Ungarn-Jahresrückblick 2017

Bei der Messe am Heiligen Abend in einem Obdachlosenheim in Budapest lobte Pfarrer Imre Kozma die Nächstenliebe der Menschen. Im Vorfeld des Festes sei heuer weit mehr gespendet worden als ein Jahr zuvor, sagte Kozma, zugleich Vorsitzender des ungarischen Malteser Hilfsdienstes. Die erhöhte Spendenbereitschaft sei ein Zeichen dafür, dass es den Ungarn besser gehe, meinte ein ehrenamtlicher Helfer.

Bei den Sammeltouren in Einkaufszentren habe es auch weniger Sprüche gegeben, die Malteser sollten doch Regierungschef Viktor Orban und seine Fidesz-Partei zur Kasse bitten.

Orban als „Freiheitskämpfer“

Orban machte seinem Ruf als „Freiheitskämpfer“ in der Europäischen Union auch 2017 alle Ehre. Während der Premier Flüchtlingsquoten weiter vehement ablehnt, Gesetze verabschieden ließ, die gegen EU-Normen verstoßen sollen, und ihm Demokratieabbau vorgeworfen wurde, gilt Orban als geachtetes Mitglied der EVP-Fraktion der christdemokratischen Parteien in der EU. Außerdem ist Ungarn vorrübergehend aus der EU-Schusslinie gerückt, in der jetzt Polen steht. Wegen seiner Justizreformen wurde gegen das Land ein Grundrechtsverfahren eröffnet, das bis zum Verlust seiner Stimmrechte führen kann.

Ungarns Premier spielte auch weiterhin die nationale Karte aus: Souveränität, Schutz der nationalen Interessen, mehr Respekt, immerhin sei Mitteleuropa heute die erfolgreichste Region Europas. Verbündete fand Orban, der seine Macht systematisch ausbaute, in den anderen Visegrad-Ländern (Polen, Tschechien und Slowakei). Vielen Ungarn gefällt die in der Union umstrittene Politik des Premiers, mit der er sich als starker Mann von Brüssel nichts diktieren lasse. 80 Prozent der Bürger stehen hinter Orbans Flüchtlingspolitik.

Die öffentliches Stimmung hat sich heuer verbessert

Laut einer jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Median gab es Ende 2017 nur noch eine einprozentige Mehrheit für einen Machtwechsel. Im September waren es noch sechs Prozent. Im Hintergrund stehen ein gesundes Wirtschaftswachstum, niedrige Arbeitslosigkeit, Gehaltserhöhungen, Steuervergünstigungen für Familien mit Kindern, Förderung des Wohnungsbaus und Boni für Pensionisten. Auch der Mangel an Alternativen schwächte Forderungen nach einem Regierungswechsel ab, während die Regierungspartei Fidesz haushoch mit rund 40 Prozent der Stimmen führt und die sozialliberale Opposition maßlos zerstritten und unfähig ist, ein Zweckbündnis für die Parlamentswahlen 2018 zu schmieden.

Linke Parteien, die die Chance hätten, die Fünf-Prozent-Hürde im Parlament zu überwinden – wie die Sozialisten (MSZP), die Demokratische Koalition (DK) und die Grünen LMP - könnten laut Meinungsumfrage gemeinsam mit lediglich 16 Prozent der Stimmen rechnen. Die rechtsradikale Jobbik hielt ihre Wählergunst heuer stabil und verfügt als stärkste Oppositionspartei über elf Prozent der Stimmen. Selbst wenn sich die linken Oppositionsparteien mit Jobbik vereinen würden, gebe es mathematisch kaum eine Chance, Orban zu stürzen.

„Regieren nach Meinungsumfragen“

Das Orban-Kabinett ist auch bekannt für sein "Regieren nach Meinungsumfragen, wie etwa im Falle der Budapester Olympia-Pläne. Als Orban erkannte, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegen die Olympischen Spiele und die hohen Kosten stimmte, zog er im Februar die Bewerbung für die Sommerspiele 2024 zurück. Dafür richtete Ungarn die Schwimm-WM 2017 aus. Die veranschlagten Gesamtkosten erhöhten sich letztlich laut dem Anti-Korruptionsportal „atlatszo.hu“ von 24,5 Milliarden Forint (79 Millionen Euro) auf 103,5 Milliarden Forint (333 Mio. Euro). Das Thema Korruption stand auch 2017 im Fokus. So lautete das Motto einer Anti-Orban-Plakatkampagne der Jobbik „Ihr arbeitet – sie stehlen“. Die ungarische Sektion der Antikorruptionsbehörde Transparency International behauptete, in Ungarn seien Milliardensummen öffentlicher Gelder in den falschen Taschen verschwunden.

Flüchtlingen und Soros als Feinde Nummer Eins

Außer der Ablehnung der Flüchtlingsquoten punktete Orban ebenso mit dem Kampf gegen den Staatsfeind Nummer Eins, den ungarischstämmigen US-Milliardär George Soros. Dieser Kampf wurde heuer immer heftiger geführt, u. a. mit Plakaten und Werbespots. Orban warf Soros vor, mit seinem Plan Millionen Flüchtlingen Tür und Tor nach Europa zu öffnen. Brüssel würde assistieren und die Gefahren ignorieren, lautete die Kritik an der Europäischen Union. Die von Soros geförderten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) würden per Gesetz gemaßregelt, lautete die Kritik seitens der Union. Diese hat heuer den Druck auf Ungarn erhöht. Die EU-Kommission ging hinsichtlich der von Ungarn abgelehnten Flüchtlingsaufnahme und des Gesetzes über die aus dem Ausland finanzierten NGOs vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Außenminister Peter Szijjarto betonte: „Eines ist sicher, keine Anhörung und kein Druck wird unseren Kurs ändern“. Schelte aus Brüssel gab es auch wegen des neuen Hochschulgesetzes, mit dem vor allem die Budapester Central European University (CEU) von Soros zur Schließung gezwungen werden soll.

Zum Jahreswechsel bemühen sich die Linken im Schatten der Torschlusspanik um Schulterschluss und die Rechtsradikalen suchen nach ihrem Platz und ihrer neuen Identität. Die Fidesz-Partei wiederum ist sich des Wahlsieges sicher und hofft auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Dazu beitragen könnte eine neu entfachte Migrationsdebatte über Familiennachzug in Deutschland, der bis März 2018 ausgesetzt wurde. Das Thema solle ab März in Brüssel behandelt werden, betonte der Budapester Politologe Zoltan Kiszelly der APA gegenüber. Während die Integrationsfrage erneut die europäische Öffentlichkeit beschäftige, habe die Orban-Regierung einen Monat vor den Parlamentswahlen weiter das Migrationsthema fest in der Hand, das alle anderen Themen verdrängen würde.

Hoffnung auf eine bessere Kooperation

Orban gab jüngst nach der Angelobung der neuen Wiener ÖVP-FPÖ-Regierung seiner Hoffnung auf eine bessere Kooperation mit dem Nachbarn Österreich Ausdruck. Der Premier hat nun hohe Erwartungen an die gemeinsame Arbeit mit Regierungschef Sebastian Kurz (ÖVP). Dies sei jedoch „nur eine einseitige Liebe, wie zu Donald Trump“, erklärte Kiszelly. „Man erhoffe sich viel, es werde aber nur wenig herauskommen“. Kurz werde die Visegrad-Gruppe als „Steigbügelhalter" benutzen und " auf unsere Kosten Politik machen, aber nicht mit uns“, sagte der Politologe. Mehr Hoffnungen würden auf FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und seine Partei gesetzt.

Quelle: Harriett Ferenczi/APA