Leere Campliegen für Migrantinnen und Migranten, die vor dem Einsatzzentrum "Hotspot“ auf der italienischen Insel Lampedusa zusammenkommen. Die kleine Insel verzeichnet in den letzten Tagen einen starken Anstieg an Migrantenbooten aus Nordafrika, so dass die Zahl mit 7.000 Menschen in etwa der Zahl der gesamten lokalen Bevölkerung entspricht. (14.9.2023)
ALESSANDRO SERRANO / AFP / picturedesk.com
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Flucht & Migration

Lampedusa ruft Notstand aus

Angesichts der hohen Zahl an ankommenden Migrantinnen und Migranten meldet die süditalienische Insel Lampedusa chaotische Zustände. 9.000 Menschen sind seit Montag auf der Insel gelandet, das ist fast um ein Drittel mehr als die Gesamtzahl der Einwohnerinnen und Einwohnern, die bei 6.300 liegt.

Der Stadtrat der Mittelmeerinsel hat am gestern Abend den Ausnahmezustand ausgerufen. Damit fordert Bürgermeister Filippo Mannino mehr Unterstützung für die kleine Insel, die unter „großem Druck“ stehe. „Wir fordern eine strukturelle Lösung, denn wir können diese Migrationsströme allein nicht mehr bewältigen“, sagte Mannino und drängt auf die sofortige Verlegung der Menschen nach Sizilien und aufs italienische Festland. Er forderte auch den Einsatz von Marineschiffen, die die Boote vor der Küste Lampedusas aufgreifen sollen, bevor sie die Insel erreichen können.

Die Flugaufnahme zeigt Migrantinnen und Migranten, die vor dem Einsatzzentrum "Hotspot“ auf der italienischen Insel Lampedusa zusammenkommen. Die kleine Insel verzeichnet in den letzten Tagen einen starken Anstieg an Migrantenbooten aus Nordafrika, so dass die Zahl mit 7.000 Menschen in etwa der Zahl der gesamten lokalen Bevölkerung entspricht. (14.9.2023)
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Luftaufnahme des Aufnahmezentrums „Hotspot“ auf der italienischen Insel Lampedusa

6.800 Personen befinden sich derzeit in der vom Roten Kreuz verwalteten Flüchtlingseinrichtung der Insel, die eigentlich für maximal 400 Personen ausgelegt wäre. Bei der Verteilung von Lebensmitteln kam es am gestern Abend zu chaotischen Zuständen. „Die Situation ist außer Kontrolle“, sagten Sicherheitsbeamten. Heute sollen 3.000 Menschen die Insel verlassen.

Salvini sieht „Kriegsakt“ gegen Italien

Der italienische Vizepremier und Verkehrsminister Matteo Salvini betrachtet die vielen ankommenden Migrantinnen und Migranten als „Kriegsakt“ gegen Italien. „Wenn 120 Boote zur gleichen Zeit auf Lampedusa ankommen, ist dies kein einzelner Vorfall, sondern ein Kriegsakt. Das führt nicht nur Lampedusa, sondern die gesamte italienische Gesellschaft zum Zusammenbruch“, so Salvini, Vorsitzender der rechten Regierungspartei Lega.

Der italienische Außenminister Antonio Tajani warnte indes, dass sich die Lage in den kommenden Monaten noch verschärfen könnte. „Italien muss auf europäischer Ebene unterstützt werden. Wir können nicht allein gelassen werden“, so Tajani heute in einem Interview mit der Mailänder Tageszeitung „Corriere della Sera“. „Europa allein ist nicht in der Lage, ein so großes Problem zu bewältigen, das nicht nur fast ganz Afrika betrifft, sondern auch den Zustrom über die Balkanroute. Deshalb haben wir die Vereinten Nationen und die G20 einbezogen“, so der Minister.

Migrantinnen und Migranten kommen vor dem Einsatzzentrum "Hotspot“ auf der italienischen Insel Lampedusa zusammen. Die kleine Insel verzeichnet in den letzten Tagen einen starken Anstieg an Migrantenbooten aus Nordafrika, so dass die Zahl mit 7.000 Menschen in etwa der Zahl der gesamten lokalen Bevölkerung entspricht. (14.9.2023)
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Migrantinnen und Migranten vor dem Aufnahmezentrum „Hotspot“ auf der italienischen Insel Lampedusa

Europäische Kommission im enge Kontakt mit Italien

Die Europäische Kommission steht in engem Kontakt mit den italienischen Behörden, erklärte eine Sprecherin der Behörde heute in Brüssel. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe engen Kontakt mit Meloni, und die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson werde später mit dem italienischen Innenminister Matteo Piantedosi telefonisch beraten, wie die EU Italien weiter helfen könne.

Derzeit seien rund 450 Mitarbeitende der EU-Asylagentur und von Frontex vor Ort im Einsatz. Auch finanziell werde Italien mit 14 Millionen Euro Nothilfe unterstützt. Das Geld soll helfen, die Flüchtenden zu versorgen und von der Insel zum Festland zu transportieren.

Karas: Solidarität gefordert

Vom ersten Vizepräsidenten des Europaparlaments Othmar Karas hieß es auf APA-Anfrage, dass angesichts der Ausrufung des Notstands auf Lampedusa kurzfristig „unsere Solidarität gefordert“ sei. „Das ist nicht nur humanitär geboten, sondern auch im Interesse aller Staaten wie Österreich, die nach wie vor sehr viel bei der Aufnahme von Flüchtlingen leisten. Man kommt so auch der unkontrollierten Weiterreise zuvor.“

Gleichzeitig brauche es „einen Turbo bei der Finalisierung des Asyl-und Migrationspakts: Es braucht dringend einheitliche EU-Asylverfahren an und vor den Außengrenzen der EU. Zudem braucht es ein funktionierendes Grenzmanagement, das aber immer den Grund- und Menschenrechten verpflichtet bleibt“.

Überwachung auf dem Brenner intensiviert

Auch aus dem Innenministerium hieß es heute, man stehe mit den italienischen Behörden in Kontakt: „Wir werden über die Situation informiert.“ Zugleich würde die Überwachung auf dem Brenner intensiviert. Expertinnen und Experten gehen aber davon aus, dass die meisten Menschen in Italien bleiben oder nach Frankreich weiterreisen. Für Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) steht fest, dass „die EU-Kommission bei der Bekämpfung von Schlepperkriminalität und Asylmissbrauch noch konsequenter, strenger und schneller werden muss.“

Grüne für faire Verteilung und Solidarität

Die Sprecherin der Grünen für Außenpolitik, Migration und Menschenrechte, Ewa Ernst-Dziedzic, fordert gegenüber der APA „endlich faire Verteilquoten auf alle Mitgliedsstaaten und mehr Solidarität“. Es brauche „legale und sichere Fluchtrouten, auch um zukünftige Tragödien zu verhindern“, so Ernst-Dziedzic. „Eines muss uns klar sein: Flucht von Menschen aus Staaten, die von Krieg, Putsch, Perspektivlosigkeit oder Klimawandel stark betroffen sind, wird zunehmen, wenn wir die Wurzeln der Vertreibung nicht konkret bekämpfen und dafür die internationale Zusammenarbeit verstärken.“

NEOS fordern legale Fluchtwege und schnellere Verfahren

Kritik an der heimischen Bundesregierung formuliert die Sprecherin für Inneres, Asyl und Migration der NEOS, Stephanie Krisper: Das derzeitige Asylsystem funktioniere nicht, die Regierung müsse „endlich Lösungen vorantreiben“. Dazu zählt Krisper "legale Fluchtwege, schnellere Verfahren an den Außengrenzen, die Umsetzung einer Residenzpflicht und Rückführungsabkommen, damit Menschen, die Schutz brauchen, in Europa und in Österreich Schutz bekommen, und jene, die keinen Schutz brauchen, konsequent und rasch wieder abgeschoben werden“.

Deutschland stoppt Aufnahme von Migranten aus Italien

Erst gestern hat Deutschland die Aufnahme von Migrantinnen und Migranten aus Italien im Rahmen des „freiwilligen Solidaritätsmechanismus“ gestoppt. Hintergrund der Aussetzung sei die anhaltende Weigerung Italiens, sogenannte Dublin-Überstellungen aus Deutschland zu ermöglichen. Nach dem geltenden EU-Asylrecht sollen Asylsuchende, die unerlaubt in einen anderen Mitgliedstaat weiterziehen, in der Regel wieder in den Erst-Einreisestaat zurückgebracht werden. Das funktioniert ohnehin selten, seit einem dreiviertel Jahr blockiert Italien aber vollständig.

Morgen soll ein Sondertreffen im Rahmen der EU-Solidaritätsplattform stattfinden. Auf dieser können sich die Mitgliedstaaten über ihre Aufnahmekapazitäten austauschen. Die Solidarität müsse sichergestellt sein, betonte eine Sprecherin der Europäischen Kommission.