Westbalkan-Gipfel und Zollstreit

Die sechs Westbalkan-Staaten haben in Wien bei einem Gipfel ihr Engagement in Richtung EU-Mitgliedschaft und eine verstärkte Kooperation bekräftigt. Der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo um das regionale Freihandels-Abkommen CEFTA zeigte freilich einmal mehr, wie groß die Differenzen sind.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte die Regierungschefs von Montenegro, Serbien, dem Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Albanien und Mazedonien am Montagvormittag zu einem Treffen ins Bundeskanzleramt eingeladen. Auch EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn sowie die Kommissarin für Digitales, Mariya Gabriel, waren dabei.

Das Europaparlament hatte bereits im September für die Visa-Freiheit gestimmt. Der Ball liegt seitdem bei den EU-Innenministern. Kanzler Kurz hatte jüngst bei einem Besuch im Kosovo bei der Visa-Liberalisierung gebremst; absolute Priorität müsse der stockende Dialog zwischen Belgrad und Prishtina haben, mahnte Kurz.

Die serbische Ministerpräsidentin Ana Brnabić äußerte bei den Pressestatements aller Ländervertreter die Hoffnung, dass noch vor Ende des österreichischen EU-Ratsvorsitzes mit Jahresende weitere Kapitel bei den Beitrittsverhandlungen mit ihrem Land geöffnet werden. Ihr kosovarischer Amtskollege Ramush Haradinaj drängte unterdessen erneut auf die rasche Umsetzung der Visa-Liberalisierung, damit die Bürger des Kosovo ohne Visum in die EU-Länder reisen könnten. Die Kosovaren hätten sich das verdient. Schützenhilfe bekam er dabei von dem albanischen Premier Edi Rama.

Die Beziehungen zwischen Belgrad und Pristhina haben sich in den vergangenen Monaten (und Tagen: Stichwort Zölle) allerdings weiter verschlechtert. Der von der EU geleitete Dialog zur Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern liegt auf Eis. Eine Einigung ist allerdings Voraussetzung für einen EU-Beitritt. Serbien erkennt die Unabhängigkeit seiner früheren Provinz Kosovo nach wie vor nicht an.

Kosovos Regierung hat mittlerweile am Mittwoch die Zölle für Waren aus Serbien um 100 Prozent erhöht. Dies hat auf Twitter Vizepremier Enver Hoxhaj mitgeteilt. Er hat die Entscheidung mit einer „aggressiven Kampagne“ Serbiens gegen den Kosovo auf internationaler Ebene erläutert. Er beschuldigte Belgrad auch für die „Untergrabung vom Normalisierungsprozess“.

„Um die lebenswichtigen Interessen zu schützen, hat Kosovos Regierung heute beschlossen, die Zollabgaben (für die Ware aus Serbien, Anm.) um 100 Prozent anzuheben“, teilte Hoxhaj mit.

In der Vorwoche hatte die Regierung in Prishtina bereits beschlossen, die Zölle für Ware aus Serbien und Bosnien-Herzegowina um 10 Prozent anzuheben. Serbien hatte dies als einen Verstoß gegen das regionale Freihandels-Abkommen CEFTA bezeichnet. Serbiens Exporte in den Kosovo sind laut Amtsangaben bereits um 40 Prozent gesunken.

Interpol und Wortspiel

Der Kosovo war am Dienstag im Versuch gescheitert, in die internationale Polizeiorganisation Interpol aufgenommen zu werden. Im Votum bei der Interpol-Generalversammlung in Dubai erhielt der jüngste Staat Europas nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit. Serbiens Behörden hatten zuvor wochenlang eine internationale Kampagne gegen die Aufnahme des Kosovo geführt.

Der serbische Außenminister Ivica Dačić hat sich danach zu einem vulgären Wortspiel auf Kosten von Bundeskanzler Kurz hinreißen lassen, dessen Nachname im Serbischen phonetisch einer vulgären Bezeichnung für das männliche Geschlechtsteil entspricht.

Jüngster Streitpunkt: Der Kosovo hatte Anfang November für heftigen Protest in Belgrad - aber auch bei der EU-Kommission - mit der Entscheidung gesorgt, die Zölle auf Waren aus Serbien und Bosnien-Herzegowina um zehn Prozent zu erhöhen. Serbien werde dadurch „klar diskriminiert“, sagte Brnabić. Der Kosovo verstoße damit gegen das CEFTA-Abkommen, das Handelsbeschränkungen zwischen den Westbalkan-Staaten beseitigen soll. „Wir haben weitaus bessere Zeiten gesehen in den regionalen Beziehungen“, so Brnabić.

Der mazedonische Vize-Premier Kočo Angjušev hob mit Verweis auf die Lösung des Streits mit dem Nachbarn Griechenland über den Staatsnamen Mazedoniens die Fortschritte seines Landes hervor. Er hofft, dass die diesbezügliche Verfassungsänderung im Jänner unter Fach und Dach ist. Der Streit hatte die EU-Annäherung Mazedoniens jahrelang blockiert.

Duško Marković, Regierungschef in Montenegro, betonte Fortschritte seines Landes in punkto Rechtsstaatlichkeit. Sein Kollege aus Bosnien-Herzegowina, Denis Zvizdić, erwartet sich unterdessen, dass sein Land bald den Status eines EU-Beitrittskandidaten bekommt.

Die EU-Annäherung der Westbalkan-Staaten ist ein Schwerpunkt der EU-Ratspräsidentschaft Österreichs. Mit Belgrad und Podgorica laufen bereits Verhandlungen, ihnen hat die EU-Kommission einen Beitritt bis 2025 in Aussicht gestellt. Mit Tirana und Skopje könnten im Juni 2019 Gespräche aufgenommen werden. Nur Sarajevo und Prishtina bleiben Sorgenkinder der EU-Kommission - sie werden bisher als „potenzielle Beitrittskandidatenländer“ gelistet.

Die Europäische Union hat unterdressen scharfe Kritik an der Entscheidung der kosovarischen Regierung geübt, einen Einfuhrzoll von 100 Prozent auf Waren aus Serbien zu erheben. Die Schritte seien „bestürzend“, eine „Provokation“ und würden den EU-geführten Dialog zwischen Serbien und Kosovo „unterminieren“, sagte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini am Donnerstag in Brüssel. „Die Art und Weise, wie die Kosovo-Regierung reagiert hat, ist einfach nicht die richtige“, forderte die Sprecherin eine unverzügliche Rücknahme der Entscheidung.