Container im Hafen von Los Angeles in San Pedro, Kalifornien (5.8.2021)
FREDERIC J. BROWN / AFP / picturedesk.com
FREDERIC J. BROWN / AFP / picturedesk.com
EU-Kommission

Position zu Lieferkettengesetz soll festgelegt werden

Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) und seine EU-Kolleginnen und Kollegen wollen morgen in Brüssel eine gemeinsame Position zum sogenannten Lieferkettengesetz festlegen.

Um zu verhindern, dass zur Gewinnmaximierung gegen Menschenrechte oder auch Umweltstandards verstoßen wird, sollen große europäische Unternehmen nach Vorstellung der EU-Kommission künftig Produktionsbedingungen ihrer weltweiten Lieferketten ins Visier nehmen. Vor der Abstimmung gab es bereits zahlreiche Appelle.

AK erwartet „klares Ja“ zum Lieferkettengesetz

„Die Ausbeutung von Arbeitnehmer:innen und die Zerstörung der Umwelt in globalen Lieferketten muss endlich ein Ende haben. Ich erwarte mir von Ihnen ein klares Ja zum EU-Lieferkettengesetz“, sagte Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl laut Aussendung in Richtung Kocher. Zudem solle er sich für eine „starke Regelung“, die Unternehmen aus allen Wirtschaftsbereichen, einschließlich des Finanzsektors, erfasst, einsetzen.

ÖGB gegen „Verwässerungstaktik der Wirtschaft“

ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian erklärte in einer Mitteilung, der Druck der Wirtschaftslobby und einiger Mitgliedstaaten – allen voran Frankreich – scheint groß zu sein. Demnach soll die Reichweite der Lieferkette eingeschränkt und der Finanzsektor vom Gesetzesvorschlag ausgenommen werden, warnte er. „Dieser Verwässerungstaktik der Wirtschaft muss eine klare Absage erteilt werden“, appellierte Katzian an Kocher.

GLOBAL 2000: „Chance auf einen Paradigmenwechsel“

Für die Umweltorganisation GLOBAL 2000 bietet das Lieferkettengesetz eine „Chance auf einen Paradigmenwechsel“. Künftig würden „endlich auch die großen Konzerne in die Pflicht genommen werden“, heißt es in einer Aussendung. Allerdings erklärte GLOBAL 2000 auch, dass ohne zivile Haftung für Umweltverschmutzung in der gesamten Lieferkette das Gesetz „zahnlos“ sei. Die Organisation verwies auf einen offenen Brief mit Forderungen von 50 zivilgesellschaftlichen Organisationen an Kocher.

„Dem Lobby-Druck“ standhalten

Das Bündnis „Kinderarbeit stoppen“ fordert von der Bundesregierung, „dem Lobby-Druck standzuhalten und sich für ein Lieferkettengesetz stark zu machen, das Menschen und Umwelt wirksam schützt“, so Sigrid Kickingereder, Geschäftsführerin der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar, laut Aussendung. Das Bündnis warnt vor „faulen Kompromissen“ in letzter Minute.

NGOs warnen vor „massiven Abschwächungen“

Auch die entwicklungspolitische Organisation Südwind und das Netzwerk Soziale Verantwortung warnen in einer Mitteilung vor „massiven Abschwächungen“. Minister Kocher dürfe dem Druck der Industrielobbyisten nicht nachgeben, „sondern muss mit dem EU-Lieferkettengesetz beweisen, dass er für eine nachhaltige Wirtschaftspolitik der Zukunft steht“, appelliert Bettina Rosenberger, Koordinatorin der Kampagne „Menschenrechte brauchen Gesetze!“.

WKÖ sieht Europas Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel

Nach Ansicht des Generalsekretärs der Wirtschaftskammer, Karlheinz Kopf, steht unterdessen Europas Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel. „Gerade jetzt, angesichts der angespannten Situation am Energiemarkt, darf die Ausgestaltung gewisser Maßnahmen wie dem Lieferkettengesetz nicht dazu führen, dass Europa als Wirtschaftsstandort im globalen Umfeld gefährdet wird“, betonte Kopf laut Aussendung. „Ein europäischer Betrieb kann gar nicht die ganze Wertschöpfungskette kontrollieren, das wäre absurd.“

Zustimmung von mindestens 15 Mitgliedsstaaten

Ob es morgen zu einer gemeinsamen Position der EU-Staaten kommt, ist fraglich. Umstritten ist dem Vernehmen nach weiterhin, welche Unternehmen in den Anwendungsbereich fallen sollen und ob der Finanzsektor miteinbezogen wird. Für eine Einigung braucht es die Zustimmung von mindestens 15 der 27 Mitgliedsstaaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.

Menschenrechte und Umweltschutz

Mit dem geplanten EU-Lieferkettengesetz soll der Auslagerung von Arbeit an Billiglohnländer Rechnung getragen werden. Neben den Menschenrechten ist der Umweltschutz der zweite wichtige Aspekt – denn nur allzu oft landen die unter fragwürdigen Bedingungen hergestellten Produkte am Ende ihres Produktzyklus als Sondermüll in armen Ländern. Unternehmen sollen dazu verpflichtet werden, die Einhaltung bestimmter Mindeststandards bei den Arbeitsbedingungen, im Umweltschutz und in der Korruptionsbekämpfung entlang ihrer gesamten Lieferkette zu überprüfen. Verstöße sollen sanktioniert und Produkte, die mit Zwangs- oder Kinderarbeit in Verbindung gebracht werden, sollen verboten werden.

Regelungen für rund 13.000 Firmen in der EU

Geplant sind Regelungen, die dann für etwa 13.000 Firmen in der EU gelten würden. Erfasst sind Firmen mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Nettojahresumsatz von mehr als 150 Millionen Euro. In Bereichen mit einem hohen Risiko für Verstöße gegen Arbeits- und Umweltstandards, etwa Textilindustrie, Bergbau oder Landwirtschaft, sollen die Vorschriften schon für kleinere Firmen gelten. Zudem könnte das Vorhaben rund 4.000 Unternehmen einbeziehen, die in der EU tätig sind, aber ihren Sitz nicht dort haben.

Kommt es zu einer Einigung der EU-Staaten, kann der EU-Rat mit dem EU-Parlament den Gesetzesvorschlag verhandeln. Die EU-Abgeordneten haben allerdings ihre Position noch nicht festgelegt.