Schatz der Bilingualität im stetigen Wandel
On demand | Rádio Dia:tón | 1.10.2018
ORF | yvonne strujic-erdost
Kittsee , Köpcsény, Gijeca, Kopčany. Der 3000 Seelen Ort trägt heute den Titel „größte Marillengemeinde Österreichs“. Marillenbäume, die sich, gemeinsam mit der geschichtlich gewachsenen Kulturenvielfalt ihrer Einwohner, hier verwurzelt haben.
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Rádio Dia:tón | 1.10.2018 | um 21:40 Uhr | Rádio Burgenland livestream
Im 16. Jahrhundert siedelten sich hier, wie in so vielen burgenländischen Dörfern, kroatische Bauern an. Kittsee wurde somit eine zweisprachige Gemeinde. Ein Jahrhundert später ließen sich unter dem Schutz des Fürsten Esterházy Juden, großteils aus dem heutigen slowakischen Gebiet, nieder. 1821 bildeten sie etwa die Hälfte der damaligen Bevölkerung.
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Während heute von beiden Kulturen nur noch wenig zu spüren ist, begegnet der Ort Kittsee nun einem neuen demographischen Prozess. In den vergangenen sechs Jahren wuchs die Gemeinde um rund eintausend Einwohner/innen an. Von den heute dreitausend Einwohner/innen sind mehr als ein Drittel aus der Slowakei hinzugezogen. Nun ist eine neue Sprache in die Ortschaft gelangt, die es gewöhnt ist, mehrsprachig zu existieren. Wie einst mit kroatisch und jiddisch.
Neben Wolfsthal und Berg gehört Kittsee zu den umliegenden Orten der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Ein bevorzugtes ländliches Zuzugsgebiet für slowakische Familien also, die vor allem ihren Kindern vielseitigere Zukunftschancen bieten wollen: „Die Lehrer sind alle deutschsprachig. Also bleibt der deutsche muttersprachliche Standard, trotz des hohen Anteils an slowakischen Schülern erhalten, was uns freut. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Es gibt hier auch muttersprachlichen Unterricht. Unser Sohn lernt also auch slowakisch lesen und schreiben, was großartig ist“, erzählt Robert Bača, Vater eines Erstklässlers.
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Der September ruft die Schüler wieder in die Schulbänke zurück. So ist auch in der in der Neuen Mittelschule in der burgenländischen Gemeinde Kittsee am 2. Schultag wieder reges Morgentreiben im Gange.
Was hier besonders ist: Von 131 Schülerinnen und Schülern sind etwa 70 mit nicht deutscher Muttersprache.
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Dieser Umstand verursacht Eltern von Kindern deutscher Muttersprache Bedenken und bereitet genauso den slowakischen Familien Kopfschmerzen. Der Kittseer Mittelschule schaut nicht weg und setzt sich mit einem sensiblen Engagement ein, die Sorge der Erziehungsberechtigten wettzumachen.
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Die Kittseer Mittelschule, die sich als UNESCO Einrichtung aktiv für Menschenrechte, für eine Kultur des Friedens einsetzt, führt die von Eltern geschätzte Direktorin Isabell Lichtenberger. „Unsere Pädagogen leisten großartige Arbeit. Das haben letztes Jahr unsere Bildungsstanardergebnisse gezeigt. Wir können locker mit allen AHS im Land mithalten. Wir haben super Ergebnisse erzielt und das obwohl wir so viele Kinder mit nicht deutscher Muttersprache haben. Das sagt sehr vieles“, so die Direktorin.
Bilingualer Kindergarten im burgenländischen Novo Selo feiert seinen langjährigen Fortbestand
Während Kittsee mit der neuen Sprache, dem Slowakisch, gehen lernt, steht die anerkannte Bilingualität der burgenlandkroatischen Gemeinde Novo Selo auf einem historisch bleichenden Gesetzespapier. Pädagogen/innen, sowie Ortsbewohner/innen pinseln jedoch ihre Muttersprache immer wieder aufs Neue nach.
Am Tag der offenen Tür zum 40. Jubiläum ihres Kindergartens feiern die Kinder gemeinsam mit ihrer Kindergärtnerin Christa Leonardelli. Das Burgenlandkroatisch hört man hier an diesem Tag aus jeder Ecke, ob gesungen, oder gesprochen.
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Seit der Eröffnung des Kindergartens ist Leiterin Leonardelli es, die mittlerweile schon zwei Generationen die ersten Lebensjahre begleitete.
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„Christa war immer hier. Christa ist ein Unikat. Ich war auch schon bei ihr im Kindergarten, aber noch im alten Gebäude. Das ist das Schöne, nun ist es ein Gebäude für die Vereine der Gemeinde, und wenn ich heute dort bin, sehe ich , wie es sich dort verändert hat, seit ich klein war. Aber Christa ist gleich geblieben. Wenn ich am Morgen reinkomme und zu meinen Kindern sage: ’Ja, die hatte ich auch als Kindergärtnerin. Die Kinder können es nicht glauben“, lächelt und erzählt auf burgenlandkroatisch Christas ehemaliges Kindergartenkind und Mutter Stefanie Kusztrich.
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An diesem Tag kann auch die Kindergartenleiterin Christa selbst einiges nicht ganz fassen. Die liebenswürdigen Überraschungen der Gemeinde würdigen auch ihren vorbildlichen Einsatz für den Zusammenhalt der kroatischen Volksgruppe im Burgenland.
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Auch in Novo Selo haben sich in den letzten Jahren einige Slowakische Familien niedergelassen. Die Sprachen sind ähnlich, weiß Christa Leonardelli, deshalb fühlt man sich dem Slowakischen auch hier im burgenlandkroatischen Dorf nahe.
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Selbstverständlich hüllt der Assimilationsdruck auf das Burgenlandkroatisch, die erfahrene Pädagogin in Sorge. Auch im Familienverband verdrängt Deutsch die Muttersprache einer alteingesessenen Minderheit: „Man muss aber stets sehr dahinter sein, dass die Muttersprache nicht verloren geht. Es wäre wirklich schade, wenn die Volksgruppen ihre Identität verlieren oder aufgeben. Jeder soll seine Kultur leben und stolz darauf sein: ‚So bin ich, das ist gut so und so möchte ich akzeptiert werden‘“.
Wie Beheimatung der neuen Kulturen und Sprachen einen Lebensraum grundlegend verändert, bleibt eine stetige Herausforderung, auch für die Direktorin der Neuen Mittelschule in Kittsee: „In der Bevölkerung wird es zum teil positiv zum Teil aber auch sehr kritisch mitverfolgt. Ich glaube, es geht einfach zu schnell und dauert sicher noch einege Jahre, bis es selbstverständlich geworden ist.“
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Während eine Volksgruppe für ihren Spracherhalt kämpft, bahnt sich eine weitere ihren Weg in die Region, begleitet von Sorgen und Hoffnungen. Dabei heben die Protagonisten aus Kitsee und Novo Selo vor allem die Sehnsucht nach einem hervor: Einer harmonischen kulturenfrohen Zukunft, voller Zuversicht und Mitgefühl.
Text auf Slowakisch | Kultúrná rozmanitost burgenlandských miest
Links
Neue Mittelschule Kittsee
Gemeinde Neudorf bei Parndorf | Novo Selo