Martin Kusej
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Martin Kušej feiert Sechziger

Seit fast zwei Spielzeiten ist Martin Kušej Direktor des Burgtheaters, allerdings werde es am Ende dieser zwei Saisonen nur acht Monate Spielbetrieb gegeben haben. Zu wenig, um sein Programm und sein neues Ensemble nachhaltig beim Publikum zu verankern. Und selbst ein großes Fest zum 60. Geburtstag am 14. Mai verhindert Corona.

„Neue Richtungen und Ästhetiken suchen, den üblichen Mainstream verlassen und mich noch einmal einem gewissen Risiko aussetzen“: Mit diesem Vorsatz war der Kärntner Slowene, der 2004 bis 2006 Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele war und von 2011 bis 2019 das Münchner Residenztheater leitete, am Burgtheater in Wien angetreten, um ein „adäquates, zeitgemäßes Programm“ zu bieten, das der Diversität der Stadt gerecht werde. „Ich freue mich, dass der wichtigste Regisseur des Landes endlich die bedeutendste Bühne der Republik führen wird und sich seiner Lebensliebe – dem Burgtheater – widmen kann“, hatte der damalige Kulturminister Thomas Drozda (SPÖ) im Juni 2017 bei der Präsentation von Martin Kušej als Burgtheaterdirektor ab 2019 gesagt.

Schon elf Jahre zuvor hatte er als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge von Klaus Bachler als Burgtheaterdirektor gegolten, hatte aber gegenüber Matthias Hartmann das Nachsehen und bezeichnete die Vorgehensweise des damaligen Kunststaatssekretärs Franz Morak (ÖVP) als „kulturpolitischen Eklat“. Er verabschiedete sich 2008 mit Karl Schönherrs „Der Weibsteufel“ mit Birgit Minichmayr und Nicholas Ofczarek, für den er einen „Nestroy“ für die beste Regie einheimste, vom Burgtheater. Erst Hartmanns Nachfolgerin Karin Bergmann konnte ihn – mit Arthur Millers „Hexenjagd“ im Herbst 2016 – wieder an das Burgtheater zurückholen.

„Lehrjahre“ in der Off-Szene

Mitte der 1980er-Jahre schloss der am 14. Mai 1961 in Wolfsberg geborene Kušej sein Studium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz/ Gradec mit einer Diplomarbeit über Robert Wilson und eine Inszenierung namens „Ultramarin“ ab. Die weiten Bühnenräume des texanischen Individualisten hatten es dem jungen Kärntner Talent besonders angetan. Mit seinem Freund und Bühnenbildner Martin Zehetgruber absolvierte er seine Lehrjahre in der Off-Szene. „My friend Martin“ nannte sich das kongeniale Doppel. „Kušej und Zehetgruber funktionieren wie ein Räderwerk, bei dem ein Zacken in den anderen greift“, schreibt Georg Diez im Buch „Gegenheimat“ aus der „edition burgtheater“ über die beiden. Schon bald hatte das institutionalisierte Theater ein Auge auf Kušej geworfen, der mit seinen gewichtigen Raumkathedralen einen möglichst reichhaltig ausgestatteten und perfekt funktionierenden Theaterapparat auch gut brauchen konnte.

Frühe Inszenierungen

Zu seinen frühen Inszenierungen zählen etwa Heiner Müllers „Verkommenes Ufer/ Medeamaterial/ Landschaft mit Argonauten“ am Experimentellen Theater EG Glej Ljubljana (1987), Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ am Slowenischen Nationaltheater (1990), Grillparzers „Der Traum ein Leben“ am Schauspielhaus in Graz/ Gradec (1992) oder Schillers „Kabale und Liebe“ am Stadttheater in Klagenfurt/ Celovec (1993). In der Folge wurde Stuttgart zu einem schicksalhaften Ort für Kušej: Friedrich Schirmer, damals designierter Intendant des Staatstheaters Stuttgart, vertraute ihm 1993 mit Grabbes „Herzog Theodor von Gotland“ die Eröffnungspremiere an. Die Inszenierung stieß zwar beim Stuttgarter Publikum auf wenig Gegenliebe, doch Schirmer hielt an seiner Entdeckung fest und ermöglichte Kušej eine kontinuierliche Arbeit.

Opernregisseur

Auch Kušejs Karriere als Opernregisseur begann in Stuttgart. Damals lud ihn Klaus Zehelein ein, Purcells „King Arthur“ (1996) zu inszenieren. Seither war das Doppel Kušej/Zehetgruber an mehreren deutschen Häusern zu Gast. Einen ihrer größten Erfolge landeten die beiden mit Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ 1998 im Hamburger Thalia Theater, die 2000 auch zu den Wiener Festwochen eingeladen waren. Am Burgtheater inszenierte Kušej viel beachtet Grillparzers „Weh dem, der lügt!“ (1999), Schönherrs „Glaube und Heimat“ (2001) und Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ (2002).

Mit Nikolaus Harnoncourt verzeichnete er große Erfolge mit den gemeinsamen Salzburger-Festspiel-Produktionen des „Don Giovanni“ und des „Titus“, die Zürcher „Zauberflöte“ jedoch wurde mit Buhrufen vom Publikum bedacht. Für „Höllenangst“ von Johann Nestroy erhielt Kušej 2006 den „Nestroy“. Ab 2007 begann dann die Hinwendung nach München: Seine Inszenierung von Georg Büchners „Woyzeck“ am Residenztheater wurde zu einem vollen Erfolg.

Intendant in München

Seine Intendanz am Bayerischen Staatsschauspiel eröffnete Kušej 2011 mit kräftiger heimischer Unterstützung: Unter den mehr als 50 Ensemblemitgliedern befanden sich mit Birgit Minichmayr, Nicholas Ofczarek, Markus Hering, Andrea Wenzl, Tobias Moretti, Norman Hacker, Werner Wölbern, Paul Wolff-Plottegg oder August Zirner auch zahlreiche Österreicher bzw. aus österreichischen Theatern bekannte Darsteller. Eröffnet wurde die erste Spielzeit mit Schnitzlers „Das weite Land“. Zu den Höhepunkten gehörte unter anderem seine „Faust“-Deutung im Jahr 2014. Sie nahm er 2019 ebenso mit nach Wien wie drei weitere eigene Münchner Inszenierungen und 14 Schauspieler seines Residenztheater-Ensembles. Kušej brachte 30 neue Ensemble-Mitglieder nach Wien und stockte von 63 auf 71 Schauspieler auf.

Burgtheaterdirektor

Mit der Premiere von Euripides’ „Die Bakchen“ in der Inszenierung von Ulrich Rasche startete er seine Direktion. Seine erste Wiener Neuinszenierung galt Kleists „Hermannschlacht“. Sie fiel sehr statisch, sehr dunkel und sehr leise aus und wurde von der Kritik ebenso verhalten aufgenommen wie Kušejs „Wiederbegegnung“ mit Theo van Goghs „Das Interview“ nach elf Jahren, die er im Februar 2020 im Akademietheater als Ersatz für eine kurzfristig abgesagte Inszenierung Kornel Mundruczos herausbrachte.

Burgtheater-Direktor Martin Kusej
APA/Georg Hochmuth

Schon die von Kušej selbst inszenierte Eröffnungspremiere 2020/21, Calderons „Das Leben ein Traum“ als über dreistündige düstere Auseinandersetzung über das Verhältnis von Traum und Wirklichkeit, die Versuchung der Macht und die Natur des Menschen, fand unter Corona-Bedingungen mit reduziertem Publikum statt. In den Monaten des Lockdowns wurde der Burgtheater-Direktor nicht müde, auf die vorhandenen Sicherheitskonzepte hinzuweisen und von der Politik Planbarkeit einzufordern. Mangelnde Vorausplanungsmöglichkeiten führten schließlich dazu, dass nun am 19. Mai, wenn alle Bühnen wieder öffnen dürfen, ausgerechnet die Spielstätte Burgtheater wegen Umbaus geschlossen bleibt.

Seine „Maria Stuart“-Inszenierung, die bei den Salzburger Festspielen des Vorjahres herauskommen hätte sollen, wurde auf heuer verschoben – und wird ihn auch am Geburtstag selbst beschäftigen. Da die Lockdown-Bedingungen noch kein „großes Fest für alle meine Freunde“ erlaubten, werde er „vormittags und abends Proben für ‚Maria Stuart‘ haben und die Party in die Zukunft verschieben“, beschied Kušej.