warten würde. Deswegen bemühte man sich, sie vom grausamen Alltagsleben zu trennen, ihnen bessere Nahrung zu gewährleisten. Sie bekamen die beste Nahrung und sie wurden nicht in eine regelmäßige Arbeit eingesetzt. Nur die älteren ab und zu und sie wurden heimlich unterrichtet, sie konnten Sport treiben im beschränkten Maße. Es waren solche Rettungsinseln in dem harten Grauen des Lebens im Ghetto“, beschreibt Vojtěch Blodig aus der Gedenkstätte Theresienstadt.

Ausstellung Das Herz so schwer wie Blei

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Ein leises, aber gleichzeitig starkes Mittel des Widerstands

Die Kunst im Ghetto Theresienstadt verlieh Flügel. Sie war ein leises, aber gleichzeitig ein starkes Mittel des Widerstandes: „Sicher war es viel leichter, weil wir nicht immer das gesehen haben, was in Theresienstadt passiert, dass die Leute sterben, dass sie am Boden liegen. Wir wussten das, aber wir wurden davon ferngehalten. Man versuchte uns so gut es geht eine Kindheit zu geben“, erinnert Pollak-Kinsky.

Ausstellung Das Herz so schwer wie Blei

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Helga Pollak-Kinsky

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Helga Pollak-Kinsky

„Demokratie ist kein Geschenk für immer“

Genauso wie alle Gedenkstätten auf der Welt, die dem Gedenken an die Opfer des Holocaust gewidmet sind, spielt gerade auch die Ausstellung „Das Herz so schwer wie Blei“ eine bedeutende Rolle im Erinnern an eine Zeit voll von Hass, Unmenschlichkeit und Leiden der Unschuldigen. Eben so auch die Geschichten, die die nächsten Generationen zum Nachdenken anregen und somit immer kleine Schritte vorwärts zu rücken vermögen.

„Sie sollen die Demokratie immer unterstützen, sie sollen Interesse haben und nicht denken, alles bleibt so wie es ist. Für eine Demokratie muss man auch kämpfen. Ich meine nicht mit Waffen, aber dass sie besteht. Es ist kein Geschenk für immer“, lässt die Zeitzeugin Helga Pollak-Kinsky ausrichten.

Ausstellung Das Herz so schwer wie Blei

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Die Kuratorin der Ausstellung Rosemarie Burgstaller

Unser Tipp
In unserem tschecho-slowakischen Magazin České Ozvěny | Slovenské Ozveny auf ORF2, im letzten dieses Jahres, das am Sonntag, den 9. Dezember um 13.05 Uhr ausgestrahlt wird, wird einer der Beiträge gerade dieser Ausstellung gewidmet.

Die Ausstellung „Das Herz so schwer wie Blei“, die der Kunst und Widerstand im Ghetto Theresienstadt gewidmet ist, können Sie bis zum Sonntag, den 16. Dezember, besuchen. Im Rahmen des Begleitprogramms warten ein Gespräch mit der Zeitzeugin Helga Pollak-Kinsky, ein Film, sowie Diskussion mit der Historikerin Elena Makarova und eine Lesung aus dem Werk von der Schriftstellerin Ilse Weber auf Besucher/innen. Nähere Informationen finden Sie unter volkskundemuseum.at.

Text | Pavla Rašnerová | ORF Volksgruppenredaktion
Die heutige Radiosendung Dráťák wird von Tereza Chaloupková begleitet

Článek v češtině | 19.11.2018 | Umění a odpor v terezínském ghettu

Ausstellung Das Herz so schwer wie Blei

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