On demand | Roma sam | 12.8.2019
Auschwitz ist ein seltsamer Ort. Eine Ruine, die auch 75 Jahre nach dem 2. August 1944 ein Gefühl von Hass, Verfolgung und Angst hervorruft.
Zum 75. Mal jährt sich heuer der 2. August, die sogenannte „Zigeunernacht“ von Auschwitz-Birkenau. In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 ermodeten die Nationalsozialisten 3.000 Roma – Männer, Frauen und Kinder – in den Gaskammern von Auschwitz. Der 2. August markiert heute den „Internationalen Roma Holocaust Gedenktag“. Europaweit gedenken Menschen den Opfern des Völkermordes an Roma und setzen ein Zeichen gegen den „Antiziganismus“ der Gegenwart.
Das Gebiet des ehemaligen Konzentrationslagers erstreckt sich über eine unglaubliche Fläche. Es scheint, als sei das Lager grenzenlos. Jährlich versammeln sich hier Roma und Sinti, Überlebende, hohe Würdenträger und auch hunderte Jugendliche, um an die ermordeten Roma und Sinti zu erinnern.
Überlebende Sintiza Prigmore kämpft für Gleichberechtigung
In der ersten Reihe der Gäste, die zum Gedenken nach Auschwitz gereist sind, befinden sich neben hohen Würdenträgern auch Überlebende des Völkermordes an Roma. Eine von ihnen ist die 76-jährige Sintiza Rita Prigmore. Als Kind wurde sie mit ihrer Zwillingsschwester Rolanda den Experimenten von Josef Mengele unterzogen. Bis heute trägt sie Narben im Gesicht. Ihre Schwester überlebte die Experimente nicht. Ihre Mutter konnte Rita jedoch befreien und rettete ihr das Leben.
Bis heute kämpft Rita Prigmore für die Gleichberechtigung ihrer Volksgruppe und gegen das Vergessen. Unter Tränen richtet sie eine Nachricht an die jüngste Generation.
Bürgerrechtler Jesse Jackson ruft zu Protesten gegen Hassreden auf
Das Rednerpult vor dem Denkmal an die ermordeten Roma und Sinti in Auschwitz steht heute ausschließlich den Überlebenden, Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, und Reverend Jesse Jackson Sr., dem berühmten US-Amerikanischen Bürgerrechtler und Aktivisten zur Verfügung. Jesse Jackson steht als schwarzer Bürgerrechtler für Widerstand und Solidarität. Er ruft dazu auf, den „Antiziganismus“ (Eigendefinition des Redners | Anm. d. Red.) der Gegenwart und die Hassreden gegen Roma und Sinti mit Protesten zu bekämpfen.
Romani Rose | Leise, dennoch kraftvoll
Die Stimmen der letzten Zeitzeugen sind leise und dennoch voll von Kraft und Widerstand. Romani Rose kämpft bereits seit Jahrzehnten für die Gleichberechtigung seiner Volksgruppe in Deutschland. Der Name Rose steht dutzende Male im Buch der Opfer des Völkermordes an Roma und Sinti. Viele seiner Familienangehörigen wurden hier ermordet, nur einige überlebten. Auch Rose appelliert an die junge Generation der Roma und Sinti, die Gräueltaten der Nationalsozialisten nicht zu vergessen.
Österreichische Roma-Vertreter/innen in Auschwitz
Der 2. August wird europaweit als Gedenktag begangen. In Berlin, in Budapest, in Barcelona und vielen europäischen Städten wird an diesem Tag der halben Million Roma und Sinti gedacht, die während des 2. Weltkriegs ermordet wurden. Während auch in Wien, am Ceija Stojka Platz im 7. Bezirk an die ermordeten Roma und Sinti erinnert wird, nehmen auch österreichische Roma-Vertreter/innen in Auschwitz an der 75. internationalen Gedenkveranstaltung teil. In Österreich überlebten knapp 10% der Roma und Sinti den Genozid. Manuela Horvath, Roma-Aktivistin und Leiterin der Roma-Pastoral im Burgenland, ist selbst Nachfahrin von Opfern und Überlebenden des Völkermordes an Roma. Auch sie möchte in Auschwitz ein Zeichen setzen.
Christian Klippl im Namen der gesamten Volksgruppe tief betroffen
Vertreter/innen dutzender Roma-Organisationen aus der ganzen Welt haben sich am 75. internationalen Gedenktag an den Roma Holocaust in Auschwitz-Birkenau versammelt. Dutzende Kränze werden niedergelegt. Inmitten hunderter Menschen, die an die Opfer erinnern, ist es Still im ehemaligen Konzentrationslager. Auch die Familie von Christian Klippl, Vorsitzender des Kulturvereins Österreichischer Roma, wurde während des Zweiten Weltkrieges verfolgt, viele ermordet. Auch er fühlt tiefe Betroffenheit.
Raymond Gureme | Widerstand gegen Ungerechtigkeit
Raymond Gureme ist einer der Überlebenden, die in der ersten Reihe Platz genommen haben. Der 95-jährige französische Rom überlebte 11 Konzentrationslager, kämpfte im Französischen Widerstand und konnte der Deportation nach Auschwitz um Haaresbreite entkommen. Jedes Jahr besucht er die Gedenkveranstaltung in Auschwitz und mahnt die junge Generation bis heute, Widerstand gegen Ungerechtigkeit und „Antiziganismus“ (Eigendefinition des Redners | Anm. d. Red.) zu leisten. Einige Plätze weiter sitzt Michael Roth, deutscher Staatsminister für Europa. Als Vertreter der Bundesrepublik erklärt er, dass sich Deutschland und Europa ihrer Schuld an dem Völkermord bewusst werden, und die Volksgruppe der Roma in die Mitte der Gesellschaft rücken muss.
„Dikh He Na Bister – Schau Und Vergiss Nicht“
Wie jedes Jahr versammeln sich auch heuer hunderte Jugendliche, Roma und Nicht-Roma, aus ganz Europa, um unter dem Motto „Dikh He Na Bister – Schau Und Vergiss Nicht“ den Opfern des Roma-Genozids zu Gedenken. Eine Woche lang sprechen sie in Krakau und Auschwitz über den Völkermord, lernen von Überlebenden und Zeitzeugen über die Verbrechen der Nazis und tragen die Geschichte ihrer Vorfahren weiter. Soraya Post, Romni und ehemalige Abgeordnete zum Europäischen Parlament, zeigt sich dankbar, dass die jüngste Generation gegen das Vergessen und für die Gleichberechtigung der größten Europäischen Minderheit kämpft.