Medienprojekt „Claus-Tandems“ – Mentor*innen auf journalistischer Reise in Südtirol; im Bild: (vlnr.): Journalist*innen Konstantin Vlasich, Adriana Jurić, Samuel Mago, Timna Katz, Ana Grilc  & Günther Rautz von Eurac Research
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Claus-Tandems

Auf den Spuren von Claus Gatterer in Südtirol

Die journalistischen Expertinnen und Experten des interkulturellen Medienprojekts „Claus-Tandems“ lernen Südtirol kennen und treffen Akteurinnen und Akteuren aus den unterschiedlichsten Bereichen.

Zum ersten Mal über den Brenner hieß es für Adriana Jurić und Samuel Mago – beide von der ORF-Minderheitenredaktion, Ana Grilc für die kärntner-slowenische Wochenzeitung „Novice“, Timna Katz für die „Kleine Zeitung“ und Konstantin Vlasich für das burgenlandkroatische Online-Magazin „Novi Glas“. Die Runde der fünf Journalistinnen und Journalisten fuhr nach Südtirol mit dem Ziel, Österreichs deutschsprachige Minderheit, die Südtirolerinnen und Südtiroler, aus erster Hand kennenzulernen und im Sinne des gebürtigen Südtirolers und ORF-Journalisten Claus Gatterer den Blick auf wenig beachtete und soziale Themen zu richten. Mit 20 Interviews im Gepäck werden sie nach ihrer zweitägigen Reise Ende März nun ihre Erkenntnisse in Berichte einfließen lassen.

Wirken der Vereinigten Bühnen Bozen

Das erste Treffen führte in die Vereinigten Bühnen Bozen, wo im Interview mit der scheidenden Intendantin Irene Girkinger klar wurde, welch bedeutende Spuren sie in ihrer Schaffensperiode im Land hinterlassen hat. Im Stück „Bombenjahre“ bearbeitete das Theater mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie dem Publikum traumatische Ereignisse in der Südtiroler Geschichte. Auf Girkinger, die nun Intendantin des Landestheaters Innsbruck wird, folgt Rudolf Frey – auch ein Österreicher –, der sich vor allem Diversität auf die Fahnen geschrieben hat. Im Mai soll mit der Inszenierung der „Rocky Horror Picture Show“ in Bozen personell wie programmatisch Diversität seh– und hörbar gemacht werden. Frey, der ab der Spielzeit 2023/2024 das Theater leitet, ist überzeugt davon, dass es in Südtirol sowohl in Bezug auf die Genderfrage als auch hinsichtlich der Sichtbarkeit von PoC – People of Color – großen Nachholbedarf gibt, und das nicht nur im Theater.

Medienprojekt „Claus-Tandems“ – Mentor*innen auf journalistischer Reise in Südtirol; im Bild: angehender Intendant Rudolf Frey von den Vereinigten Bühnen Bozen (m) mit Tamina Katz (l) für die „Kleine Zeitung“ und Ana Grilc (r)  für die „Novice“
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Minderheit der Sintizze und Sinti in Bozen

Von den Vereinigten Bühnen zur Gesellschaft für bedrohte Völker ist es in Bozen nur ein Katzensprung. Der ehemalige RAI-Chefredakteur Wolfgang Mayr und Mauro di Vieste erzählen von der Situation der Südtiroler Sintizze und Sinti. Einer Interviewanfrage bei einer bekannten Sinti-Familie in Bozen wurde eine Absage erteilt, da das Misstrauen zu groß sei. Mauro di Vieste springt ein und berichtet von der Situation in der sogenannten „Spaghettata“, dem Platz unter einem Autobahnkreuz, in dem die Bozner Sintizze und Sinti – allesamt autochthone Minderheit und seit Jahrhunderten in Südtirol zu Hause – nach dem Brand im Roma-Lager Süd vom Land verlegt wurden. Man habe die Sinti jetzt in Wohnungen untergebracht, nur eine Familie sei noch in der „Spaghettata“, so di Vieste.

Medienprojekt „Claus-Tandems“ – Mentor*innen auf journalistischer Reise in Südtirol; im Bild: Wolfgang Mayr von der Gesellschaft für bedrohte Völker Südtirol, Samuel Mago, Konstantin Vlasich, Ana Grilc
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Kompatscher zur Situation von Sintizze und Sinti

Im Interview mit dem Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher wird das Thema der Sintizze und Sinti noch einmal aufgeworfen, was ihm einen tiefen Seufzer entlockt. Dies sei einer der problematischsten Situationen im Land, meint Kompatscher, und immer, wenn er meint zu glauben, die Mühe habe sich gelohnt und es ginge einen Schritt weiter, finde sich jemand, der den Fortschritt blockiert. Der Südtiroler Landeshauptmann beteuert nicht aufgeben zu wollen und erklärt die Verbundenheit zu den österreichischen Minderheiten.

Medienprojekt „Claus-Tandems“ – Mentor*innen auf journalistischer Reise in Südtirol; im Bild: (vlnr.): Journalist*innen Adriana Jurić, Samuel Mago, Timna Katz, Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher, Ana Grilc, Konstantin Vlasich
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Mächtige Zeitung „Dolomiten“

Im Industriezentrum von Bozen liegt das große Medienhaus Südtirols, die „Athesia“. In der Redaktion der Zeitung „Dolomiten“ empfängt Chefredakteur Toni Ebner die österreichischen Kolleginnen zum Gespräch und erklärt ihnen die Geschichte der Südtiroler Volkspartei in ständiger Wechselwirkung mit der Zeitung. Von den 520.000 Einwohnerinnen und Einwohnern Südtirols lesen laut Untersuchung 248.000 täglich die „Dolomiten“ und der Athesia-Konzern beherrscht über 80 Prozent des Medien- und Anzeigenmarktes. Die Tageszeitung erhält mit 6,3 Millionen Euro auch die größte öffentliche Förderung in Italien. Toni Ebner sieht in der Vormachstellung seiner Zeitung „Dolomiten“ kein Problem, sondern die Früchte harter Arbeit.

Medienprojekt „Claus-Tandems“ – Mentor*innen auf journalistischer Reise in Südtirol; im Bild: (vlnr vorne): Sabina Zwitter & Adriana Jurić, Toni Ebner und Hatto Schmidt von den „Dolomiten“ (hinten)
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Streit der Medien

Im Folgegespräch mit der Redaktion des zweisprachigen Onlineportals „Salto“ wird die Situation gänzlich anders bewertet: Die „Athesia“ überschütte derzeit „Salto“ mit Klagen und Chefredakteur Christoph Franceschini werde „mediales Stalking“ und „verleumderische Unterstellung in Absprache mit politischen Parteien“ vorgeworfen. Beim vergleichsweise kleinen Onlineportal „Salto“ – mit rund 30.000 Userinnen und Usern – ortet man den Versuch, das Magazin einschüchtern zu wollen und spricht dabei von SLAPP (Strategic Law­suit against Public Participation), also von strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung. Mit diesem Begriff wird eine rechtsmissbräuchliche Form von Klagen bezeichnet, mit dem Ziel, kritische Gegnerinnen und Gegner durch Klagen verstummen zu lassen. Über diesen Streit zwischen den Medienmachern haben Anfang März sowohl die deutsche FAZ als auch die Tageszeitung „Der Standard“ berichtet und in Letzterer wurde die Auseinandersetzung mit der Bibelgeschichte von David und Goliath verglichen.

Medienprojekt „Claus-Tandems“ – Mentor*innen auf journalistischer Reise in Südtirol; im Bild: (vlnr.): Journalist*innen Adriana Jurić, Samuel Mago, Landesrat Philipp Achammer, Ana Grilc,  Timna Katz, Konstantin Vlasich
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Organisation des Südtiroler Schulwesens

Der nächste Weg führt die Gruppe in die Andreas-Hofer- Straße, ins Landhaus, wo die Journalistinnen und Journalisten den Landesrat für Bildung und Kultur Philipp Achammer mit der Schulfrage konfrontieren. Wozu braucht es in Südtirol ein sprachlich getrenntes Schulwesen und wie gehe das Land mit Migration im Schulwesen um? Achammer erklärt, dass es immer besser um die Zweisprachigkeit der Schülerinnen und Schüler bestellt sei, so diese sich dafür entscheiden. Schülerinnen und Schüler sollten individuell gefördert werden und es stehe eine Aufstockung des Lehrpersonals an den Schulen Südtirols kurz bevor, so Achammer, der auch Obmann der Südtiroler Volkspartei (SVP) ist.

Vorbildhaftes Autonomiemodell

Im backsteinroten, zeitlos schicken Gebäude des renommierten Forschungszentrums „Eurac Research“ treffen die Journalistinnen und Journalisten auf den Leiter des Instituts für Minderheitenrecht, den aus Kärnten stammenden Rechtswissenschafter und Philosophen Günther Rautz. Er berichtet von aktuellen Kooperationen Südtirols mit Minderheiten auf der ganzen Welt. Selbst der Dalai Lama habe sich schon öfters über das Südtiroler Autonomiemodell vor Ort informiert. In Richtung Österreich meint der Minderheitenexperte, dass die Politik mit zweierlei Maß messe: Während man sich für die Südtirolerinnen und Südtiroler auch international immer engagiert habe, setzte man für die Volksgruppen im eigenen Land nicht einmal die staatsvertraglich verbrieften Rechte um. Auch bei der Erfüllung des aktuellen Regierungsprogrammes in Minderheitenfragen sei man im Verzug: Das könne sich in dieser Legislaturperiode nicht mehr ausgehen, ist Rautz überzeugt.

Medienprojekt „Claus-Tandems“ – Mentor*innen auf journalistischer Reise in Südtirol; im Bild: Günther Rautz von Eurac Research
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Bedeutung von Sprachforschung

Andrea Abel, Sprachwissenschafterin und Leiterin des Instituts für Angewandte Sprachforschung von „Eurac Research“ erklärt, dass jede Passage aus jedem Gesetz gleichwertig aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzt werden müsse. Man arbeite täglich daran, dass z.B. italienische Bundesgesetze richtig auf deutsch übersetzt werden und so in die Südtiroler Legislative übernommen werden können. Die Journalistinnen und Journalisten erfahren auch von unterschiedlichen Minderheitenvereinigung, die von Südtirol aus betrieben werden, wie zum Beispiel MIDAS, die Vereinigung der europäischen Tageszeitungen in Minderheiten- und Regionalsprachen, mit Sitz am „Eurac Research“. Marc Röggla erklärt, dass die Vereinigung vor allem für unterdrückte Minderheiten wichtig sei, denn man zeige Solidarität und Zusammenhalt, wenn Sprache und Kultur von Nationalstaaten unterdrückt werden.

Medienprojekt „Claus-Tandems“ – Mentor*innen auf journalistischer Reise in Südtirol; Ana Grilc im Interview mit Andrea Abel von Eurac Research
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Ladinerinnen & Ladiner: Die dritte Sprachgruppe

Terminglück hatte die Gruppe im Rahmen ihres Besuches am „Eurac Research“, da gerade die Jahresversammlung der Ladinerinnen und Ladiner, Südtirols dritter Sprachgruppe, dort stattfand. So konnte in einem spontanen Treffen der Minderheitenvertreter Leander Moroder die neue Sprach-App, die von deutsch und italienisch ins Ladinische übersetzt, vorstellen. Der ladinische Abgeordnete und Vizelandeshauptmann von Südtirol, Daniel Alfreider (SVP), erklärte das ladinische Schulwesen, welches im Gegensatz zum Rest des Landes zweisprachig – italienisch-deutsch mit ladinischen Sprachunterricht – gehalten wird. Das Schulmodell wurde mit Vertreterinnen und Vertretern des zweisprachigen Schulwesens in Südkärnten entwickelt.

„Don Quijote“ auf deutsch und … litauisch

Der Abend gehört dem Theater: „Don Quijote" – die Geschichte vom Mann von La Mancha“ wird an den Vereinigten Bühnen Bozen zweisprachig gespielt – auf deutsch und auf litauisch – und angelehnt an die italienische Commedia dell’arte. Nicht das Einzige, dass es in der Form nur in Südtirol gibt.

Es folgen weitere Berichte über die Südtirol-Reise der Journalistinnen und Journalisten, die als Mentorinnen und Mentoren im Rahmen des Medienprojekts „Claus-Tandems“ fungieren.