Klemens Wihlidal und das Modell des Siegerentwurfs zum Lueger-Denkmal im Rahmen einer Präsentation zum Thema „Siegerentwurf des Wettbewerbs zur permanenten künstlerischen Kontextualisierung des Lueger-Denkmals“ in Wien (31.5.2023)
GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com
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Stadt Wien

Lueger-Denkmal wird um 3,5 Grad gekippt

Erst vor wenigen Tagen ist das Lueger-Denkmal in Wien erneut mit Farbe überschüttet worden. Heute hat die Stadt die künftige künstlerische Kontextualisierung der Statue, die an den wegen seines Antisemitismus umstrittenen Wiener Bürgermeister Karl Lueger (1844-1910) erinnert, präsentiert.

Das Denkmal wird um 3,5 Grad gekippt. Damit setzte sich Klemens Wihlidal mit seinem Entwurf „Schieflage (Karl Lueger 3,5 Grad)“ beim Kunstwettbewerb durch.

Entscheidung für Kontextualisierung

Schon seit Jahren sorgt das Lueger-Denkmal für Diskussionen und wurde in dieser Zeit auch immer wieder zum Ziel von Vandalismus. Entsprechend sei die Frage, „wie eine Stadt mit problematischen Orten“ umgeht, betonte Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) bei der Präsentation. Nach einem langen Prozess, an dem die unterschiedlichsten Stakeholder teilnahmen, habe man sich letztlich für die Kontextualisierung entschieden. „Ich möchte nicht, dass aufgehört wird, über Lueger und seine Folgen, den Populismus und den politischen Antisemitismus nachzudenken.“ Nur so könnten auch künftige Generationen sich mit dieser Geschichte auseinandersetzen. „Über Leerstellen kann man nicht sprechen“, erteilte sie einer Entfernung des Denkmals eine Absage.

Klemens Wihlidal und StR. Veronica Kaup-Hasler im Rahmen einer Präsentation zum Thema „Siegerentwurf des Wettbewerbs zur permanenten künstlerischen Kontextualisierung des Lueger-Denkmals“ in Wien (31.5.2023)
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„Anspruch auf Monumentalität gebrochen“

Im Herbst des Vorjahres wurde schließlich der Wettbewerb gestartet, zu dem 13 Künstlerinnen und Künstler geladen wurden. Die Jury, der Eva-Maria Stadler von der Universität für angewandte Kunst Wien vorstand, entschied sich schließlich für Wihlidal. „Er verwandelt das Denkmal in eine Störung im öffentlichen Raum“, begründete sie die Entscheidung, die sie als „Fest der Demokratie“ bezeichnete. Um 3,5 Grad geneigt, verliere das Denkmal „optisch die Balance“. Letztlich werde durch die Schieflage „der Anspruch auf Monumentalität gebrochen“, wobei sich diese Intervention auch ohne Vorinformation erschließe. Gleichzeitig soll aber die derzeit vor Ort befindliche Informationstafel überarbeitet und erweitert werden. Eine Umsetzung ist für 2024 geplant.

Ein Modell des Siegerentwurfs zum Lueger-Denkmal im Rahmen einer Präsentation zum Thema „Siegerentwurf des Wettbewerbs zur permanenten künstlerischen Kontextualisierung des Lueger-Denkmals“ in Wien (31.5.2023)
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Wihlidals Vorhaben nicht neu

Neu ist Wihlidals Vorhaben jedenfalls nicht, ging dieses doch bereits 2010 aus einem von der Angewandten initiierten „Open Call“ für eine Umgestaltung des Denkmals als Sieger hervor. Damals wäre eine Umsetzung aber noch nicht möglich gewesen, gab Kaup-Hasler angesichts der seitdem geführten Diskussion zu bedenken. Es wäre eine „autokratische Geste“ seitens der Stadt gewesen. Der Wiener Künstler (Jahrgang 1982) selbst zeigte sich ob der Auswahl seines Entwurfs etwas überrascht. „Der Juryentscheid ist noch sehr frisch und einigermaßen unerwartet.“ Die Schieflage von 3,5 Grad habe er deshalb gewählt, „weil es für mich der erste Moment war, an dem ich eine Irritation erfahre“. Er sei jedenfalls der Meinung, dass das Denkmal „als Originalquelle und Ort der Begegnung mit dem Thema“ bestehen bleiben soll.

Diskussion am Laufen halten

Dass mit der nun erfolgten Entscheidung alle Diskussionen vorbei sind, glaubt Kaup-Hasler keineswegs. „Wenn Kunst zu einem hundertprozentigen Konsens aller führt, ist sie entweder keine Kunst oder nicht gut.“ Es werde immer Befürworter und Gegner geben. Viel wichtiger sei hingegen, die Diskussion am Laufen zu halten. „Ich bestehe darauf, dass wir auch Denkräume öffnen und Horizonte des Denkens erweitern und zu einer nicht endenwollenden Diskussion beitragen.“ Sie möchte jedenfalls „keine aseptische Stadt, die geschichtsbereinigt oder clean ist“.

Detailplanungen folgen

In einem nächsten Schritt geht es nun um die Detailplanungen, müsste doch der Sockel verstärkt werden, um die Schräglage möglich zu machen, wie Martina Taig von KÖR Kunst im öffentlichen Raum Wien erklärte. Dabei werde auch das Bundesdenkmalamt hinzugezogen. Insgesamt sind für die Umsetzung 500.000 Euro veranschlagt. Die derzeit vor Ort befindliche Installation „Lueger temporär“ von Nicole Six und Paul Petritsch, die mittels einer 39 Meter langen, fünf Meter breiten und elf Meter hohen Holzkonstruktion im Stadtbild gefundene Artefakte der Lueger-Würdigung versammelt, soll noch bis Herbst zu sehen sein – vorausgesetzt, man benötige den Platz nicht schon früher für den Abbau des Denkmals, das komplett gereinigt werden soll.

Mit Aktionen wie Beschmierungen „gelassen umgehen“

Was künftige Beschmierungen des Denkmals betrifft, so zeigte sich zumindest Wihlidal pragmatisch. „Es wird nun gereinigt und dann wieder neu aufgebaut. Danach bleibt die Diskussion, wie es weitergeht, erhalten. Es wird wieder zur Verfügung stehen.“ Die Stadt selbst werde mit solchen Aktionen „gelassen umgehen“, so Kaup-Hasler, „so wie wir es auch in den letzten Jahren gemacht haben“. Man werde sehen, wie die Öffentlichkeit mit dem Denkmal umgeht, wenn es in neuer Form zu sehen ist. Die weiteren Wettbewerbsentwürfe werden von 19. bis 23. Juni in der Wiener Planungswerkstatt ausgestellt.

Für LICRA Projekt gescheitert

Sehr kritisch beurteilte Benjamin Kaufmann von der Internationalen Liga gegen Rassismus und Antisemitismus in Österreich (LICRA) die getroffene Entscheidung. „Der prämierte Entwurf positioniert sich nicht gegen Luegers Antisemitismus, und aus meiner Sicht wird auch keine Brechung der Ehrung Luegers vollzogen“, sagte er der APA. Beides sei das „eindeutige Ziel“ des Wettbewerbs gewesen. „Ich sehe nicht, wie dieser minimale Eingriff dazu führen wird, dass sich Identitäre und solche, die rechts von ihnen stehen, weiter dort versammeln.“ Damit sei das ganze Projekt gescheitert. Bis zur für 2024 geplanten Umsetzung sei aber noch sehr viel Zeit. „Ich erwarte, dass das, was heute präsentiert wurde, in der Öffentlichkeit sehr kritisch besprochen wird.“

JöH sieht „Schlag ins Gesicht für die Betroffenen“

In eine ähnliche Kerbe schlugen die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JöH). „Die permanente Kontextualisierung ist ein Schlag ins Gesicht für die Betroffenen von Antisemitismus“, hielt JöH-Präsidentin Victoria Borochov in einer Aussendung fest. „Die klaren Forderungen von jüdischen Verbänden und Shoah-Überlebenden nach Entfernung, Umbenennung und Umwidmung wurden abermals missachtet. Mit der mutlosen Lösung der minimalen Schiefstellung hat die Stadt Wien eine weitere Chance vertan, den Antisemitismus Luegers klar zu thematisieren.“

„Zeitgemäß und mutig ist anders“

„Zeitgemäß und mutig ist anders“, konstatierte Ursula Berner, Kultursprecherin der Wiener Grünen. Dass man nun einen über zehn Jahre alten Vorschlag ausgewählt habe, sei „mehr als nur schwach“. „Die Debatte im Umgang mit Denkmälern hat sich inzwischen weiterentwickelt. Wie kann man auf die Idee kommen, dass zehn Jahre Forschung, zehn Jahre öffentlicher Diskurs und zehn Jahre gesellschaftliche Entwicklung ohne jede Auswirkung sind?“ Die Wiener ÖVP hingegen begrüßte das Vorgehen. „Ein gereinigtes und ein – im Sinne der Kontextualisierung – adaptiertes Denkmal kann auch richtungsweisend für andere Denkmäler in der Stadt sein“, hieß es in einer Aussendung.