Robert Gabris | „Meine Heimat, mein Blut“
Yvonne Erdost
Yvonne Erdost

Robert Gabris „Mein Land, mein Blut!“ | Nadelstiche als Erinnerungen an ein Geburtsland

Präzision, Symmetrie, Identität, Gesellschaft, Körperstruktur, Blut und zuletzt auch Fleisch und Heimatbegriff. In seiner jüngsten Ausstellung „Mein Land, mein Blut! | Moja krajina, moja krv!“ zeigt der Künstler (des sozial-gesellschaftlichen Details) Robert Gabris trauliche Einblicke in Erinnerungen an sein Geburtsland, die Slowakei.

Robert Gabris | „Meine Heimat, mein Blut“
Yvonne Erdost
Robert Gabris

Mit feiner Tinte und unzähligen Gedanken sorgfältig auf Papier gebracht zeigt Gabris diesmal anatomische Darstellungen, die auf das Fühlen von Randgruppen in einer Gesellschaft, in einem Land, hinweisen.

„Die Ausstellung besteht aus zwei großen Installationen, sechs Landschaftsbilder und von Gedärmen. In der Mitte eines Raumes wird diese Mappe mit 260 Nadeln hängen. In einem weiteren Raum befindet sich unter anderem dieses ‚Leporello des Darmes’“, erzählt der Künstler.

Robert Gabris | „Meine Heimat, mein Blut“
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Leporello des Darmes

Genau heute, am 19.Februar, am Tag der Vernissage seiner Ausstellung „Mein Land, mein Blut!“ in der ostslowakischen Metropole Košice, vor 34 Jahren, wurde Robert Gabris geboren. In der Slowakei. Aufgewachsen ist er in einem Kinderheim.

Mit 14 bekam der dunkle Lockenkopf erstmals Briefe und Zeichnungen von seinem Vater, mit 20 lernte er seine Familie kennen. Heute besucht er öfter seine Schwester in der Mittelslowakei, erfährt mehr über seine Herkunft, seine Großeltern, sieht sich Fotos seiner Vorfahren an.

Die Großeltern, nach denen er sich als Kind sehnte, deren Beziehung zu ihm und deren Liebe er sich als Kind damals ausgemalt hat, während er im Kinderheimgarten Fäden im Kreis wickelte, als würde er etwas zusammenhalten wollen, hängen nun als Bildnis in Form einer alten, vom Vater retuschierten Fotografie in Gabris‘ Wohnzimmer in Wien.

„Sie sind schöne Menschen, nicht wahr“, sagt der Künstler, für den seine Roma Wurzeln nicht im Vordergrund stehen, die er jedoch heute auch gerne als eine seiner Identitäten mit und in sich trägt.

Robert Gabris
Yvonne Erdost

„Ich möchte, dass die Besucher/innen meiner Ausstellungen die Botschaft verstehen. Es geht um das Erkennen und Erfahren durch das Sehen. Wie nimmt ein Slowake seine Heimat wahr, der sie vor vielen Jahren verlassen hat. Was ist geblieben? Welche Position hat er noch in diesem Land? Durch den Namen ’Meine Heimat, mein Blut‘ mache mir etwas zu eigen, was mir nie gehört hat“, sagt der Künstler und zeigt auf ein großes Plakat in seinem Arbeitsraum, in dem ich ihn, einen Tag vor seiner Abreise nach Košice besuchen darf. „Das hier ist eine emotionale Landkarte meiner Vergangenheit. Mit roter Füllfeder zeichnete ich die Struktur des Fleisches. Sie soll ein physisches Portrait meiner Heimat, der Slowakei, sein. Auf 260 Nadeln habe ich meine Emotionen formuliert, die mir beim Gedanken an meine Zeit in der Slowakei in den Sinn kommen. Vier Monate habe ich diese gesammelt, ich habe wirklich versucht, mich an all die Situationen und Empfindungen meines Aufwachsens dort zu erinnern“.

Robert Gabris | „Meine Heimat, mein Blut“
Yvonne Erdost

Šopa Gallery | „Mein Land, mein Blut!“ | Robert Gabris, Hlavná 40, Košice
Mo – Fr | 16:00 – 18:00

Die Ausstellung ist von
20. Februar bis 31. März 2020
in Košice zu sehen.

Wer die sechs stündige Zugfahrt in die Ostslowakei nicht in Kauf nehmen will, oder kann, macht sich am besten ein Bild von Robert Gabris´ Bildern, und zwar ganz einfach über einen Mausklick auf Robert Gabris.

Obszönität, Fleiß, Entbehrung sind nur ein paar der einstigen Gefühle Gabris´, die er stetig in seinem heutigen Leben, in seiner Kunst, mit sich trägt und nun auch geballt auf seiner „emotionalen Landkarte“ verbildlicht hat.

Seine aktuelle Ausstellung zeigt auch eine Installation bestehend aus einem Kranz (Anm. traditioneller slowakischer Hochzeitskopfschmuck), der an zwei Fleischhaken an der Wand hängt. Er ist aus weißen Rosen zusammengebunden und mit Schleifen in den Roma Farben blau, rot und grün verziert. Die Konnotation wirke durch die Haken, an denen normalerweise rohes Fleisch hängt, sehr negativ, so Gabris.

„Damit kritisiere ich die Identität, die uns die Gesellschaft zuschreibt, noch bevor ich mir überhaupt selbst eine Identität geben konnte. Die Gesellschaft hat sie mir metaphorisch auf den Kopf gesetzt. Hier ist sie nun. In Form dieses traditionell slowakischen Hochzeitskranzes.“

So bekäme man in der Gesellschaft eine Chance, oder nicht. Je nachdem, welchen Kranz ein Mensch bei seiner Geburt aufgesetzt bekommen habe, erzählt der Künstler, dessen mitfühlenden, zugleich auch kritischen Gedanken Hand in Hand mit seiner Kunst ganz selbstverständlich Bildnisse für gesellschaftliche Strukturen manifestieren.

Unter der Kranzinstallation machen kleine Behälter, gefüllt mit Blut, auf die Identifikation des Seins mit der Zuschreibung einer Identität durch die Gesellschaft aufmerksam. Es ist Robert Gabris Blut, der es behutsam in seine Identität legt. Das, was für ihn in diesem Land, das ihm den Kranz aufgesetzt hat, geblieben ist, ist sein Herz. So liegt über den Blutbehältern auch eine Zeichnung seines Herzens. Auch aus seinem eigenen Blut geschaffen.

Robert Gabris | „Meine Heimat, mein Blut“
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Ausstellung „Mein Land, mein Blut!“ in Košice
Robert Gabris
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„Das blaue Herz“ | Herz aus eigenem Blut

Robert Gabris´ Gedanken über Gerechtigkeit, Angst, Einsamkeit und Gemeinschaft begleiten nicht nur sein Werken, sie treiben es an.

Neue Fragen aufzuwerfen, Neugierde in die Bevölkerung zu bringen, neue Bereiche zu öffnen, ist sei sein Ziel. Und doch, sagt der Künstler, sei es paradoxerweise er, der immer wieder in einer Blase lebt. „Der Schaffensprozess ist sehr einsam und still. Erst, wenn ich da wieder rauskomme, versuche ich, in dieser Gesellschaft zu leben. Das schaffe ich aber nicht. Dann kehre ich wieder in diese Blase zurück, in der ich meine imaginären Welten erschaffe, zeichne und kreiere. Ich denke, dass jeder und jede, der/die sich in dieser Gesellschaft als Outsider fühlt, genau weiß, wovon ich spreche“.

Robert Gabris | „Meine Heimat, mein Blut“
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Ein Darm als Ausscheidungsorgan von Gruppen, die exkludiert leben. Sie fallen, sie werden ausgeschieden, gehören nicht dazu. In diesen und solchen Bildnissen gelingt es Gabris auch mit seiner neuesten Ausstellung wieder, den Weg für eine neue Dimension von gesellschaftlichen Strukturen zu ebnen. „Ich habe viele Identitäten, wir leben in einer Zeit, in der Identitäten fluide, veränderbar sind. Ich musste als Kind mit der Identität, die ich hatte, zurechtkommen. Das schaffte ich auch irgendwie. Aber diese ist heute nicht meine einzige Identität. Lediglich die patriotische Gesellschaft schreibt uns vor, so zu sein, wie sie es von mir will. Ich muss also eine Reihe von Funktionen erfüllen, damit ich ein anerkanntes Mitglied dieser Gesellschaft sein kann. Wie können nun diejenigen, die kein zu Hause, keine Familie haben, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Hautfarbe ausgegrenzt werden, in dieser Gesellschaft leben?“, fragt sich der Künstler und nennt diese Fragestellung als Grund, als unendlichen Antrieb für sein Schaffen.

Robert Gabris | „Meine Heimat, mein Blut“
Yvonne Erdost
Robert Gabris | „Meine Heimat, mein Blut“
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Wie Robert Gabris seine Werke und Gefühle selbst beschreibt, hören sie in der aktuellen Sendung Rádio Dia:tón, am 24.2.2020 | 21:40 Uhr ORF Radio Burgenland livestream.

Robert Gabris | „Moja krajina, moja krv!“

„Glücksmuster“ öffnen neue Wege im Umgang mit Vorurteilen