Für ihre schriftstellerische Leistung wie für ihr minderheitspolitisches Engagement erhielt Mariella Mehr 1998 die Ehrendoktorwürde der Universität Basel
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Schweizerisches Literaturarchiv

Mariella Mehr ist tot

Nun ist die Schweizer Autorin Mariella mit 74 Jahren gestorben. In ihrem Selbstverständnis sah sich Mariella Mehr klar als Roma-Schriftstellerin, obwohl sie der Volksgruppe der Jenischen angehörte. Auf ihre maßgebliche Initiative hin wurde 2002 die International Romani Writers Association in Helsinki gegründet, der sie zeitweise als Vizepräsidentin vorstand und die bis 2008 existierte.

Mariella Mehr
Schweizerisches Literaturarchiv
Sie gilt als die Stimme der Fahrenden und der Sprachlosen.

Mariella Mehr wurde am 27. Dezember 1947 in Zürich (Schweiz) geboren. Als Angehörige der Jenischen war sie seit ihrer frühes­ten Kind­heit von der Aktion „Kinder der Landstrasse“ betroffen. Dieses von der Schweizerischen Eidgenossenschaft mitfinanzierte und von der Stiftung Pro Juventute geleitete „Hilfswerk“ nahm zwischen 1926 und 1973 rund 600 jenische Kinder ihren Eltern systematisch weg, stellte sie unter Vormundschaft und platzierte sie in Pflegefamilien, Heimen und Anstalten.

Kinder der Landstrasse

Das Ziel der Aktion war es, die „Kinder der Landstrasse“ zu „brauchbaren Gliedern der Gesellschaft“ zu erziehen, wie es Pro Juventute formulierte, und so die Nichtsesshafte Lebensweise zu beseitigen. Nach Einstellung des Projektes 1973 setzte ein zäher Kampf um die Rehabilitierung ein.

Mariella Mehr wurde früh von ihrer Mutter getrennt und unter Vormundschaft gestellt. Sie wuchs als Zögling der Pro Juventute in verschiedenen Heimen, bei Pflegeeltern und in psychiatrischen Anstalten auf. Als sie im Alter von 18 Jahren schwanger wurde, wurde sie für 19 Monate im Frauengefängnis Hindelbank sogenannt „administrativ versorgt“. Sie gehört zur mittleren von drei Generationen ihrer Familie, die Opfer des „Hilfswerks“ wurden. Bereits ihre Mutter sowie ihr 1967 geborener Sohn wurden zwangsweise fremdplatziert.

Nach einigen Jahren Fabrikarbeit begann die Autodidaktin Mariella Mehr 1975 ihre journalistische, gesellschafts­politische und schriftstellerische Tätigkeit.