50 Jahre „Fall Borodajkewycz“ | Erinnerungs-Steine werden enthüllt

Mit der Enthüllung von „Steinen der Erinnerung“ wird heute, Dienstagnachmittag des 50. Jahrestags des tödlichen Angriffs auf den ehemaligen Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger im Zuge des „Falls Borodajkewycz“ gedacht. Kirchweger war im Zuge von Protesten gegen den Historiker Taras Borodajkewycz von einem Anhänger des Professors mit Nazi-Vergangenheit niedergeschlagen worden.

Ernst Kirchweger Gedenktafel

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Ernst Kirchweger gilt als erstes Opfer der rechtsextremen Gewalt in der Zweiten Republik. Der Schaffner der Städtischen Straßenbahnen wurde 1937 Verwaltungschef beim Compass-Verlag, der ein Jahrbuch mit Informationen über österreichische Unternehmen herausgab, und blieb bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1963 leitender Angestellter des Unternehmens.

In den Jahren der NS-Diktatur war Kirchweger in der illegalen Gewerkschaftsbewegung aktiv und organisierte die Fachgruppe Straßenbahner, als deren Obmann er fungierte. Auch in den Jahren der NS-Diktatur leistete Kirchweger illegale politische Arbeit. In seiner Wohnung fanden konspirative Sitzungen statt, wurden ausländische Rundfunksender abgehört und Hilfe für die Opfer des Regimes und deren Angehörige organisiert.

Politisch war Kirchweger weiter in der KPÖ und im kulturpolitischen Umfeld der Partei aktiv, etwa als Vizepräsident der Theaterfreunde, der Publikumsorganisation des Neuen Theater in der Scala, oder als Kassier der Österreichisch-Ungarischen Vereinigung für Kultur und Wirtschaft. Im Collegium Hungaricum hielt er in den 1960er Jahren öffentliche Lichtbildvorträge über die zahlreichen Reisen, die er unternahm, etwa nach Ägypten oder Zentralasien.

Borodajkewycz war in seinen Vorlesungen an der damaligen Hochschule für Welthandel (der heutigen Wirtschaftsuniversität | WU) durch antisemitische Äußerungen und sein Bekenntnis zu seiner nationalsozialistischen Vergangenheit aufgefallen. Die zunächst vom späteren Finanzminister Ferdinand Lacina aufgezeichneten und vom heutigen Bundespräsidenten Heinz Fischer veröffentlichten Aussagen führten im März 1965 zu Protesten gegen den Sozial- und Wirtschaftshistoriker, die in einer Demonstration am 31. März gipfelten und bei der Kirchweger vom Chemie-Studenten Günther Kümel vor dem Hotel Sacher zu Boden geschlagen wurde. Das Mitglied des KZ-Verbands starb zwei Tage später und gilt heute als erstes politisches Todesopfer der Zweiten Republik.

Bei der Trauerkundgebung für den Kommunisten Ernst Kirchweger fand am 8. April 1965 auf dem Wiener Heldenplatz statt. Das Begräbnis war die bis dahin größte antifaschistische Demonstration seit Bestehen der Zweiten Republik.

Im Oktober 1965 wurde Kümel wegen Notwehrüberschreitung zu zehn Monaten Arrest verurteilt. Borodajkewycz wurde im Mai 1966 vom Senat der Hochschule zwangsweise in den Ruhestand versetzt.

Bei der Enthüllung der Steine am Tatort sprechen unter anderem das damalige Mitglied des „Antifaschistischen Studentenkomitees“, der spätere Bundesratspräsident Albrecht Konecny, sowie die Vorsitzende der HochschülerInnenschaft der Uni Wien, Camila Garfias.

Buch | „Eine österreichische Affäre“

Mit den damaligen Geschehnissen beschäftigt sich der Historiker Rafael Kropiunigg in seinem Buch „Eine österreichische Affäre“ (Czernin Verlag). Darin zeichnet er die Ereignisse von den Äußerungen Borodajkewyczs in seinen Vorlesungen über das von ihm gegen Fischer angestrengte Gerichtsverfahren und die Berichterstattung in den Medien bis zu den am 31. März 1965 kulminierenden Protesten und dem Begräbnis Kirchwegers nach.

Für das auf seiner Forschungsarbeit an der Universität Oxford basierende Buch interviewte Kropiunigg auch Zeitzeugen und damalige Akteure - unter anderem den Täter Günther Kümel, der bereits einige Jahre davor mit Komplizen - etwa dem Holocaust-Leugner Gerd Honsik - Schüsse auf das Parlament abgefeuert und einen Brandanschlag auf die italienische Botschaft in Wien verübt hatte. Kümel macht darin aus seiner Gesinnung kein großes Geheimnis: Er räumt Kontakt zum „Bund heimattreuer Jugend“ ein, der für ihn „ein politisch interessierter Jugend- und Freizeitbund war: Zelte, Lagerfeuer, Singen, Wandern, Volkstanzen“. Ihm zugeschriebene Mitgliedschaften beim Mittelschüler-Kartellverband (MKV), dem Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) oder der Burschenschaft Olympia stellt er allerdings in Abrede. Kümel wurde im späteren Gerichtsverfahren zu nur zehn Monaten Arrest verurteilt - ihm wurde zugebilligt, an einen tatsächlich nicht stattgefundenen Angriff Kirchwegers auf ihn geglaubt und darauf nur unverhältnismäßig reagiert zu haben.

In einem ausführlichen Nachwort bemüht sich Kropiunigg auch um eine Einordnung der Geschehnisse, die letztlich auch zu einer „Geburt des neuen Österreich“ geführt hätten. In die gleiche Kategorie fallen für ihn die Affären Kreisky-Peter-Wiesenthal, Frischenschlager-Reder und Waldheim, die bei aller Unterschiedlichkeit des Verlaufs die „Schatten der Vergangenheit“ zum Inhalt hatten.