„Baustelle Volksgruppenpolitik“ | Volksgruppenforderungen an die neue Regierung

Unter diesem Motto luden Martin Ivancsics und Karl Hanzl zur gestrigen Pressekonferenz im bilingualen Komenský Gymnasium. Ingrid Konrad, Volksgruppenbeirat für Slowaken, macht auf das unaufhörliche Drängen der slowakischen Volksgruppe auf Schulbildung in Volksgruppensprachen aufmerksam.

Sitzung der Volksgruppenbeiräte

Petar Tyran

v.l. Josef Hollós, Bernard Sadovnik, Karl Hanzl, Martin Ivancsics, Ingrid Konrad, Andreas Sarközi

Kultur und Musik seien der Weg, so Ingrid Konrad, der auch der Mehrheitsgesellschaft einen Zugang zur Volksgruppe verschaffe. Durch kulturelle Sichtbarmachung der Volksgruppe in der Öffentlichkeit werde diese als bereichernder Teil der Gesellschaft wahrgenommen. „Wir sind Bürger dieses Landes, die auch gewisse kulturelle Schätze im Gepäck haben“, betont Konrad und ergänzt, dass Österreich eine historische Verantwortung für seine Volksgruppen trage.

Pressekonferrenz "Baustelle Volksgruppenpolitik" in der Komenský Schule

Strujic Yvonne

Karl Hanzl und Bernard Sadovnik verbildlichen die „Baustelle Volksgruppenpolitik“ im Turnsaal des Komenský Gymnasiums in der Wiener Schützengasse

Viel habe man schon verlangt, ohne jegliche Verbesserung

Ähnlich wie die auf Grund von mangelnden Finanzen schon seit 5 Jahren andauernde Renovierung des Turnsaals des Komenský Schulgebäudes in der Wiener Schützengasse stagniere auch das Vorankommen in der Volksgruppenpolitik. Martin Ivancsics, Vorsitzender des Volksgruppenbeirats für Burgenlandkroaten, erinnert daran, dass die, wenn auch lähmende Geschwindigkeit des Turnsaalbaus eigentlich sehr rasch sei, wenn man sie mit dem vergleiche, was von Seiten der Bundesregierung für die Volksgruppen in den vergangenen fünf Jahren passiert sei. Würde man dies symbolisch als Baustelle darstellen, wäre wohl gerade der erste Strich gemacht worden, fügt Ivancsics hinzu.

Pressekonferrenz "Baustelle Volksgruppenpolitik" in der Komenský Schule

Strujic Yvonne

In den vergangenen Jahren habe sich hinsichtlich eines neuen Gesetzes nichts weiterentwickelt, kritisierten die Vertreter/innen der sechs Beiräte. Sie forderten etwa eine Aufstockung der seit 20 Jahren „eingefrorenen“ Volksgruppenförderung (aktuell 3,6 Mio. Euro) auf zumindest den doppelten Betrag.

Der „Reichtum der Sprache solle bewahrt werden“, unterstrich Karl Hanzl. Das geschriebene und gesprochene Wort sei verantwortlich für den Erhalt der Volksgruppen, betonte Bernard Sadovnik von der slowenischen Volksgruppe und bezeichnete die Volksgruppen als „Herzschrittmacher“ für die kulturelle Vielfalt Österreichs.

Eine Novellierung des Volksgruppengesetzes ist eine Forderung, die die Volksgruppen schon seit dessen Manifestierung im Jahr 1976 stellen. Wenn man es ernst meine, mit dem Stolz auf die Vielfalt, müsse man auch die Grundlagen schaffen, so Ivancsics.

Volksgruppen Pressekonferrenz im Komenský Gmynasium

Yvonne Strujić

Minderheitenschulgesetz für Wien

Ein wesentlicher Punkt dabei, sei ein Minderheitenschulgesetz für Wien, wie es auch im Burgenland und Kärnten existiert, damit nicht jeder, der seine Heimatgemeinde verlässt, damit gestraft werde, seine Kultur nicht mehr weiter erhalten zu können. Man habe mit allen Clubobmännern des bestehenden Nationalrates gesprochen, sobald es jedoch um konkrete Maßnahmen ging, waren die bisher größt gesetzten Schritte bloß freundliche Worte, bedauert der Burgenlandkroate. Dass seit 20 Jahren Volksgruppenförderungen eingeschlafen sind, sei ein sehr bitterer Zustand, betont Martin Ivancsics, vor allem in Anbetracht der steigenden Kosten. Es gebe zum Beispiel keinen privaten Verlag, der kroatische Schulbücher drucken würde, da es sich für ihn nicht rechne. „Das alles machen wir selbst“, informiert der Beiratsvorsitzende.

Pressekonferrenz "Baustelle Volksgruppenpolitik" in der Komenský Schule

Strujic Yvonne

Martin Ivancsics

“Wir sind kein Guckloch über die Grenzen hinaus, wir sind die offenen Türen“ | Martin Ivancsics

Forderungen für den Erhalt der Komenský Schule

Die traditionelle Vielfalt der Volksgruppen soll etwas Wert sein, in diesem Land, hebt Martin Ivancsics hervor. Einen bedeutenden Stellenwert innerhalb der Forderungen der Volksgruppen habe nach wie vor der Erhalt der bilingualen Schulen des Komenský-Schulvereins, betont der Beiratsvorsitzende weiter. Seit 105 Jahren seien sie ein Symbol dieser Vielfalt. Um ihren Fortbestand zu gewährleisten sei es notwendig, auch ihre Finanzierung gesetzlich abzusichern. “Wir sind ein Teil der Tradition und das echte Bindeglied, das jede Grenze bisher überwunden hat. Wir sind kein Guckloch über die Grenzen hinaus, wir sind die offenen Türen“, so der Volksgruppenvertreter.

„Warum müssen die Eltern der tschechisch und slowakisch sprechenden Kinder in Wien den Staat subventionieren?“, fragt Karl Hanzl in die Runde. Das sei etwas, womit die Volksgruppen nicht zufrieden sein können. Schon 50% von dem, was die öffentlichen Schulen in allen Gemeinden und im Land als Förderung vom Bund bekämen, würde den Obmann des Schulvereins bereits mehr als zufriedenstellen, betont dieser.

Pressekonferrenz "Baustelle Volksgruppenpolitik" in der Komenský Schule

Strujic Yvonne

Ingrid Konrad

Konrad | Volksgruppen als Vorreiter im Kampf gegen Vorurteile

Auch Ingrid Konrad, Volksgruppenbeirat für Slowaken, bedauert die langandauernden Baustellen, ob im Turnsaal der Schule, oder am Parkett der Volksgruppenpolitik. Wichtig und gut sei es, dass nun alle Volksgruppen an einem Strang ziehen. „Vor dem Sommer besuchten wir die Vertreter/innen der politischen Parteien im Parlament und das Ergebnis war für mich niederschmetternd. Denn wir wurden mit großem Unverständnis konfrontiert, was die Volksgruppen für Österreich zu bedeuteten hätte. Hier geht es nicht um die Wähleranzahl, sondern um Zahlen, die über ihrem Wert liegen. Denn es geht darum unsere Sprache und Kultur zu erhalten und wenn wir das schaffen, werden unsere Kinder Bindungsglieder, die Länder miteinander verbinden. Sie werden Vorreiter sein, im Kampf gegen Vorurteile, gegen die Angst vor dem Fremden“, unterstreicht Konrad. Das Minimale, was man den tschechisch- und slowakischsprachigen Kindern gönnen sollte, ist das gleiche wie den deutschsprachigen, betont Ingrid Konrad im Hinblick auf die Schulförderung der Komenský Schule.

Hanzl | „Was uns Zusammenhält ist ein ewiger Optimismus“

In diesem Zusammenhang erinnerte der Volksgruppenbeiratsvorsitzende für Tschechen an die neuen zwei Kuben, die am Heldenplatz aufgestellt worden sind. Dort stünden die Grundsätze der Verfassung des Österreichischen Staates. Wenn man sich Zeit nehmen würde, so Hanzl, fallen einem 2 Zeilen darunter ins Auge: „Die Republik (Bund, Länder, Gemeinden) bekennt sich zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern.“

„Volksgruppen zu Bittstellern degradiert“ | Bernard Sadovnik

"Im Land Kärnten konnten wir zwar vor Jahren bei der Ortstafellösung eine Einigung finden, wir haben auch einen großen Schritt erreicht, dass die slowenische Volksgruppe erstmals in der Zweiten Republik auch in der Landesverfassung als solche genannt wird, auf der Bundesebene konnten wir aber keine ähnlichen Fortschritte erreichen“, bedauert der Vorsitzende des Volksgruppenbeirates für Slowenen Bernard Sadovnik. Er appelliert an das Minderheitenrecht und verlangt, dass „das Wenige“ geschützt gehöre und macht hinsichtlich dessen auf die Probleme mit den Medien aufmerksam.

Volksgruppen Pressekonferrenz im Komenský Gmynasium

Yvonne Strujić

Seit Jahren kämpfe seine Volksgruppe um das Überleben der einzigen politischen Wochenzeitung, die bis heute nur noch auf Grund einer Förderung aus Slowenien erscheinen könne. „Wir sind Österreichische Staatsbürger, wir sind keine Fremden. Wir wohnen hier als autochthone Volksgruppe und wir fordern ein, dass diese österreichische Politik es schafft, die finanziellen Rahmenbedingungen so zu garantieren, dass die Infrastruktur der autochthonen Volksgruppen aufrecht erhalten werden kann, die Sprache gefördert wird und dass wir es auch erreichen, dass in Wien, eine Grundschule mit Volksgruppensprachen errichtet wird. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zu dieser kulturellen Vielfalt“, unterstreicht Sadovnik.

VG Konferenz zu Wahlen am 15. Oktober

Serdar Erdost | ORF

Die Würde der Volksgruppen ist zu bewahren

Sadovnik fordert daher eine klare Äußerung der politischen Parteien vor der Wahl, ob man zukünftig endlich bereit ist, ein Volksgruppenrecht zu schaffen, das die neuen Rahmenbedingungen einschließt. Dazu gehöre neben der Sicherung der Sprache durch Bildunsgeinrichtungen auch eine Novellierung des Presseförderungsgesetzes, weil nur im Rahmen dessen könne man erreichen, dass periodische Zeitschriften weiterhin bestehen, denn man müsse wissen: „Wenn das Wort nicht mehr gesprochen wird, wenn es nicht mehr geschrieben wird, dann gibt es diese Volksgruppen nicht. Dann wird es nur noch Folklore bleiben“, fügt der Volksgruppenvertreter hinzu.

Leider können heute die Volksgruppe der Kärnter Slowenen und auch die der Slowenen in der Steiermark ihren Fortbestand nur durch die Förderungen aus Slowenien gewährleisten, die wesentlich höher ausfallen als die Österreichischen, so Sadovnik.

Volksgruppen sollen ihre Würde bewahren können | Josef Hollós

Für Josef Hollós ist es ein Anliegen, dass die Volksgruppen ihre Würde bewahren dürfen. Man dürfe den Volksgruppen nicht das Gefühl geben, nur geduldet, sondern auch gewollt zu sein. Dazu sei ein wesentliches Zeichen auch die Gründung einer bilingualen -ungarisch | deutsch- Schule in Wien.

Sarközi | Einigkeit der Volksgruppen bedeutend

Andreas Sarközi betont die Notwendigkeit des Zusammenhalts der Volksgruppen nach außen hin. Auf Grund der jahrhundertelangen Verfolgung seiner Volksgruppe gab es große Defizite im Bereich der Bildung und im sozialen Bereich. Die Volksgruppenarbeit richte sich im Wesentlichen auf den Abbau der Vorurteile und eines Aufbaus der sprachlichen und kulturellen (Selbst-)Wertschätzung von Roma und Sinti in Österreich. „Uns ist es wichtig, dass wir aus unserer Kraft heraus, unsere Volksgruppenangehörigen betreuen und für die Zukunft stärken“, hebt der Geschäftsführer des Kulturvereins österreichischer Roma hervor.

Neue Volksgruppensendungen im ORF

Karl Hanzl informierte die Pressevertreter auch über den kürzlichen Beschluss des ORF Publikumsrates, dessen Mitglied er ist, dass es eine Erweiterung des Volksgruppenprogrammes in Form einer halbstündigen wöchentlichen Sendung auf ORF III oder ORF 2 geben solle. Mit großer Hoffnung schauen nun die Volksgruppen der diesbezüglichen Entscheidung des ORF Stiftungsrats entgegen.

Muna Duzdar

Hans Hofer

Duzdar reagiert auf Volksgruppenforderungen

Staatssekretärin Muna Duzdar (SPÖ) reagierte nach der Kritik der Volksgruppenvertreter bei der Pressekonferenz promt und tat ihren Willen kund, die Förderung für autochthone Minderheiten erhöhen. Der Betrag von 3,8 Mio. Euro solle auf 4,5 Mio. Euro angehoben werden, sagte sie. Nun hoffe man innerhalb der SPÖ auf das Mitziehen der Koalitionspartei ÖVP.

Tipp | „Österreichs Volksgruppen zur Nationalratswahl“ …

… heißt die zweite Pressekonferrenz, in der die Vertreter/innen der Wiener Volksgruppen morgen, am 15. September, im Wiener Cafe Landtmann ihre Belangen an die Regierung kundtun werden.

„Österreichs Volksgruppen zur Nationalratswahl"
15. September 2017, 10:00 Uhr
Wiener Cafe Landtmann,
Universitätsring 4

Was die kommende Regierung mitbringen sollte, um den drohenden Untergang der Volksgruppen zu vermeiden, darüber sprechen Stefan Pauer und Gabriela Novak-Karall von der Burgenlandkroatischen Volksgruppe, Ernő Deák für Ungarn und Heinz Tichy von der Wiener Arbeitsgemeinschaft für Volksgruppenfragen | Volksgruppeninstitut.

Duzdar will Volksgruppenbudget auf 4,5 Mio. erhöhen
ORF Publikumsrat | Wöchentliche Sendung für alle Volksgruppen
Volksgruppenbudget soll zumindest verdoppelt werden

Links

Volksgruppen in Österreich | Bundeskanzleramt
ARGE Volksgruppen