„Demokratie ist ein Vorteil für die persönlichen Freiheiten des Menschen“ | Vladimír Mlynár

Die Niederschlagung Prager Frühlings 1968. Die Besetzung des Landes durch die Truppen des Warschauer Paktes zog weitreichende Folgen mit sich. Statt Demokratisierung mussten sich die Tschechoslowaken nach dem 21. August 1968 an ein Leben mit Angst, Verfolgung und Unterdrückung gewöhnen. Wie er diese Zeit erlebte, darüber spricht in der aktuellen Magazín Vladimír Mlynár.

On demand | Rádio Dia:tón | 24.9.2018

So zahlreiche Schicksale hat die brutale Niederschlagung des Demokratisierungsprozesses in der Tschechoslowakei damals maßgeblich beeinflusst.

Statt Demokratisierung mussten sich die Tschechoslowaken nach dem 21. August 1968 an ein Leben mit Angst, Verfolgung und Unterdrückung gewöhnen. Unsere Volksgruppenmagazine der Tschechen und Slowaken in Österreich, Rádio Dráťák und Rádio Dia:tón, sowie das TV Volksgruppenmagazin České Ozvěny | Slovenské Ozveny konnte schon in einige Lebenswege von Menschen blicken, die die Ereignisse von 1968 zu Österreichern haben werden lassen. Einer von ihnen ist auch der Vorsitzende des Volksgruppenbeirates für Slowaken Vladimír Mlynár. Er war fünf Jahre alt, als seine Mutter am Weg zur Markthalle in Bratislava fest seine Hand an sich zog. Die Panzer waren gekommen.

Mann mit Babywagen zwischen Panzern

Ladislav Bielik

„Ich erinnere mich an den Tag, als die Panzer kamen. Ich ging mit meiner Mutter gerade Paradeiser kaufen zur zentralen Markthalle in Bratislava. Dann wollten wir heimkehren, aber konnten die Straße nicht überqueren, weil die Panzerkolonne kein Ende hatte. Bestimmt standen wir dort eine gute halbe Stunde, bis wir durchkonnten. Meine Mutter wollte mit mir auch nicht zwischen den Panzern laufen, denn es waren bereits Schüsse zu hören. Also warteten wir. Das war ein großer Schock für mich als Fünfjährigen. Über uns schwebten Flugzeuge, ständig landeten von oben Flugblätter, wohl zu Propagandazwecken. Ich wusste nicht, ob das nur eine Parade war, oder was“, erinnert sich Mlynár.

Vorsitzender des Volksgruppenbeirats für Slowaken | Vladimiír Mlynár

ORF | Yvonne Strujic

Ich denke, es hat uns als junge Menschen sehr geprägt. Wir hatten keinen optimistischen Zugang zur Gesellschaft und mussten trotzdem unsere Weltansicht finden | Vladimír Mlynár

Was auf den ersten Schock eines Kindes folgte, waren mehr als zwanzig Jahre Normalisierung, wie man die Zeit der Besatzung des Landes durch die sowjetischen Truppen nannte. Für junge Familie Mlynár bedeutete diese Zeit große Einbußen. Ihre Träume und Lebensziele waren gemeinsam mit denen des Sozialismus mit menschlichem Antlitz des Reformpolitikers Alexander Dubčeks zum Falle gebracht worden.

„Für mich bedeutet das Jahr 1968 eine globale, sowie persönliche Erfahrung...

... Meine Familie wollte damals sofort das Land verlassen. Doch mein Vater hatte im September 1968 einen schweren Verkehrsunfall und er litt dann eineinhalb Jahre an den Folgen eines komplizierten Beinbruchs. Wir fühlten dann den Druck der Normalisierung. Menschen haben einfach aufgegeben, es herrschte eine Letargie. Ich denke, es hat uns als junge Menschen sehr geprägt. Wir hatten keinen optimistischen Zugang zur Gesellschaft und mussten trotzdem unsere Weltansicht finden. Ich persönlich hatte einfach immer das Gefühl nicht dazuzugehören zu dieser Gesellschaft“, sagt Mlynár.

Auszug aus der Ergebnistabelle | Hockeyweltmeisterschaft 1989

wikipedia.org

Hockey | kleine Flamme des stillen Protestes

Mit traurigem Schmunzeln erinnert sich Vladimír Mlynár an die Hockey Weltmeisterschaft im Jahr 1969. „An jeder Wand stand 4:3. Jeder wusste, worum es ging, damals. Es war nicht nur der Sieg der Tschechoslowakei über die Sowjetunion“. Das Hockeyteam sei damals eine kleine Flamme des stillen Protestes gewesen, „dass wir es so doch auch den Russen ein wenig heimzahlen konnten“, sagt der Volksgruppenbeiratsvorsitzende.

Vladimír Mlynar | Vereinsobmann SOVA

y. strujic

Die Eltern von Vladimír Mlynár hatten vor dem Unfall des Vaters im Sinn nach Kanada zu emigrieren, als Techniker hätten sie gute Chancen gehabt, meint der Vorsitzende. Doch bis sein Vater wieder gesund war, sei die Normalisierung schon in vollem Gange gewesen, sodass die Chance für die Familie auszureisen sehr weit weg gerückt war. „Es war eine Zeit, in der der Mensch zwei Gesichter hatte. Eines für die Schule und Öffentlichkeit, also die offizielle Kommunikation und eines hatte man zu Hause, wenn man offen sprechen konnte, österreichischen Runkfunk hören und sehen konnte. Immer endete die Diskussion mit: ‚Aber dass darfst du in der Schule nicht erzählen’ “, erinnert sich Mlynár.

Natürlich habe er mit zunehmendem Alter diese verbotenen Dinge auch mit den Freunden in der Schule ausdiskutiert und auch im Gymnasium konnte man sogar mit einigen Lehrern über gewisse Dinge sprechen. So sei die Hoffnung gewachsen, dass sich früher oder später auch etwas ändern würde. Doch mit Eintritt an die Hochschule kam die Ernüchterung. „Die Menschen, auch die Lehrenden dort, oftmals aus anderen Teilen der Slowakei, waren völlig unter Einfluss der Propaganda. Anders als hier in Bratislava, vielleicht wegen des Radioempfangs und der Nähe zum Westen, hatten wir einfach eine breitere Weltansicht“, beschreibt der Wiener Slowake. Dass er mit diesen Menschen, der „Intelligenz der Zukunft“ die seine aufbauen sollte, wollte Vladimír Mlynár nicht hinnehmen.

Vladimír Mlynár über die Zeit der „Normalisation“ in der damaligen realsozialistischen Tschechoslowakei

Nachts im Traum von der Polizei verfolgt

So gelang es der Familie Mlynár, nach einem Jahr ihres Sohnes Vladimír an der technischen Universität Bratislava, in den Westen zu fliehen. In ihrer neuen Heimat Wien fanden sie Gleichgesinnte unter den Emigranten aus der Slowakei, man traf sich, unternahm gemeinsame Reisen, Abende, gab einander Halt. „Wir mussten zusammenhalten um auch einander zu erzählen, wie wir uns fühlten. Denn die Mehrheitsgesellschaft hat uns diesbezüglich nicht verstanden. Sie hatte diese Emigrantenalpträume nicht, wo man plötzlich wieder in der Slowakei war und dann von der Polizei verfolgt wurde, oder ähnliche Alpträume, die uns Nacht für Nacht begleiteten“, erklärt Mlynár. Diese tiefe Verbundenheit der Emigranten aus der Slowakei mündete letztendlich auch in die Gründung des Österreichisch-Slowakischen Kulturvereines, an der auch Vladimír Mlynár maßgeblich beteiligt war. Heute ist er schon jahrelanger Vorsitzender des „Jungen Zweiges“ des Kulturlebens der Wiener Slowaken, des Schulvereins SOVA.

Mlynár | "... dass die Welt mehr für den Menschen bereit hält"

In der Volksgruppensendung Rádio Dia:tón am 24. September 2018 | 21:40 Uhr | ORF Radio Burgenland livestream spricht der Volksgruppenvorsitzende über diese und weitere Erinnerungen an die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 und dessen Folgen: Die Zeit der „Normalisierung“.

So oft wird im Zusammenhang mit ihr von Unterdrückung und Angst gesprochen. Vladimír Mlynár beschreibt, in welcher Form er diese selbst als Schüler erleiden musste: „Als ich zehn war wurden Milizionäre zum Unterricht eingeladen. Er waren jene, die im Jahr 1948 die Fabriken verteidigten. Das war ein Dogma des Staates. Weil diese Fabriken Privatpersonen gehörten, kamen bewaffnete Milizionäre und beschützten die Proletarier vor den Fabrikbesitzern, damit diese nicht die Fabrik betreten durften. Jedenfalls gab es an einem Tag eben eine Gesprächsrunde mit diesen Personen. Da stellte ich eine Frage, ich weiß nicht mehr welche, aber der Milizionär fragte mich daraufhin vor allen, wir waren zwei Klassen und die Lehrer, was ich denn werden möchte, wenn ich erwachsen bin. Ich überlegte, mir fiel aber nichts ein, so antwortete ich mit: ‚Nichts‘. Er reagierte nicht besonders, wendete sich ab, doch nach der Stunde schimpfte meine Lehrerin sehr mit mir. Sie meinte, ich sei ein subversives Element, ich sei derjenige, der diese Fabriken besitzen würde. Ich kannte mich damals nicht aus. Sie war eine treue Anhängerin der Kommunistischen Partei, ein Kader der Lehrervereinigung. Das blieb einfach. Das hat mich geprägt in diesem Sinne, dass ich mir dann stets dachte: ‚Ja, ich möchte etwas anderes werden‘. Ich sah es als eine Art Challenge, ich werde ihnen beweisen, dass man auch so leben kann und dass eine andere Welt für den Menschen auch mehr bereithält. Dass die Demokratie nicht schädlich ist, sondern ein großer Vorteil für die persönlichen Freiheiten des Menschen“.

„Demokracia je výhodou pre osobné slobody človeka“ | Vladimír Mlynár