Transnationale Erinnerung György Majtényi im Wiener Romano Centro mit Éva Kovács und Gerhard Baumgartner
Samuel Mágó
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György Majtényi | „Transnationale Erinnerung an den Roma-Holocaust“

Unter dem Titel „Transnationale Erinnerung an den Roma-Holocaust“ präsentierte György Majtényi eine neue Studie im Wiener Verein Romano Centro. Bei seiner Präsentation und der anschließenden Diskussion konnten Interessierte einen Einblick in die aktuelle Forschung auf diesem Gebiet gewinnen.

On demand | Roma sam | 28.10.2019

Roma sam | 28.10.2019 | 20:50
Radio Burgenland Live

György Majtényi, Soziologe und Professor an der Károly Eszterházy Universität in Eger, forscht derzeit zur Erinnerungspolitik an den Porajmos am Wiener Wiesenthal Institut.

Die Geschichte der Roma wird nicht nur aus nationalem Blickwinkel betrachtet, sondern auch als europäische Geschichte erforscht. Das untersucht György Majtényi in seiner Arbeit und spricht dabei von einem transnationalen Narrativ. Seine Studien erkunden die Prozesse und Akteure, die den Roma-Holocaust zu einem gemeinsamen Erinnerungsort für alle Roma in Europa gemacht haben.

„In meiner Forschung beschäftige ich mich damit, welche Beziehungen zwischen den verschiedenen Roma-Communities existieren und wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben“, erklärt Majtényi.

Roma-Nationalismus auf einer transnationalen Ebene

„Sehr interessant sind die Untersuchungen dazu, wie sich die Situation der Roma nach 1989 entwickelte, als der Eiserne Vorhang fiel. Mit der Osterweiterung der EU 2004 und 2007 wurden die Roma schließlich zur größten europäischen Minderheit und die verschiedenen europäischen Institutionen, wie der Europarat und die EU, mussten sich mit der Lage der Minderheit beschäftigen. In meiner Forschung untersuche ich, wie sich die politischen Ziele, die Roma bis dahin formuliert hatten, auf ein europäisches Level gehoben wurden und welche neuen Beziehungen im Zuge dieser gemeinsamen europäischen Politik zwischen den verschiedenen nationalen Roma Organisationen entstanden. Die Frage ist, ob wir von einem Roma-Nationalismus sprechen können und wie man sich einen Nationalismus vorstellen kann, der sich nicht an eine Nation beschränkt, sondern auf einer transnationalen Ebene zustande kommt“, fügt der Soziologe hinzu. ==

Transnationale Erinnerung György Majtényi im Wiener Romano Centro
Samuel Mágó

Erinnerungspolitik als Teil der Bürgerrechtsbewegung

In seiner Studie erklärt der Forscher, dass der Völkermord an Roma Teil der gesamteuropäischen Geschichte ist. Er betont, dass die Opfer des Holocaust selbst die Identität des Nationalstaates hatten, in dem sie verfolgt und deportiert wurden. Seine Forschung zeigt, dass die Erinnerung an den Roma-Holocaust nach 1945 auch in der politischen Arbeit der Roma-Vertreter eine wichtige Rolle spielte.

"Es ist sehr interessant, die Erinnerungspolitik an den Völkermord an Roma als Teil der Bürgerrechtsbewegung zu untersuchen. Als eine Bestrebung, dass das Leid und die Traumata der Roma Anerkennung finden und in der Öffentlichkeit präsent sind. Ich untersuche in meiner Arbeit, wie erfolgreich diese Bestrebungen waren, welche Akteure daran beteiligt waren, Aktivisten/innen, Historiker/innen, Roma und Nicht-Roma.

Wie sie diese Gräueltaten nicht nur aufarbeiten konnten, sondern dieses Ereignis auch als europäische Tragödie an die Öffentlichkeit bringen konnten. Denn dieses Trauma betrifft alle europäischen Bürger. Die Kriegsverbrechen während des Holocaust wurden von Europäern an Europäern verübt, da Roma eine europäische Minderheit sind. Es ist wichtig den Völkermord an Roma so darzustellen, dass man sieht, dass diese Gräueltaten von Deutschen gegen Deutsche, von Ungarn gegen Ungarn, von Österreichern gegen Österreicher verübt wurden. Man muss die gemeinsame Verantwortung und Geschichte der Mehrheitsbevölkerung und der Minderheiten aufzeigen.

Nur so kann der Völkermord zu einer europäischen, einer internationalen Geschichte werden, an die erinnert wird," erläutert Professor György Majtényi.

Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust Studien

Simon Wiesenthal habe ganz am Anfang deklariert, dass er sich mit allen Opfergruppen beschäftigen wolle, nicht nur mit den Juden. Das bedeute, dass sich das Wiener Wiesenthal Institut auch mit dem Roma-Holocaust beschäftige, erklärt Éva Kovács, Forschungsleiterin am Wiener Wiesenthal Institut.

In einer neuen internen Statistik sehe man, dass acht von 90 der Stipendiaten/Stipendiatinnen sich bereits mit dem Thema des Roma-Genozids befasst haben. Im Vergleich zu anderen ähnlichen Institutionen sei dies eine gute Zahl, unterstreicht Kovács.

„Man kann sagen, dass die Verfolgung und der Völkermord an den Roma in Europa in der Holocaust-Forschung noch immer unterrepräsentiert ist,“ macht Éva Kovács auf die momentane Lage aufmerksam.

Studie | Roma-Bewegung nach der Wende 1989

Neben Majtényi und Kovács sitzt auf dem Podium auch Gerhard Baumgartner, Wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. Der Historiker forscht seit Jahrzehnten zu diesem Thema und betont, wie gut die Studie die Roma-Bewegung nach der Wende 1989 aufzeichnet. Gleichzeitig kritisiert er die unklare Ausführung des Begriffes „Transnationale Nation“.

Transnationale Erinnerung György Majtényi im Wiener Romano Centro mit Éva Kovács und Gerhard Baumgartner
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Das Romano Centro bot bereits zum zweiten Mal eine Plattform für das Wiener Wiesenthal Institut.

Die stellvertretende Obfrau Mirjam Karoly zeigte sich sehr erfreut über die Zusammenarbeit und das zahlreiche Erscheinen interessierter Besucher/Besucherinnen. Als langjährige Roma-Aktivistin und Politologin betont sie im Gespräch die Rolle der Zivilgesellschaft für das transnationale Gedenken.

Wie wichtig es sei, sich auch in Zukunft mit dem Porajmos zu befassen, betont Éva Kovács, Forschungsleiterin des Wiener Wiesenthal Instituts.

Es wäre sehr bedeutend, international aber auch regional Studien und Untersuchungen zu diesem Thema durchzuführen. Das hätte nämlich große Auswirkungen auf die Gedenkarbeit und die Beteiligung zukünftiger Generationen, hebt Kovács abschlißend hervor.

„Grundlegend von Bedeutung ist, dass regionale Gedenkveranstaltungen an den Roma-Holocaust in den Alltag der Gemeinden integriert werden, so wie das bei der Shoah bereits der Fall ist. Die vierte Generation kann dem bereits mit einer sehr freien Haltung begegnen. Ich bin hier sehr optimistisch. Sobald einer Kleinstadt, einem Dorf ihre Geschichte aufgezeigt wird, werden sie viel einfacher jene jungen Menschen finden, die ihren Opfern gedenken wollen. Und so können sie in Zukunft ein ganz anderes Bild über die ungarische, oder österreichische Gesellschaft schaffen.“