Vor den 1930er Jahren hatten Jüdinnen/Juden und Romnija/Roma fast überall in Europa wenig enge Kontakte. Dennoch fanden sie sich als Opfer von NS-Vernichtungspolitiken nebeneinander, wurden Zeug/innen der Verfolgung und Ermordung der jeweils anderen Gruppe und hatten nach 1945 ähnliche geschichtspolitische Forderungen. Das Resultat ist eine Geschichte der distanzierten Verwicklungen, die dieser Vortrag nachzeichnet. Er analysiert die Entwicklung der getrennten, aber ähnlichen Erfahrung, die ihren Anfang nimmt in Ghettos wie Lodz und Warschau oder in Lagern wie Auschwitz-Birkenau.

Nach dem Krieg fanden sich Überlebende beider Gruppen zunehmend über die Archivpolitik verbunden. So waren jüdische Institutionen, Historiker/innen, Anwälte früher als andere an der Wissensproduktion und am Publikmachen des Roma-Holocaust beteiligt. Dennoch blieb es lange Zeit eine ungleiche Beziehung: fast überall wo Roma/Romnija sich für Gedenktafeln, Denkmäler, Forschungsstätten und Archive zu ihrer Vergangenheit eingesetzt hatten, gab es schon ein jüdisches Pendant. Letztlich wurden jüdische Archive auch zu den zentralen Aufbewahrungsorten von Romani-Zeitzeug/innenberichten.

Vortrag von Ari JOSKOWICZ anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktages im Rahmen der VWI-Reihe „VWI goes to…“ in Kooperation mit dem Haus der Geschichte Österreich.
Datum: 27.1.2022 15:00 bis 17:00 Uhr Haus der Geschichte Österreich, Neue Burg Heldenplatz, 1010 Wien
Ari JOSKOWICZ ist Associate Professor für Jüdische Studien und Geschichte an der Vanderbilt University und Senior Fellow am Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien. Er publizierte u.a. zum jüdischen Antiklerikalismus (The Modernity of Others: Jewish Anti-Catholicism in German and France, Stanford University Press 2014) und zur Geschichte der Roma/Romnija. Er arbeitet zurzeit an einem Buch zur Beziehung von Romnija/Roma und Jüdinnen/Juden während und seit dem Holocaust.