„Frau Gertrudes“ Erinnerungsbuch präsentiert

Beobachter meinen, dass das Facebook-Video von „Frau Gertrude“, in dem sie die Jugend zum „vernünftigen Wählen“ aufrief und ihrer Besorgnis über rechte Kampfrhetorik Ausdruck verlieh, keinen geringen Anteil an der Wahl Alexander Van der Bellens zum Bundespräsidenten hatte.

In der Präsidentschaftskanzlei wurde gestern Abend ihr Buch „Gelebt, erlebt, überlebt“ präsentiert. In dem Buch erzählt die heute 90-jährige Wienerin, die als einzige ihrer Familie Auschwitz überlebt hat, der Journalistin Marlene Groihofer ihr Leben.

Journalistin Marlene Groihofer (L) und Holocaust-Überlebende Gertrude Pressburger "Frau Gertrude"

APA/Herbert Neubauer

Journalistin Marlene Groihofer (li) und Holocaust-Überlebende Gertrude Pressburger „Frau Gertrude“ (re)

Bundespräsident äußert „Riesen-Respekt“

„Von meiner Seite ist ein Riesen-Respekt da, dass eine Dame in ihrem Alter, die im Kopf vollkommen da ist, die Witz hat und einen scharfen Verstand, sich dann noch hinsetzt und gemeinsam mit ihrer neuen jungen Freundin dieses Buch macht. Das hat meine allerhöchste Wertschätzung und meinen vollen Respekt“, sagte der Bundespräsident, der gemeinsam mit seiner Gattin an der Veranstaltung teilnahm und Frau Pressburger Blumen überreichte, im Interview mit der APA.

Gertrude Pressburger: „Gelebt, erlebt, überlebt“. Aufgezeichnet von Marlene Groihofer, mit einem Nachwort von Oliver Rathkolb, Zsolnay, 208 Seiten, 19,60 Euro, ISBN 978-3-552-05890-3, ePUB-Format ISBN 978-3-552-05900-9

Wirkung des Video-Aufrufes

Den wahren Anteil des Video-Aufrufes am Wahlergebnis „werden wir nie so genau wissen, aber dass es einen Impact hatte, also eine Wirkung, und ganz besonders bei jungen und sehr jungen Leuten, davon bin ich überzeugt“, sagte Van der Bellen. Trotzdem wolle er das Zu-Verfügung-Stellen der Location nicht als Dankeschön verstanden wissen, „obwohl natürlich die Dankbarkeit von meiner Seite da ist. Aber ich wäre sehr froh gewesen, das Buch hier in der Hofburg präsentieren zu dürfen, auch wenn ich Frau Gertrude nicht vorher gekannt hätte.“ - „Das Buch ist lesenswert“, versicherte das Staatsoberhaupt auch in seiner kurzen Ansprache, bei der er freilich eingestand, erst zehn Seiten davon gelesen zu haben, „aber meine Frau Doris ist schon bei der Hälfte“.

Wichtiges Dokument

Verleger Herbert Ohrlinger wies darauf hin, dass Gertrude Pressburger „etwas erzählt, über das sie eigentlich nie erzählen wollte“. Das Buch sei „ein Dokument, das Bestand haben und auch von vielen gelesen werden wird“ - was umso wichtiger sei angesichts des „ewigen Dilemmas der antisemitischen Hetze, die heute wieder regierungsfähig geworden ist“. Moderator Günter Kaindlstorfer fragte Pressburger, was sie von der Wortmeldung des Salzburger Identitären-Chefs Edwin Hintsteiner halte, der angesichts von demonstrierenden „Omas gegen Rechts“ auf Twitter „Wenn man länger lebt, als man nützlich ist...“ gepostet habe. „Ich würde ihm wünschen, dass er nicht so lange lebt...“, antwortete die schlagfertige alte Dame, die zwar keine eigenen Enkel hat, die junge Journalistin Groihofer in langen Arbeitssitzungen und Gesprächen allerdings nicht nur ins Herz geschlossen, sondern quasi als Wahl-Enkelin adoptiert hat.

„Halt’s die Augen offen“

Zu einer Beurteilung der bisherigen Amtsführung Van der Bellens ließ sich Gertrude Pressburger vom Moderator freilich nicht verlocken: „Das ist sein Kaffee. Das geht mich nichts an. Ich bin keine Politikerin!“ Doch sie erneuerte die Botschaft ihres Videos. „Halt’s die Augen offen“, wolle sie den jungen Leuten ans Herz legen. „Hört hin, was einer sagt, und was es bedeutet.“ Auch Van der Bellen möchte in den Veranstaltungen zum Gedenkjahr „nicht als Oberlehrer auftreten“, wie er der APA sagte. „Aber wir müssen darauf achten, dass die Vorgeschichte von Auschwitz in den Köpfen ist. Denn Auschwitz wäre nie möglich gewesen, wenn nicht schon Jahre und Jahre vorher systematisch jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und anderen die Menschenwürde und alle Menschenrechte entzogen worden wäre. Davon bin ich überzeugt. Das müssen wir für heute lernen.“

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