„Ukradnutý štát | Der gestohlene Staat“  im SK Institut Wien
Serdar Erdost
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Wien | Slowakei

Filmvorführung „Ukradnutý štát“ | Politische Korruption und oligarchische Elite

Die Filmvorführung mit Juraj Machálek, dem Vertreter des Internationalen Dokumentarfilmfestivals „Ji.hlava“ und einem der bedeutendsten slowakischen investigativen Journalisten Radovan Bránik, fand im Slowakischen Institut in Wien in Kooperation mit der Botschaft der Tschechischen Republik statt.

„Ukradnutý štát“
Ukradnutý štát

Schon einige Male in der Geschichte Europas waren die Augen auf die Slowakei gerichtet. Sei es, als Land der ersten grausamen Transporte der Juden in die Konzentrationslager im Zweiten Weltkrieg, als Vorreiter im Kampf für einen Sozialismus mit menschlichen Antlitz 1968, oder als „vorbildhafter Staatentrenner“ 1993. 2018 wurde in der Slowakei der investigative Journalist Ján Kuciak gemeinsam mit seiner Verlobten Martina Kušnírová in seinem Haus ermordet. Eine europaweite Solidaritätsbewegung für journalistische Freiheit folgte, sein Tod löste vermeintlich die Aufdeckung einer Reihe von Verbindungen slowakischer Politiker zu kriminellen Geschäftsmännern und der organisierten Kriminalität aus. Doch war gerade er einer von jenen, die schon seit Jahren die Strukturen der Korruption und Mafiageflechten in der Slowakei aufdeckten, gleichermaßen wie die Regisseurin des Films „Ukradnutý štát | Der gestohlene Staat“ Zuzana Piussi.

„Ukradnutý štát“ Filmvorführung Kino Lumière
Lumière
Cinodistribution Silvia Učňová Kapustová, Regisseurin Zuzana Piussi, Cutter Šimon Špidla, PR Managerin Zuzana Golianová, Sicherheitsexperte & Journalist Radovan Bránik und Journalistin Jana Teleki im Kino Lumière

„Ukradnutý štát – Der gestohlene Staat" ist der Titel des Dokumentarfilms der slowakischen Filmemacherin Zuzana Piussi.

Ihr Werk erzählt über einen neuen Typ der Gesellschaftsordnung, in der traditionelle staatliche Strukturen durch Mafia und Oligarchen ersetzt werden.

Den Film, der seine Prämiere Oktober 2019 feierte, brachte das Slowakische Institut in Wien jüngst in die österreichische Bundeshauptstadt. Zuzana Piussi wollte mit ihm ursprünglich einen Rückblick auf den Fall „Gorilla“ liefern, der zu einer der größten politischen Causa der modernen slowakischen Geschichte wurde. Doch wurden zu Beginn der Dreharbeiten der Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte ermordet. Die Vertiefung in die Hintergründe dieser Tragödie, als Höhepunkt der mafiösen Machenschaften in der slowakischen Politik, macht den Film heute zu einem der bedeutenden historischen Dokument über die jüngste politische Entwicklung in der Slowakei.

Aussagen von Anwälten, Journalisten und ehemaligen Geheimdienstagenten verarbeitete die Regisseurin zu einem 79-minütigen Dokumentarfilm, der mit den Machenschaften einiger oligarchisch und mafiös wirkender Persönlichkeiten im Hintergrund einer großen Maschinerie des wirtschaftlichen und finanziellen Staatsbetrugs.

„Ukradnutý štát | Der gestohlene Staat“  im SK Institut Wien
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vlnr | Juraj Machálek, Radovan Bránik

Rádio Dia:tón | 16.3.2020 | Rádio Burgenland | 21:40 livestream

Die Filmvorführung, samt mit einem Podiumsgespräch mit Juraj Machálek, dem Vertreter des Internationalen Dokumentarfilmfestivals | Mezinárodní festival dokumentárních filmů „Ji.hlava“ und einem der bedeutendsten slowakischen investigativen Journalisten Radovan Bránik, im Slowakischen Institut in Wien, fand in Kooperation mit der Botschaft der Tschechischen Republik in Österreich statt. Sie sind auch die Gäste des aktuellen Volksgruppenmagazins Rádio Dia:tón.

„Ukradnutý štát | Der gestohlene Staat“  im SK Institut Wien
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Slowakei | Marionette einer mächtigen oligarchische Elite

In der Zeit, als in der Slowakei die sozialistische Regierung ihrem Ende entgegenkam, wurden Signale laut, dass es zu einer prinzipiellen Veränderung im Land käme, erzählt Radovan Bránik: „Das Problem war, dass ein Teil der Menschen, die im Sicherheitsgeheimdienst (ŠTB) waren und diejenigen, die in der kommunistischen Partei aktiv waren, genügend Informationen besaßen, um sich auf diese Transition vorzubereiten. Dann kam es zu einer krassen Veränderung in der politischen Landschaft und diese Personen waren eben dafür bereits gewappnet. Unter den Dissidenten, den neuen Eliten der Politik damals, waren keine Experten für Sicherheit, oder Wirtschaft, sie waren lediglich moralisch auf ein politisches Leben vorbereitet. So schafften es die alten Granden, einen großen Einfluss auf die Wirtschaft beizubehalten. So erntete nun die alte Elite, die im Hintergrund agierte, einen großen Teil des Kapitals der Slowakei, das vorher von der kommunistischen Partei verwaltet wurde. Denn sie war ja darauf vorbereitet und hatte außerdem auch privilegierten Zutritt zu den Informationen. Sie hat schon längst Schritte eingeleitet, um das Kapital zu günstigen Bedingungen in eigene Hände zu bekommen“.

Nach dem Zerfall der Föderation wiederholte der damalige Premier Vladimír Mečiar und seine Verbündeten das Prozedere, unterstreicht der Journalist Bránik in Wien, nutzten das Chaos, die unzureichende politische und öffentliche Kontrolle, um eine nächste Privatisierungswelle zu wagen, die meinte, die Macht solle den slowakischen Unternehmern gehören, unabhängig davon, wie kompetent sie waren.

„Wir haben es bis heute nicht geschafft, die Macht über die staatlichen finanziellen Mittel, die ursprünglich allen gehörten, wiederzugewinnen“, weiß Bránik, Gast der Radiosendung Dia:tón.

„Ukradnutý štát | Der gestohlene Staat“  im SK Institut Wien
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vlnr | Juraj Machálek, Radovan Bránik

Dass die aktuelle politische Situation in der Slowakei Ergebnis einer langjährigen und systematischen Unfähigkeit durch politische Eliten ist, die den Rechtstatt nicht institutionalisiert hätten können. Das vermutet auch Juraj Machálek, Vertreter des Internationalen Dokumentarfilmfestivals Ji.hlava.

Marián Kočner
AFP | Tomas Benedikovic
Marián Kočner

„Die stimmenstärkste Partei bei den aktuellen Wahlen OĽANO hat vor allem mit ihrem Willen zur Aufklärung Stimmen gewonnen und ist auch dem gegenüber wohlgesonnen, doch die Koalitionspartner fangen nun schon zu wanken an, wie man zu verstehen gibt. In der Slowakei herrscht nun eine solch große Skepsis und Hoffnungslosigkeit in Bezug auf die Aufklärung dieser Causa“, meint Machálek und macht auf die hohe Stufe der Tragik in der slowakischen Politik aufmerksam: „Das System ist in einem derartigen Stadium der schlimmsten Fäulnis, dass wir nur noch hoffen können, dass auch der Beschuldigte des Mordes an Ján Kuciak, der inhaftierte slowakische Geschäftsmann Marián Kočner, nun tatsächlich verurteilt wird.“

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Eurofonds als Synonym für Korruption

Das Problem mit den Förderungen im Agrarbereich bestehe nach wie vor, weiß der investigative Journalist Radovan Bránik: „Das Wort Eurofonds ist bei uns ein Synonym für Korruption. Das bringt das Problem mit sich, dass das Geld der EU eigentlich keinen Empfänger hat, der über die Nutzung entscheidet, 30% der Förderungen enden in korrupten Sphären. Das wurde im Fall von der Ermordung Ján Kuciaks als vermeintlicher Grund hervorgehoben. Die Spur führe zur italienischen Mafia, die in der Slowakei im Agrarsektor aktiv ist, sagte man der Öffentlichkeit.

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Radovan Bránik

Ich habe damals eine andere, juristische Spur aufmerksam gemacht, die sich auch bewahrheitet hat. Damals wurde meine Meinung verurteilt und man sagte, dass ich für die italienische Mafia arbeitete, gar ein Verbündeter von Fico bin. Im Nachhinein kam man darauf, dass gerade meine Version den ehemaligen Premier Robert Fico noch mehr belastete“.

Pseudodemokratische Demokratie samt einer Pseudosicherheitspolitik

Aktuell seien es Personen aus dem untersten Drittel der Verantwortlichen, die langsam in Rechenschaft gezogen werden, unterstreicht Bránik. Die Slowakei sei in einer Situation der teilweisen Gerechtigkeit. Diejenigen, die sich in den höheren Sphären der Struktur befänden, werden gegenwärtig noch immer verschont. Auch der aktuelle Polizeipräsident sei keine Person, die hoffnungsbringend sei, da er selbst seine eigene Causa, eigene Verbindungen habe und eigene Ziele verfolge. Es fehle, laut dem Journalisten, eine große Masse an normalen, nicht korrupten Polizisten. „Wir haben keine Justiz, die nicht verkäuflich wäre. Man kann unseren Staat ‚eine pseudodemokratische Demokratie samt einer Pseudosicherheitspolitik‘ nennen.“

Weder nach der Beendigung der Regimes 89‘ noch nach der Entstehung der Slowakei konnte man diese Menschen nicht loswerden, die die Träger ihres eigenen Systems überall infiltriert haben, so Radovan Bránik. Das Geld aus der EU werde missbraucht und der Staat bekäme es nur deshalb weiterhin, weil die EU allen Anschein nach nicht ahne, was hier vor sich ginge. „Ich spreche hier aber nicht nur von der Slowakei, auch Ungarn, Tschechien, Italien sind betroffen“, betont der Aufdeckerjournalist.