Mögliche Schließung von Schulen, leeres Klassenzimmer, aufgrund Coronavirus aufgenommen am 11. März 2020 in Wien.
HANS PUNZ / APA / picturedesk.com
HANS PUNZ / APA / picturedesk.com
Diskriminierung

Rufe nach Reform bei persönlicher Assistenz von SchülerInnen

Nach dem Entscheid des Handelsgerichts Wien, wonach Österreich aufgrund der Einschränkung von persönlicher Assistenz auf Schülerinnen und Schüler mit körperlicher Behinderung bzw. eine bestimmte Pflegestufe andere Kinder und Jugendliche diskriminiert, wurden nun Rufe nach umgehender Beendigung der Diskriminierung laut.

Das Bildungsministerium hat bereits Änderungen avisiert. Wie bereits gestern Abend bekannt wurde, stellte das Handelsgericht nach einer Verbandsklage erstinstanzlich konkret eine Diskriminierung nach dem Behindertengleichstellungsgesetz fest. So werden Assistenzen derzeit etwa nicht bei Autismus-Spektrum-Störungen genehmigt.

Diskriminierung „unverzüglich“ beenden

Das Behindertenberatungszentrum BIZEPS forderte heute das Bildungsministerium auf, diese Diskriminierung „unverzüglich zu beenden“. „Das Vorenthalten von ausreichend Persönlicher Assistenz für Schüler:innen mit Behinderungen ist eine Diskriminierung“, sagte BIZEPS-Obmann Martin Ladstätter in einer Aussendung. Auch zeigte er sich stolz, dass man mit dem BIZEPS-Rechtsfonds „einen wesentlichen Beitrag zur Ermöglichung dieser Verbandsklage“ geleistet habe.

Nicht „Luxus“, sondern „Notwendigkeit“

Erfreut über das Urteil zeigte sich auch der Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich (BSVÖ), der die Verbandsklage seit der Einbringung im Juli 2021 unterstützt. „Auch sinnesbehinderte Personen haben das Recht auf Chancengleichheit in der Bildung. Manchmal kann diese Chancengleichheit nur mit Persönlicher Assistenz ermöglicht werden. Es handelt sich dabei also nicht um Luxus, sondern um eine Notwendigkeit“, sagte dazu BSVÖ-Präsident Markus Wolf.

Verstoß gegen UN-Konvention

Auch der Unabhängige Monitoringausschuss, der in Österreich die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention überwacht, begrüßte das „richtungsweisende“ Verbandsklage-Urteil „außerordentlich“. Die festgestellte Diskriminierung verstoße klar gegen die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Recht auf Schutz und Fürsorge

Die Kinder- und Jugendanwaltschaft verwies darauf, dass Österreich die UN-Kinderrechtskonvention sowie die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert hat. Auch laut Bundesverfassung habe jedes Kind mit Behinderung das Recht auf den Schutz und die Fürsorge, die seinen persönlichen Bedürfnissen entsprechen. „Es ist sehr zu begrüßen, dass das Gericht dieser in der Verfassung verankerten Verpflichtung Rechnung getragen hat“, so die Anwaltschaft. Gleiche Zugangsmöglichkeiten für alle Kinder mit Behinderung forderte heute auch Jasna Puškarić, die geschäftsführende Vorständin der WAG Assistenzgenossenschaft.

„Wichtiger Schritt in Richtung schulischer Inklusion“

"Als wichtigen Schritt in Richtung schulische Inklusion“ begrüßten auch die Grünen die Gerichtsentscheidung. „Wir freuen uns über diese klare Aussage“, sagt Heike Grebien, Sprecherin für Menschen mit Behinderungen. Auch NEOS-Behindertensprecherin Fiona Fiedler zeigte sich erfreut: „Kein Mensch hat gerne persönliche Assistenz, aber Menschen mit Behinderungen brauchen sie, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Wenn wir hier Unterschiede machen, diskriminieren wir höchstgradig.“

Urteil soll rasch umgesetzt werden

Der Klagsverband hatte in seiner Klage argumentiert, dass im Gegensatz zu Schülerinnen und Schülern mit körperlicher Behinderung viele Kinder und Jugendliche mit anderen Behinderungen – darunter solche im Autismus-Spektrum oder mit Sinnesbehinderung – keinen Zugang zu Schulbildung an Bundesschulen (v.a. AHS, BHS) haben, weil ihnen die dafür nötige persönliche Assistenz nicht zur Verfügung gestellt wird. Deshalb müssten sie oft etwa auf eine Sonderschule ausweichen. Grundlage für eine Entscheidung über die Gewährung ist ein Rundschreiben des Bildungsministeriums: In diesem wird festgehalten, dass nur Schülerinnen und Schüler mit körperlicher Behinderung ab Pflegestufe 5 (in Ausnahmefällen ab Pflegestufe 3) Unterstützung durch persönliche Assistenz während des Unterrichts erhalten können. Im Ministerium erklärte man bereits gestern auf APA-Anfrage, dass man das Urteil rasch umsetzen und das fragliche Rundschreiben entsprechend anpassen werde.